Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr."ut zwar, wie wir gleich hinzufügen wolle", zu den besten, männlichsten n"d Der Dichter gehört, wie gesagt, zu denen, die durch die Anlage, den Um¬ »ut zwar, wie wir gleich hinzufügen wolle», zu den besten, männlichsten n»d Der Dichter gehört, wie gesagt, zu denen, die durch die Anlage, den Um¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0593" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214385"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_2111" prev="#ID_2110"> »ut zwar, wie wir gleich hinzufügen wolle», zu den besten, männlichsten n»d<lb/> selbständigsten Schülern, z» den wenigen, sür die der Höhepunkt von Grill-<lb/> pnrzers Entwicklung in „König Ottokar" und „Ein treuer Diener seines Herrn"<lb/> liegt, zählt auch Franz Riffel. Man muß freilich zwischen der Anlage und<lb/> Gliederung eines Dramas und der Eüizelaussührung, der subjektiven Be¬<lb/> lebung unterscheiden. Hauptsächlich die erstere ist es, in der Nissel in den<lb/> Spuren Grillparzers weitergeht, die letztere ist bei ihm mehr rhetorisch als<lb/> lyrisch, und selbst in dem besten und bedeutendsten vou Nissels Dramen, dem<lb/> Trauerspiele „Agnes von Meran," macht sich eine gewisse Sprödigkeit<lb/> und Trockenheit geltend. Nissel hätte entschieden in einer der Kunstperioden<lb/> auftreten sollen, in denen, nach langer Schwelgerei und Übersättigung in<lb/> Farben, die strengen Linien, die durchdachten verständig klaren Entwicklungen<lb/> ans einem entwicklungsfähigen Grundgedanken wieder zu ihrem Recht kommen.<lb/> Ohne Zweifel werden solche Perioden wiederkehren; im Augenblick, wo auf<lb/> allen Gebiete» nicht bloß die richtige Schätzung, sonder» schon eine raffinirte<lb/> Überschätzung des Kolorits herrscht, wird man den Verdiensten dieses „Perseus<lb/> vou Macedonien" und dieser ,,Agnes von Meran," der beiden besten Anläufe<lb/> Nissels, nirgends vollkommen gerecht werden. Die Handlung in beiden Tra¬<lb/> gödien fesselt und interessirt offenbar mehr als ihre Träger, die uns uicht in<lb/> voller psychischer Deutlichkeit aufgehen. Die Konflikte und Hauptmotive in<lb/> beiden Tragödien sind echt dramatisch: im „Perseus vou Macedonien" der<lb/> letzte vergebliche, ohne schwere Verschuld»»«, uicht mehr zu führende Kampf<lb/> des macedonischen Königshauses und Volkes gegen das alles verschlingende<lb/> und vernichtende Rom, in „Agnes von Meran" die verhängnisvolle zweite<lb/> Ehe, die Philipp August von Frankreich mit der deutschen Herzvgstvchter<lb/> schließt, während sich Rom und die Kirche seiner Scheidung widersetzen und<lb/> ihm über Agnes Leiche hinweg die ungeliebte Jngeburg von Dänemark wieder<lb/> aufzwinge», um die Heiligkeit und Uulöslichkeit der echten Ehe zu erweisen.<lb/> Ohne daß man sagen könnte, „Agnes von Meran" sei ein Tendenzdrama,<lb/> zieht die Tragödie doch de» immer wiederkehrende», seit über einem Jahr¬<lb/> tausend währenden Kampf zwischen dem Anspruch der Kirche auf Weltherrschaft<lb/> in allen sittlichen Fragen und zwischen der jeweiligen Empörung der Staaten<lb/> und der Individuen gegen diesen Anspruch in ihren Kreis, und es läßt sich<lb/> ganz gut begreifen, daß Nissels Werk als eine Kulturlanipfstragödie a»gesehe»<lb/> worden ist. So hat die Berliner Preiskröuung dem Dichter wenig geholfen,<lb/> seine Dichtung ist erst viel später und, wie es scheint, mit unzulänglichen Mitteln<lb/> zur Aufführung gelaugt. Ihre Veröffentlichung wird ihr schwerlich zu stärker,»<lb/> Leben verhelfen, es müßte denn eine oder die andre virtuose Darstellerin die<lb/> Rolle der Agnes oder der Jngeburg als ein Vehikel ihrer Künste ansehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2112" next="#ID_2113"> Der Dichter gehört, wie gesagt, zu denen, die durch die Anlage, den Um¬<lb/> fang ihrer Schöpfungen die höchsten Forderungen an geistigem Gehalt, an</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0593]
