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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Leopold von Gerlnch

als solche gar nicht vertreten war, drohten der Staatseinheit gefährlich zu
werden. Andrerseits standen Rußland und Österreich der Sache durchaus
feindselig gegenüber. Der König rief nun im Oktober 1842 wenigstens die
Ausschüsse der Provinzialstände zusammen, obwohl Gerlach davon abriet, weil
er in diesem Augenblicke darin ein Zugeständnis an den Liberalismus sah,
und hielt an seinem Grundgedanken mit der ihm eignen Zähigkeit fest. Frei¬
lich meinte Gerlach, der darin mit Savignys Gutachten übereinstimmte, die
Generalstände dürften niemals die Hauptsache werden, weil damit der preußische
Einfluß auf Deutschland verloren gehe, und sie dürften mir beratende Stimme
erhalten, weil sonst die königliche Gewalt eingeschränkt werde. Auch wollte
er sie nicht ohne Not berufen. Schließlich nahm Graf Arnim-Boytzenbnrg,
mit dem der König seine Absichten zunächst durchzusetzen versuchte, im Mai
1845 seinen Abschied, weil er sich mit dem Monarchen nicht vereinigen konnte,
und an seine Stelle trat Bodelschwingh. Unter seinem Vorsitze wurde eine
Kommission zur Beratung des königlichen Entwurfs gebildet. In dieser war
der Prinz von Preußen zunächst ein grundsätzlicher Gegner der Reichsstände
als einer Vereinigung der acht Provinziallandtage; er wollte nur eine Depn-
tirtenversammlung, und zwar anch diese ohne die Vertretung der Städte und
Universitäten. Gerlach betrachtete es als seine Aufgabe, ihn von dieser grund¬
sätzlichen Gegnerschaft abzubringen, aber der Prinz gab erst nach, als neben
der Dreiständekurie der Ritter, Bürger und Bauern uoch eine Herrenkurie als
Vertretung des hohen Adels bewilligt wurde. So fiel endlich die Entschei¬
dung sür die Reichsstände in einer gemeinschaftlichen Sitzung der Kommission
und des Staatsministeriums unter dem Borsitz des Prinzen am 11. März
1846. Gerlach fand, das ganze "Experiment" sei zwar "gefährlich," aber un¬
vermeidlich, da man dem Konstitutionalismus entgegentreten müsse, und unter
allen Umständen trete Preußen damit in eine neue Periode ein, nach der sich
das Urteil über die Negierung des Königs dereinst bilden werde. Die Vor¬
lagen für den Vereinigten Landtag, der nun durch das königliche Patent vom
3. Februar 1847 berufen wurde und am 11. April wirklich zusammentrat,
hielt Gerlach freilich für sehr bedenklich. Doch urteilte er nach dem Ende der
bekanntlich ziemlich ergebnislosen, aber sehr erregten Verhandlungen: "Der
Landtag ist besser abgelaufen, als ich erwartete," weil er das ständische Prinzip
des Königs anerkannt und kleine Klagen gegen die Verwaltung oder die Armee
erhoben hatte.

Nach dem gesagten ergiebt sich Gerlachs Stellung zu der Bewegung von
1848/49 von selbst. Sie war ihn, schlechtweg gleichbedeutend mit "Revo¬
lution," ohne daß er dabei irgend einen Unterschied zwischen den doch weit
von einander abweichenden Richtungen oder auch nur den leisesten Versuch ge¬
macht Hütte, den Standpunkt derer zu verstehen, die an der Spitze der Be¬
wegung standen, und ohne zu beachten, daß ein guter Teil der deutscheu In-


Leopold von Gerlnch

als solche gar nicht vertreten war, drohten der Staatseinheit gefährlich zu
werden. Andrerseits standen Rußland und Österreich der Sache durchaus
feindselig gegenüber. Der König rief nun im Oktober 1842 wenigstens die
Ausschüsse der Provinzialstände zusammen, obwohl Gerlach davon abriet, weil
er in diesem Augenblicke darin ein Zugeständnis an den Liberalismus sah,
und hielt an seinem Grundgedanken mit der ihm eignen Zähigkeit fest. Frei¬
lich meinte Gerlach, der darin mit Savignys Gutachten übereinstimmte, die
Generalstände dürften niemals die Hauptsache werden, weil damit der preußische
Einfluß auf Deutschland verloren gehe, und sie dürften mir beratende Stimme
erhalten, weil sonst die königliche Gewalt eingeschränkt werde. Auch wollte
er sie nicht ohne Not berufen. Schließlich nahm Graf Arnim-Boytzenbnrg,
mit dem der König seine Absichten zunächst durchzusetzen versuchte, im Mai
1845 seinen Abschied, weil er sich mit dem Monarchen nicht vereinigen konnte,
und an seine Stelle trat Bodelschwingh. Unter seinem Vorsitze wurde eine
Kommission zur Beratung des königlichen Entwurfs gebildet. In dieser war
der Prinz von Preußen zunächst ein grundsätzlicher Gegner der Reichsstände
als einer Vereinigung der acht Provinziallandtage; er wollte nur eine Depn-
tirtenversammlung, und zwar anch diese ohne die Vertretung der Städte und
Universitäten. Gerlach betrachtete es als seine Aufgabe, ihn von dieser grund¬
sätzlichen Gegnerschaft abzubringen, aber der Prinz gab erst nach, als neben
der Dreiständekurie der Ritter, Bürger und Bauern uoch eine Herrenkurie als
Vertretung des hohen Adels bewilligt wurde. So fiel endlich die Entschei¬
dung sür die Reichsstände in einer gemeinschaftlichen Sitzung der Kommission
und des Staatsministeriums unter dem Borsitz des Prinzen am 11. März
1846. Gerlach fand, das ganze „Experiment" sei zwar „gefährlich," aber un¬
vermeidlich, da man dem Konstitutionalismus entgegentreten müsse, und unter
allen Umständen trete Preußen damit in eine neue Periode ein, nach der sich
das Urteil über die Negierung des Königs dereinst bilden werde. Die Vor¬
lagen für den Vereinigten Landtag, der nun durch das königliche Patent vom
3. Februar 1847 berufen wurde und am 11. April wirklich zusammentrat,
hielt Gerlach freilich für sehr bedenklich. Doch urteilte er nach dem Ende der
bekanntlich ziemlich ergebnislosen, aber sehr erregten Verhandlungen: „Der
Landtag ist besser abgelaufen, als ich erwartete," weil er das ständische Prinzip
des Königs anerkannt und kleine Klagen gegen die Verwaltung oder die Armee
erhoben hatte.

Nach dem gesagten ergiebt sich Gerlachs Stellung zu der Bewegung von
1848/49 von selbst. Sie war ihn, schlechtweg gleichbedeutend mit „Revo¬
lution," ohne daß er dabei irgend einen Unterschied zwischen den doch weit
von einander abweichenden Richtungen oder auch nur den leisesten Versuch ge¬
macht Hütte, den Standpunkt derer zu verstehen, die an der Spitze der Be¬
wegung standen, und ohne zu beachten, daß ein guter Teil der deutscheu In-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/586>, abgerufen am 01.09.2024.