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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Weder Rommlinismns noch Kapitalismus

für falsch zu erklären. Man muß unterscheiden zwischen Unternehmungen, die
einen wirklichen Kulturwert haben, und solchen, die keinen oder nur einen
scheinbaren haben. Unter den erstern nehmen Maschinenbauanstalten, Eisen¬
bahnen, Schiffbau und Elektrotechnik den obersten Rang ein. Bei allen diesen
Industriezweigen walten nun zwei merkwürdige Umstände ob: erstens der
schon erwogne, daß sie trotz aller Kapitalskonzentration dennoch Arbeiter¬
elend weder zur Voraussetzung haben noch erzeugen, zweitens daß sie wegen
ihrer einleuchtenden Nützlichkeit, die ans einer gewissen Stufe der gesellschaft¬
lichen Entwicklung zur Notwendigkeit wird, von der Gesamtheit betrieben
werden würde", auch wenn kein Privatkapitalist vorhanden wäre, der sich an
ein solches Unternehmen wagen könnte. Wo persönliche Gewinnsucht die Ent¬
wicklung dieser Industriezweige über das augenblickliche Bedürfnis hinaus be¬
schleunigt hat, ist der Gesamtheit durch gewaltsame Umwälzung der Arbeits¬
und Vermögensverhältnisse mehr Unheil als Segen daraus erwachsen. Und
gerade die berühmtesten und verdientesten Privatunternehmer sind auf nichts
weniger als aufs Geldmacher ausgegangen. Ein Bvrsig', ein Krupp, ein
Werner Siemers haben freilich auch im Vermögen vorwärts kommen wollen.
Allein die Sehnsucht nach Reichtum ist nicht die Triebfeder ihres Schaffens
gewesen, und sie selbst haben sich, als sie anfingen, gewiß nicht träumen lassen,
wie reich sie mit der Zeit werden würden. Was sie trieb, war lediglich jener
Schaffensdrang, der überall entsteht, wo Genialität mit Tüchtigkeit des Cha¬
rakters zusammentrifft. Gesellt sich diesen beiden auch uoch die Gunst der Zeit-
umstände hinzu, so wachsen die Unternehmungen unter den Händen des Unter¬
nehmers von selbst solange, bis der von der Nachfrage abhängige Sättigungs¬
grad erreicht ist. Der reichtumbildende Unternehmergewinn fällt dabei als
reines Aeeidcus ab. Die Erben eines solchen Schöpfergenies Pflegen dann
freilich das Unternehmen nach rein kapitalistischen Grundsätzen weiter zu
betreiben.

Die andre Klasse der Unternehmungen ist es, die Arbeitereleud zur Vor¬
aussetzung hat und erzeugt, derer nämlich, die keinen Kulturwert haben. Diese
Klasse nnn zerfällt in zwei Abteilungen. Gewisse Zweige der modernen In¬
dustrie schaffen Dinge, die zwar an sich notwendig sind, die man aber anch
ohne sie haben könnte und gehabt hat; sie stellen sie nnr in ungeheuern
Massen und spottbillig her, und eben dieser Mannhaftigkeit und Billigkeit
kommt kein Kulturwert zu oder gar ein negativer. Hauptvertrcteriu dieser
Abteilung ist die Textilindustrie. Gewebe braucht man, aber man hat sie vor
Erfindung der heutigen Spinn- und Webmaschinen in ausreichender Menge,
Güte und Schönheit gehabt. Der Kulturwert der heutigen Massenproduktion
ist nicht allein gleich Null, sondern negativ. Die Überproduktion macht den
raschen Modewechsel zu Notwendigkeit; dieser trägt sehr wesentlich bei zur
Notwendigkeit einer beständigen Steigerung der Einkommen, zum Wettrennen


Weder Rommlinismns noch Kapitalismus

für falsch zu erklären. Man muß unterscheiden zwischen Unternehmungen, die
einen wirklichen Kulturwert haben, und solchen, die keinen oder nur einen
scheinbaren haben. Unter den erstern nehmen Maschinenbauanstalten, Eisen¬
bahnen, Schiffbau und Elektrotechnik den obersten Rang ein. Bei allen diesen
Industriezweigen walten nun zwei merkwürdige Umstände ob: erstens der
schon erwogne, daß sie trotz aller Kapitalskonzentration dennoch Arbeiter¬
elend weder zur Voraussetzung haben noch erzeugen, zweitens daß sie wegen
ihrer einleuchtenden Nützlichkeit, die ans einer gewissen Stufe der gesellschaft¬
lichen Entwicklung zur Notwendigkeit wird, von der Gesamtheit betrieben
werden würde», auch wenn kein Privatkapitalist vorhanden wäre, der sich an
ein solches Unternehmen wagen könnte. Wo persönliche Gewinnsucht die Ent¬
wicklung dieser Industriezweige über das augenblickliche Bedürfnis hinaus be¬
schleunigt hat, ist der Gesamtheit durch gewaltsame Umwälzung der Arbeits¬
und Vermögensverhältnisse mehr Unheil als Segen daraus erwachsen. Und
gerade die berühmtesten und verdientesten Privatunternehmer sind auf nichts
weniger als aufs Geldmacher ausgegangen. Ein Bvrsig', ein Krupp, ein
Werner Siemers haben freilich auch im Vermögen vorwärts kommen wollen.
Allein die Sehnsucht nach Reichtum ist nicht die Triebfeder ihres Schaffens
gewesen, und sie selbst haben sich, als sie anfingen, gewiß nicht träumen lassen,
wie reich sie mit der Zeit werden würden. Was sie trieb, war lediglich jener
Schaffensdrang, der überall entsteht, wo Genialität mit Tüchtigkeit des Cha¬
rakters zusammentrifft. Gesellt sich diesen beiden auch uoch die Gunst der Zeit-
umstände hinzu, so wachsen die Unternehmungen unter den Händen des Unter¬
nehmers von selbst solange, bis der von der Nachfrage abhängige Sättigungs¬
grad erreicht ist. Der reichtumbildende Unternehmergewinn fällt dabei als
reines Aeeidcus ab. Die Erben eines solchen Schöpfergenies Pflegen dann
freilich das Unternehmen nach rein kapitalistischen Grundsätzen weiter zu
betreiben.

