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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Leopold von Gerlach

Gerlachs zu Friedrich Wilhelm IV. begründet, dessen geistvolles, aber phan¬
tastisch-romantisches, thntenschenes und gänzlich unpolitisches Wesen vielmehr
von der Art Gerlachs sehr abstach, sondern die Gemeinschaft der Welt¬
anschauung hat das Band zwischen beiden geschlungen, das schon um 1821
geknüpft war und sich erst mit dem Tode 1861 lösen sollte. Es war bei
Gerlach eine eigentümliche Verbindung von christlicher Fügsamkeit in das Wort
der Schrift, daß mau seinem König "wie Christo" dienen und auch den "wunder¬
lichen Herren" unterthan sein müsse, und von echt germanischer Mannentreue. Er
will nicht einem "ideellen Königtum"" dienen, wie sein Bruder Ludwig, sondern
dem König ganz persönlich, denn er hat praktisch eingesehen, daß "die per¬
sönliche That des Königs dringend nötig ist," und er hat "eine große Liebe
zu dem Herrn, auch eine recht persönliche." Aber er ist weit davon entfernt,
dem König in allen Stücken zuzustimmen oder ihm gar blinden Gehorsam zu
leisten; er sieht vielmehr den Gehorsam darin, daß er dein Herrn rat nach
seiner besten Überzeugung und ihm gerade heraus widerspricht, wenn er ihn
auf einem falschen Wege zu sehen glaubt. Immer trägt er den Kopf aufrecht,
und wenn man auf dem vorzüglichen Bildnis, das dem zweiten Bande bei-
gegeben ist, das stark entwickelte breite Kinn, den festen Mund und die ruhige",
dunkeln Augen uuter der hohen, breiten Stirn mit dein aufstrebenden, noch
dichten weißen Haar betrachtet, so sieht mau auf den ersten Blick, daß dieser
Mann wohl ein treuer Vasall, aber niemals ein Höfling gewesen ist. Wohl
steht er kirchlich und politisch auf dem Boden derselben Weltanschauung wie
der König, doch er teilt keineswegs dessen romantische Ansichten von der Neu¬
gestaltung Deutschlands; das sind ihm "Phantasien," "Träume," "ideologische
Feldzüge." Ebensowenig billigt er das Verhalten des Monarchen gegen seine
Minister. Schon 1842 findet er, daß der König gegen die Menschen in seiner
nächsten Nähe "eine gewisse Gleichgiltigkeit" habe, "nicht als Personen, aber
als notwendige Diener," auf deren Art er seine Maßregeln berechnen müsse,
und immer wiederholt sich daher die Klage, der König sei mit seinen Ministern
innerlich gar nicht einig, und diese verstünden thu uicht. Der aber wolle
"ohne Menschen regieren" und meine die Verantwortung selber tragen zu
können, sein "größter Fehler."

Diese in dem Wesen und noch mehr in der Doktrin des Königs begründete
Anschauung hat nun Gerlach dazu gedrängt, eine vermittelnde Stellung zwischen
seinem Herrn und den Ministern einzunehmen und zu behaupten, das zu bilden,
was er selbst ganz unbefangen, ohne irgend welchen Nebengedanken, die "Ca-
marilla" nennt (zuerst 1843). Schon 1821 gehörte er zur "ellaus des Kron¬
prinzen," und bei der Huldigung 1840 konnte ihm sein Schwager, der General
von Grolmann, sagen: "Alles, was der König Schlechtes an sich hat, ver¬
dankt er dir und deinesgleichen"; so viel galt Gerlach nach der Meinung
andrer schon damals bei Friedrich Wilhelm. Während der ersten Regierungsjahre


Leopold von Gerlach

Gerlachs zu Friedrich Wilhelm IV. begründet, dessen geistvolles, aber phan¬
tastisch-romantisches, thntenschenes und gänzlich unpolitisches Wesen vielmehr
von der Art Gerlachs sehr abstach, sondern die Gemeinschaft der Welt¬
anschauung hat das Band zwischen beiden geschlungen, das schon um 1821
geknüpft war und sich erst mit dem Tode 1861 lösen sollte. Es war bei
Gerlach eine eigentümliche Verbindung von christlicher Fügsamkeit in das Wort
der Schrift, daß mau seinem König „wie Christo" dienen und auch den „wunder¬
lichen Herren" unterthan sein müsse, und von echt germanischer Mannentreue. Er
will nicht einem „ideellen Königtum«" dienen, wie sein Bruder Ludwig, sondern
dem König ganz persönlich, denn er hat praktisch eingesehen, daß „die per¬
sönliche That des Königs dringend nötig ist," und er hat „eine große Liebe
zu dem Herrn, auch eine recht persönliche." Aber er ist weit davon entfernt,
dem König in allen Stücken zuzustimmen oder ihm gar blinden Gehorsam zu
leisten; er sieht vielmehr den Gehorsam darin, daß er dein Herrn rat nach
seiner besten Überzeugung und ihm gerade heraus widerspricht, wenn er ihn
auf einem falschen Wege zu sehen glaubt. Immer trägt er den Kopf aufrecht,
und wenn man auf dem vorzüglichen Bildnis, das dem zweiten Bande bei-
gegeben ist, das stark entwickelte breite Kinn, den festen Mund und die ruhige»,
dunkeln Augen uuter der hohen, breiten Stirn mit dein aufstrebenden, noch
dichten weißen Haar betrachtet, so sieht mau auf den ersten Blick, daß dieser
Mann wohl ein treuer Vasall, aber niemals ein Höfling gewesen ist. Wohl
steht er kirchlich und politisch auf dem Boden derselben Weltanschauung wie
der König, doch er teilt keineswegs dessen romantische Ansichten von der Neu¬
gestaltung Deutschlands; das sind ihm „Phantasien," „Träume," „ideologische
Feldzüge." Ebensowenig billigt er das Verhalten des Monarchen gegen seine
Minister. Schon 1842 findet er, daß der König gegen die Menschen in seiner
nächsten Nähe „eine gewisse Gleichgiltigkeit" habe, „nicht als Personen, aber
als notwendige Diener," auf deren Art er seine Maßregeln berechnen müsse,
und immer wiederholt sich daher die Klage, der König sei mit seinen Ministern
innerlich gar nicht einig, und diese verstünden thu uicht. Der aber wolle
„ohne Menschen regieren" und meine die Verantwortung selber tragen zu
können, sein „größter Fehler."