»ut zwar, wie wir gleich hinzufügen wolle», zu den besten, männlichsten n»d
selbständigsten Schülern, z» den wenigen, sür die der Höhepunkt von Grill-
pnrzers Entwicklung in „König Ottokar" und „Ein treuer Diener seines Herrn"
liegt, zählt auch Franz Riffel. Man muß freilich zwischen der Anlage und
Gliederung eines Dramas und der Eüizelaussührung, der subjektiven Be¬
lebung unterscheiden. Hauptsächlich die erstere ist es, in der Nissel in den
Spuren Grillparzers weitergeht, die letztere ist bei ihm mehr rhetorisch als
lyrisch, und selbst in dem besten und bedeutendsten vou Nissels Dramen, dem
Trauerspiele „Agnes von Meran," macht sich eine gewisse Sprödigkeit
und Trockenheit geltend. Nissel hätte entschieden in einer der Kunstperioden
auftreten sollen, in denen, nach langer Schwelgerei und Übersättigung in
Farben, die strengen Linien, die durchdachten verständig klaren Entwicklungen
ans einem entwicklungsfähigen Grundgedanken wieder zu ihrem Recht kommen.
Ohne Zweifel werden solche Perioden wiederkehren; im Augenblick, wo auf
allen Gebiete» nicht bloß die richtige Schätzung, sonder» schon eine raffinirte
Überschätzung des Kolorits herrscht, wird man den Verdiensten dieses „Perseus
vou Macedonien" und dieser ,,Agnes von Meran," der beiden besten Anläufe
Nissels, nirgends vollkommen gerecht werden. Die Handlung in beiden Tra¬
gödien fesselt und interessirt offenbar mehr als ihre Träger, die uns uicht in
voller psychischer Deutlichkeit aufgehen. Die Konflikte und Hauptmotive in
beiden Tragödien sind echt dramatisch: im „Perseus vou Macedonien" der
letzte vergebliche, ohne schwere Verschuld»»«, uicht mehr zu führende Kampf
des macedonischen Königshauses und Volkes gegen das alles verschlingende
und vernichtende Rom, in „Agnes von Meran" die verhängnisvolle zweite
Ehe, die Philipp August von Frankreich mit der deutschen Herzvgstvchter
schließt, während sich Rom und die Kirche seiner Scheidung widersetzen und
ihm über Agnes Leiche hinweg die ungeliebte Jngeburg von Dänemark wieder
aufzwinge», um die Heiligkeit und Uulöslichkeit der echten Ehe zu erweisen.
Ohne daß man sagen könnte, „Agnes von Meran" sei ein Tendenzdrama,
zieht die Tragödie doch de» immer wiederkehrende», seit über einem Jahr¬
tausend währenden Kampf zwischen dem Anspruch der Kirche auf Weltherrschaft
in allen sittlichen Fragen und zwischen der jeweiligen Empörung der Staaten
und der Individuen gegen diesen Anspruch in ihren Kreis, und es läßt sich
ganz gut begreifen, daß Nissels Werk als eine Kulturlanipfstragödie a»gesehe»
worden ist. So hat die Berliner Preiskröuung dem Dichter wenig geholfen,
seine Dichtung ist erst viel später und, wie es scheint, mit unzulänglichen Mitteln
zur Aufführung gelaugt. Ihre Veröffentlichung wird ihr schwerlich zu stärker,»
Leben verhelfen, es müßte denn eine oder die andre virtuose Darstellerin die
Rolle der Agnes oder der Jngeburg als ein Vehikel ihrer Künste ansehen.
Der Dichter gehört, wie gesagt, zu denen, die durch die Anlage, den Um¬
fang ihrer Schöpfungen die höchsten Forderungen an geistigem Gehalt, an
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