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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Leopold von Gerlach

behauptete er diese Vertrauensstellung, seit dem März 1848 ruhen sie festere Formen
um. Unter dem 30. März verzeichnet er kurz als Thatsache: "Erster Versuch zur
Gründung eines Ministers oeoulto," seitdem begegnet der Ausdruck Camarilla
häufiger. Am 26. September versagt dem König nicht allein sein Ministerium,
sondern auch seine Camarilla, am 5. November tritt die Camarilla bei dem
neuernannten Ministerpräsidenten, dem Grafen Brandenburg, zusammen. Im
Februar 184!) sieht sich Gerlach genötigt, wieder eine "Camarillathütigkeit" zu
beginnen, am 9. Februar ist "die alte Camarilla wieder vollständig beisammen";
Ende März stehen "die Dinge leider so, das; der Zusammentritt der Camarilla
nötig geworden ist." Zu ihr gehörte" in diesen Jahren, abgesehen vou Gerlach,
ihrem anerkannten Haupte, sein Bruder Ludwig, Regierungspräsident in Magde¬
burg, der Generaladjutant des Königs v. Rauch, an dessen Stelle Gerlach
1850 trat, der Intendant der königlichen Gärten von Massow, später Mi¬
nister des königlichen Hauses, zugleich Mitglied des Staatsrath, gelegentlich,
nur bei besonder" Veranlassungen auch die frühern Minister v. Canitz und
v. Alvensleben, Kv"sistvrialpräside"t Graf Voß, der Sohn des früher" Mi¬
nisters, die Abgeordneten v. Bismarck und Kleist-Netzow, Stahl und der
Historiker Heinrich Leo in Halle; zuweilen taucht auch "der kleine Ranke" auf,
und der russische Gesandte Baron Meyeudorf steht bis zu seinen: Abgange
nach Wien im Mai 1850 in regen Beziehungen zu Gerlach. Ende Dezember
1849 ist die Camarilla so zusammengeschmolzen, daß Gerlach den Namen nicht
mehr gelten lassen will, sondern mir noch von einem "Kabinet" (mit Rauch
und Niebuhr) spricht, aber im Februar 1850 taucht wieder "die militärische
Camarilla" auf, die Sache blieb doch immer dieselbe.

Daß diese "Camarilla" vou den verantwortlichen Ratgebern des Mon¬
archen im ganzen nicht mit sehr günstigen Augen angesehen wurde, versteht
sich. Schon 1843 gesteht Gerlach den "Ärger der Hofleute und Geschäfts¬
männer" über seine Vertrauensstellung zu; 1848 beklagt sich das liberale
Märzministerium über den "fremden Einfluß" auf den König; im Februar 1849
nennt der frühere Minister von Thile die Camarillathütigkeit rund heraus
"Hochverrat," und ähnlich hatte er sich schon im November 1848 ausgesprochen.
Gerlach selbst empfindet das "halbe Verhältnis" mitunter schmerzlich, findet
schon 1843, "wie wenig bei dem Camarillaeinfluß herauskommt," und kommt
im Januar 1850 sogar zu dem merkwürdigen Geständnis, man müsse die
Minister entweder stürzen oder gewähren lassen. Und doch ist er überzeugt,
daß es "formell unverantwortliche Ratgeber immer gegeben habe und immer
geben werde," und daß er die natürliche Aufgabe habe, zwischen dem König
und seinen Ministern zu vermitteln, weil er den König genau kenne und alle
seine "ideologischen Feldzüge mit durchgemacht habe." Befriedigung freilich
gewährt ihm diese Thätigkeit eigentlich nicht; "es ist eine eigue Stellung,
zwischen der Phantasie des Königs und der Trägheit der Minister mitten inne


Leopold von Gerlach

behauptete er diese Vertrauensstellung, seit dem März 1848 ruhen sie festere Formen
um. Unter dem 30. März verzeichnet er kurz als Thatsache: „Erster Versuch zur
Gründung eines Ministers oeoulto," seitdem begegnet der Ausdruck Camarilla
häufiger. Am 26. September versagt dem König nicht allein sein Ministerium,
sondern auch seine Camarilla, am 5. November tritt die Camarilla bei dem
neuernannten Ministerpräsidenten, dem Grafen Brandenburg, zusammen. Im
Februar 184!) sieht sich Gerlach genötigt, wieder eine „Camarillathütigkeit" zu
beginnen, am 9. Februar ist „die alte Camarilla wieder vollständig beisammen";
Ende März stehen „die Dinge leider so, das; der Zusammentritt der Camarilla
nötig geworden ist." Zu ihr gehörte» in diesen Jahren, abgesehen vou Gerlach,
ihrem anerkannten Haupte, sein Bruder Ludwig, Regierungspräsident in Magde¬
burg, der Generaladjutant des Königs v. Rauch, an dessen Stelle Gerlach
1850 trat, der Intendant der königlichen Gärten von Massow, später Mi¬
nister des königlichen Hauses, zugleich Mitglied des Staatsrath, gelegentlich,
nur bei besonder» Veranlassungen auch die frühern Minister v. Canitz und
v. Alvensleben, Kv»sistvrialpräside»t Graf Voß, der Sohn des früher» Mi¬
nisters, die Abgeordneten v. Bismarck und Kleist-Netzow, Stahl und der
Historiker Heinrich Leo in Halle; zuweilen taucht auch „der kleine Ranke" auf,
und der russische Gesandte Baron Meyeudorf steht bis zu seinen: Abgange
nach Wien im Mai 1850 in regen Beziehungen zu Gerlach. Ende Dezember
1849 ist die Camarilla so zusammengeschmolzen, daß Gerlach den Namen nicht
mehr gelten lassen will, sondern mir noch von einem „Kabinet" (mit Rauch
und Niebuhr) spricht, aber im Februar 1850 taucht wieder „die militärische
Camarilla" auf, die Sache blieb doch immer dieselbe.

Daß diese „Camarilla" vou den verantwortlichen Ratgebern des Mon¬
archen im ganzen nicht mit sehr günstigen Augen angesehen wurde, versteht
sich. Schon 1843 gesteht Gerlach den „Ärger der Hofleute und Geschäfts¬
männer" über seine Vertrauensstellung zu; 1848 beklagt sich das liberale
Märzministerium über den „fremden Einfluß" auf den König; im Februar 1849
nennt der frühere Minister von Thile die Camarillathütigkeit rund heraus
„Hochverrat," und ähnlich hatte er sich schon im November 1848 ausgesprochen.
Gerlach selbst empfindet das „halbe Verhältnis" mitunter schmerzlich, findet
schon 1843, „wie wenig bei dem Camarillaeinfluß herauskommt," und kommt
im Januar 1850 sogar zu dem merkwürdigen Geständnis, man müsse die
Minister entweder stürzen oder gewähren lassen. Und doch ist er überzeugt,
daß es „formell unverantwortliche Ratgeber immer gegeben habe und immer
geben werde," und daß er die natürliche Aufgabe habe, zwischen dem König
und seinen Ministern zu vermitteln, weil er den König genau kenne und alle
seine „ideologischen Feldzüge mit durchgemacht habe." Befriedigung freilich
gewährt ihm diese Thätigkeit eigentlich nicht; „es ist eine eigue Stellung,
zwischen der Phantasie des Königs und der Trägheit der Minister mitten inne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/584>, abgerufen am 26.06.2024.