Diese in dem Wesen und noch mehr in der Doktrin des Königs begründete
Anschauung hat nun Gerlach dazu gedrängt, eine vermittelnde Stellung zwischen
seinem Herrn und den Ministern einzunehmen und zu behaupten, das zu bilden,
was er selbst ganz unbefangen, ohne irgend welchen Nebengedanken, die „Ca-
marilla" nennt (zuerst 1843). Schon 1821 gehörte er zur „ellaus des Kron¬
prinzen," und bei der Huldigung 1840 konnte ihm sein Schwager, der General
von Grolmann, sagen: „Alles, was der König Schlechtes an sich hat, ver¬
dankt er dir und deinesgleichen"; so viel galt Gerlach nach der Meinung
andrer schon damals bei Friedrich Wilhelm. Während der ersten Regierungsjahre


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[0583] Leopold von Gerlach Gerlachs zu Friedrich Wilhelm IV. begründet, dessen geistvolles, aber phan¬ tastisch-romantisches, thntenschenes und gänzlich unpolitisches Wesen vielmehr von der Art Gerlachs sehr abstach, sondern die Gemeinschaft der Welt¬ anschauung hat das Band zwischen beiden geschlungen, das schon um 1821 geknüpft war und sich erst mit dem Tode 1861 lösen sollte. Es war bei Gerlach eine eigentümliche Verbindung von christlicher Fügsamkeit in das Wort der Schrift, daß mau seinem König „wie Christo" dienen und auch den „wunder¬ lichen Herren" unterthan sein müsse, und von echt germanischer Mannentreue. Er will nicht einem „ideellen Königtum«" dienen, wie sein Bruder Ludwig, sondern dem König ganz persönlich, denn er hat praktisch eingesehen, daß „die per¬ sönliche That des Königs dringend nötig ist," und er hat „eine große Liebe zu dem Herrn, auch eine recht persönliche." Aber er ist weit davon entfernt, dem König in allen Stücken zuzustimmen oder ihm gar blinden Gehorsam zu leisten; er sieht vielmehr den Gehorsam darin, daß er dein Herrn rat nach seiner besten Überzeugung und ihm gerade heraus widerspricht, wenn er ihn auf einem falschen Wege zu sehen glaubt. Immer trägt er den Kopf aufrecht, und wenn man auf dem vorzüglichen Bildnis, das dem zweiten Bande bei- gegeben ist, das stark entwickelte breite Kinn, den festen Mund und die ruhige», dunkeln Augen uuter der hohen, breiten Stirn mit dein aufstrebenden, noch dichten weißen Haar betrachtet, so sieht mau auf den ersten Blick, daß dieser Mann wohl ein treuer Vasall, aber niemals ein Höfling gewesen ist. Wohl steht er kirchlich und politisch auf dem Boden derselben Weltanschauung wie der König, doch er teilt keineswegs dessen romantische Ansichten von der Neu¬ gestaltung Deutschlands; das sind ihm „Phantasien," „Träume," „ideologische Feldzüge." Ebensowenig billigt er das Verhalten des Monarchen gegen seine Minister. Schon 1842 findet er, daß der König gegen die Menschen in seiner nächsten Nähe „eine gewisse Gleichgiltigkeit" habe, „nicht als Personen, aber als notwendige Diener," auf deren Art er seine Maßregeln berechnen müsse, und immer wiederholt sich daher die Klage, der König sei mit seinen Ministern innerlich gar nicht einig, und diese verstünden thu uicht. Der aber wolle „ohne Menschen regieren" und meine die Verantwortung selber tragen zu können, sein „größter Fehler." Diese in dem Wesen und noch mehr in der Doktrin des Königs begründete Anschauung hat nun Gerlach dazu gedrängt, eine vermittelnde Stellung zwischen seinem Herrn und den Ministern einzunehmen und zu behaupten, das zu bilden, was er selbst ganz unbefangen, ohne irgend welchen Nebengedanken, die „Ca- marilla" nennt (zuerst 1843). Schon 1821 gehörte er zur „ellaus des Kron¬ prinzen," und bei der Huldigung 1840 konnte ihm sein Schwager, der General von Grolmann, sagen: „Alles, was der König Schlechtes an sich hat, ver¬ dankt er dir und deinesgleichen"; so viel galt Gerlach nach der Meinung andrer schon damals bei Friedrich Wilhelm. Während der ersten Regierungsjahre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/583>, abgerufen am 26.06.2024.