Die andre Klasse der Unternehmungen ist es, die Arbeitereleud zur Vor¬
aussetzung hat und erzeugt, derer nämlich, die keinen Kulturwert haben. Diese
Klasse nnn zerfällt in zwei Abteilungen. Gewisse Zweige der modernen In¬
dustrie schaffen Dinge, die zwar an sich notwendig sind, die man aber anch
ohne sie haben könnte und gehabt hat; sie stellen sie nnr in ungeheuern
Massen und spottbillig her, und eben dieser Mannhaftigkeit und Billigkeit
kommt kein Kulturwert zu oder gar ein negativer. Hauptvertrcteriu dieser
Abteilung ist die Textilindustrie. Gewebe braucht man, aber man hat sie vor
Erfindung der heutigen Spinn- und Webmaschinen in ausreichender Menge,
Güte und Schönheit gehabt. Der Kulturwert der heutigen Massenproduktion
ist nicht allein gleich Null, sondern negativ. Die Überproduktion macht den
raschen Modewechsel zu Notwendigkeit; dieser trägt sehr wesentlich bei zur
Notwendigkeit einer beständigen Steigerung der Einkommen, zum Wettrennen


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[0624] Weder Rommlinismns noch Kapitalismus für falsch zu erklären. Man muß unterscheiden zwischen Unternehmungen, die einen wirklichen Kulturwert haben, und solchen, die keinen oder nur einen scheinbaren haben. Unter den erstern nehmen Maschinenbauanstalten, Eisen¬ bahnen, Schiffbau und Elektrotechnik den obersten Rang ein. Bei allen diesen Industriezweigen walten nun zwei merkwürdige Umstände ob: erstens der schon erwogne, daß sie trotz aller Kapitalskonzentration dennoch Arbeiter¬ elend weder zur Voraussetzung haben noch erzeugen, zweitens daß sie wegen ihrer einleuchtenden Nützlichkeit, die ans einer gewissen Stufe der gesellschaft¬ lichen Entwicklung zur Notwendigkeit wird, von der Gesamtheit betrieben werden würde», auch wenn kein Privatkapitalist vorhanden wäre, der sich an ein solches Unternehmen wagen könnte. Wo persönliche Gewinnsucht die Ent¬ wicklung dieser Industriezweige über das augenblickliche Bedürfnis hinaus be¬ schleunigt hat, ist der Gesamtheit durch gewaltsame Umwälzung der Arbeits¬ und Vermögensverhältnisse mehr Unheil als Segen daraus erwachsen. Und gerade die berühmtesten und verdientesten Privatunternehmer sind auf nichts weniger als aufs Geldmacher ausgegangen. Ein Bvrsig', ein Krupp, ein Werner Siemers haben freilich auch im Vermögen vorwärts kommen wollen. Allein die Sehnsucht nach Reichtum ist nicht die Triebfeder ihres Schaffens gewesen, und sie selbst haben sich, als sie anfingen, gewiß nicht träumen lassen, wie reich sie mit der Zeit werden würden. Was sie trieb, war lediglich jener Schaffensdrang, der überall entsteht, wo Genialität mit Tüchtigkeit des Cha¬ rakters zusammentrifft. Gesellt sich diesen beiden auch uoch die Gunst der Zeit- umstände hinzu, so wachsen die Unternehmungen unter den Händen des Unter¬ nehmers von selbst solange, bis der von der Nachfrage abhängige Sättigungs¬ grad erreicht ist. Der reichtumbildende Unternehmergewinn fällt dabei als reines Aeeidcus ab. Die Erben eines solchen Schöpfergenies Pflegen dann freilich das Unternehmen nach rein kapitalistischen Grundsätzen weiter zu betreiben. Die andre Klasse der Unternehmungen ist es, die Arbeitereleud zur Vor¬ aussetzung hat und erzeugt, derer nämlich, die keinen Kulturwert haben. Diese Klasse nnn zerfällt in zwei Abteilungen. Gewisse Zweige der modernen In¬ dustrie schaffen Dinge, die zwar an sich notwendig sind, die man aber anch ohne sie haben könnte und gehabt hat; sie stellen sie nnr in ungeheuern Massen und spottbillig her, und eben dieser Mannhaftigkeit und Billigkeit kommt kein Kulturwert zu oder gar ein negativer. Hauptvertrcteriu dieser Abteilung ist die Textilindustrie. Gewebe braucht man, aber man hat sie vor Erfindung der heutigen Spinn- und Webmaschinen in ausreichender Menge, Güte und Schönheit gehabt. Der Kulturwert der heutigen Massenproduktion ist nicht allein gleich Null, sondern negativ. Die Überproduktion macht den raschen Modewechsel zu Notwendigkeit; dieser trägt sehr wesentlich bei zur Notwendigkeit einer beständigen Steigerung der Einkommen, zum Wettrennen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/624>, abgerufen am 26.06.2024.