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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Leopold von Gerliich

zu stehen," klagt er im Juni 1850. Trotzdem blieb Gerlach in dieser Stellung;
der sehr naheliegende Gedanke, Minister zu werden, tauchte wohl zuweilen
auf, aber niemals trat er ihm näher; "ich bin kein Richelieu, kein Mazarin,"
versichert er einmal, und man muß hinzufügen, er wollte es auch gar nicht
sein, er wollte weiter nichts sein, als der treue persönliche Diener seines
Königs. Thatsächlich war er freilich das anerkannte Haupt einer Partei ge¬
worden; schon 1849 sprach alles von einer "Partei Gerlach," in der
"Kreuzzeitung," die Ludwig von Gerlach beherrschte, schuf sie sich ihr Organ,
und im Juli 1850 konnte Gerlach schreiben: "Das Geheime Kabinet, Rauch,
ich, Niebuhr, vielleicht bald Manteuffel, sind eine Macht im Lande geworden."

Gleichwohl würde man völlig irre gehen mit der Meinung, Gerlach habe
den König beherrscht. Friedrich Wilhelm IV. ließ sich weder von der Camarilla,
noch von irgendwem sonst beherrschen. Wenn sie etwas ausrichtete, so geschah
das nur, weil und soweit sie auf dem Boden derselben Weltanschauung stand
und den König in seinen eigensten Anschauungen gegen andre Anschauungen
bestärkte. Daß Friedrich Wilhelm die Männer der Camarilla geistig übersah,
wußten diese sehr wohl. "Im Vergleich mit Rcidowitz und Bunsen -- sagte
einmal Rauch zu Gerlach -- hält der König uns für Rindvieh," und Gerlach
selbst hatte einen ähnlichen Eindruck, wenn er später äußerte: "Der König
hält uns für Esel und Bunsen und Nadowitz für große Staatsmänner."

Trotzdem darf man aber den Einfluß Gerlachs und seiner Camarilla auch
nicht niedrig anschlagen. In sehr wichtigen Angelegenheiten haben sie den
Ausschlag gegeben, indem sie den König gegen andre Richtungen unterstützten
und in seiner eignen innersten Überzeugung, die er nicht immer genügend zum
Ausdruck zu bringen wußte, bestärkten. So haben sie sich zu den herrschenden
Strömungen der Zeit entweder hemmend oder geradezu ablehnend verhalten
und sie aufs entschiedenste bekämpft.

Die wichtigste Frage während der ersten Regierungsjahre Friedrich Wil¬
helms IV. war die Berufung des Vereinigten Landtags, also die Fort¬
bildung der 1823 auf besondres Betreiben des Kronprinzen ins Leben ge-
rufnen Provinzialstände zu Generalständen, zu einem Reichstage, der den
ständischen, also den christlich-germanischen Staat vollenden sollte, gewisser¬
maßen das Probestück der Doktrin. Für solche hatte sich schon 1830 der
Kronprinz ausgesprochen, und es war seiue Absicht als König, sofort bei der
Huldigung 1840, von den dazu versammelten Provinzialständen zweiunddreißig
Abgeordnete wählen zu lassen, die dann mit derselben Anzahl von Mitgliedern
des Staatsrath die Reichsstände bilden sollten. Damals war Gerlach mit den
meisten Ministern gegen den Plan, sodaß ihn der König fallen ließ. Aber
er fühlte sich vor allen an das königliche Edikt vom 17. Januar 1820 ge¬
bunden, das die Aufnahme von Anleihen an die Bewilligung der Reichsstände
knüpfte, und die acht selbständigen Provinziallnndtage, bei denen die Regierung


Leopold von Gerliich

zu stehen," klagt er im Juni 1850. Trotzdem blieb Gerlach in dieser Stellung;
der sehr naheliegende Gedanke, Minister zu werden, tauchte wohl zuweilen
auf, aber niemals trat er ihm näher; „ich bin kein Richelieu, kein Mazarin,"
versichert er einmal, und man muß hinzufügen, er wollte es auch gar nicht
sein, er wollte weiter nichts sein, als der treue persönliche Diener seines
Königs. Thatsächlich war er freilich das anerkannte Haupt einer Partei ge¬
worden; schon 1849 sprach alles von einer „Partei Gerlach," in der
„Kreuzzeitung," die Ludwig von Gerlach beherrschte, schuf sie sich ihr Organ,
und im Juli 1850 konnte Gerlach schreiben: „Das Geheime Kabinet, Rauch,
ich, Niebuhr, vielleicht bald Manteuffel, sind eine Macht im Lande geworden."

Gleichwohl würde man völlig irre gehen mit der Meinung, Gerlach habe
den König beherrscht. Friedrich Wilhelm IV. ließ sich weder von der Camarilla,
noch von irgendwem sonst beherrschen. Wenn sie etwas ausrichtete, so geschah
das nur, weil und soweit sie auf dem Boden derselben Weltanschauung stand
und den König in seinen eigensten Anschauungen gegen andre Anschauungen
bestärkte. Daß Friedrich Wilhelm die Männer der Camarilla geistig übersah,
wußten diese sehr wohl. „Im Vergleich mit Rcidowitz und Bunsen — sagte
einmal Rauch zu Gerlach — hält der König uns für Rindvieh," und Gerlach
selbst hatte einen ähnlichen Eindruck, wenn er später äußerte: „Der König
hält uns für Esel und Bunsen und Nadowitz für große Staatsmänner."

Trotzdem darf man aber den Einfluß Gerlachs und seiner Camarilla auch
nicht niedrig anschlagen. In sehr wichtigen Angelegenheiten haben sie den
Ausschlag gegeben, indem sie den König gegen andre Richtungen unterstützten
und in seiner eignen innersten Überzeugung, die er nicht immer genügend zum
Ausdruck zu bringen wußte, bestärkten. So haben sie sich zu den herrschenden
Strömungen der Zeit entweder hemmend oder geradezu ablehnend verhalten
und sie aufs entschiedenste bekämpft.

Die wichtigste Frage während der ersten Regierungsjahre Friedrich Wil¬
helms IV. war die Berufung des Vereinigten Landtags, also die Fort¬
bildung der 1823 auf besondres Betreiben des Kronprinzen ins Leben ge-
rufnen Provinzialstände zu Generalständen, zu einem Reichstage, der den
ständischen, also den christlich-germanischen Staat vollenden sollte, gewisser¬
maßen das Probestück der Doktrin. Für solche hatte sich schon 1830 der
Kronprinz ausgesprochen, und es war seiue Absicht als König, sofort bei der
Huldigung 1840, von den dazu versammelten Provinzialständen zweiunddreißig
Abgeordnete wählen zu lassen, die dann mit derselben Anzahl von Mitgliedern
des Staatsrath die Reichsstände bilden sollten. Damals war Gerlach mit den
meisten Ministern gegen den Plan, sodaß ihn der König fallen ließ. Aber
er fühlte sich vor allen an das königliche Edikt vom 17. Januar 1820 ge¬
bunden, das die Aufnahme von Anleihen an die Bewilligung der Reichsstände
knüpfte, und die acht selbständigen Provinziallnndtage, bei denen die Regierung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/585>, abgerufen am 26.06.2024.