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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Iveder Konmttmisnnis noch isapitcilismus

Schon sehr heruntergekommen muß eine Bevölkerung sein, wenn eine Zucker¬
fabrik, eine Cellulosefabrik, eine Auilinfarbenfabrik, eine Galmei- oder Arsenik¬
oder Quecksilbergrube Arbeiter findet. Wo nicht schreckliche Not herrscht, kann
niemand eine solche Industrie begründen, also auch nicht reich darin werden.
Schon in ein Kohlen- oder Eisenbergwcrk wird sich niemand ohne Not be¬
graben. Im Mittelalter stand es anders um die Sache; da waren die Berg¬
leute die Besitzer der Grube und durften dnrch ihre Arbeit wohlhabend oder
gar reich zu werden hoffen. Da verlockte also die Habsucht den Bauer, den
Pflug und das himmlische Licht mit der Arbeit in schauerlicher Nacht zu ver¬
tauschen.

Aber keine Regel ohne Ausnahmen. Es kommen Fälle vor, wo ein Mann,
der Erfinder- und Unternehmergenie verbindet, dnrch Schaffung eines neuen
oder Pflege eines jungen Jndustriezweiges Reichtümer erwirbt, ohne des Elends
zu bedürfen oder Elend zu erzeugen, ja vielleicht Tausenden zu bessern Arbeits¬
bedingungen verhilft, als sie bisher genossen. Das kommt jedoch nur bei
Industrien vor, die hochbezahlte Artikel von hohem Gebrauchswert herstellen
und zugleich starke, gesunde und intelligente Arbeiter erfordern. Die bekann¬
testen Vertreter dieser Art von Reichtumsbildung sind Borsig, Krupp und
Edison. Heute können es beim Lokomotivenbau weder Unternehmer noch Ar¬
beiter mehr so weit bringen, wie es Borsig und seine Leute gebracht haben,
denn vor vierzig Jahren kostete eine Lokomotive 20000 Thaler, heute nur noch
die Hälfte. Die Erzeugnisse der Herren Krupp, Armstrong und Bange sind,
nebenbei bemerkt, trotz ihrer stark fühlbaren Körperlichkeit mysteriöser Natur.
Wenn nämlich den Beteuerungen aller europäischen Regierungen, daß die Kriegs-
rüstungen nur die Erhaltung des Friedens zum Zweck haben, zu glauben ist,
dünn besteht ihr Gebrauchswert darin, durch ihr schreckliches Aussehe" und
Gekrach ihrem wirklichen Gebrauch vorzubeugen. Übrigens erscheinen mich
jene Industrien, in denen die Arbeit unangenehm und der Lohn niedrig ist,
zuweilen als ein Glück für die Bevölkerung, wenn nämlich die Lage der Land¬
arbeiter sehr elend oder vielleicht sogar überhaupt keine Arbeit zu haben ist;
sie erretten dann viele vom Hungertode und erhöhen durch die Konkurrenz
den ländlichen Arbeitslohn.

Im Großhandel sind zu verschiednen Zeiten auf sehr verschiedne Weise
große Vermöge" entstanden. Dem gemeinen, mit Mord und Brand verbundnen
Raub ist erst in unsrer Zeit dnrch die völkerrechtliche Abschaffung der Kaperei
ein Ende gemacht worden. Im Altertum und Mittelalter kamen Handels¬
gewinne von 10000 Prozenten vor, ohne daß irgend jemand das Recht ge¬
habt hätte, sich über Ausbeutung zu beklagen. Wenn dem Kaufmann im
Altertume Bernstein, im Mittelalter Gewürz mit dem Hundertfachen des Ein¬
kaufspreises bezahlt wurden, so handelte es sich um Waren, die niemand un¬
bedingt brauchte, und die mau ohne die Findigkeit, Ausdauer und Kühnheit


Iveder Konmttmisnnis noch isapitcilismus

Schon sehr heruntergekommen muß eine Bevölkerung sein, wenn eine Zucker¬
fabrik, eine Cellulosefabrik, eine Auilinfarbenfabrik, eine Galmei- oder Arsenik¬
oder Quecksilbergrube Arbeiter findet. Wo nicht schreckliche Not herrscht, kann
niemand eine solche Industrie begründen, also auch nicht reich darin werden.
Schon in ein Kohlen- oder Eisenbergwcrk wird sich niemand ohne Not be¬
graben. Im Mittelalter stand es anders um die Sache; da waren die Berg¬
leute die Besitzer der Grube und durften dnrch ihre Arbeit wohlhabend oder
gar reich zu werden hoffen. Da verlockte also die Habsucht den Bauer, den
Pflug und das himmlische Licht mit der Arbeit in schauerlicher Nacht zu ver¬
tauschen.

Aber keine Regel ohne Ausnahmen. Es kommen Fälle vor, wo ein Mann,
der Erfinder- und Unternehmergenie verbindet, dnrch Schaffung eines neuen
oder Pflege eines jungen Jndustriezweiges Reichtümer erwirbt, ohne des Elends
zu bedürfen oder Elend zu erzeugen, ja vielleicht Tausenden zu bessern Arbeits¬
bedingungen verhilft, als sie bisher genossen. Das kommt jedoch nur bei
Industrien vor, die hochbezahlte Artikel von hohem Gebrauchswert herstellen
und zugleich starke, gesunde und intelligente Arbeiter erfordern. Die bekann¬
testen Vertreter dieser Art von Reichtumsbildung sind Borsig, Krupp und
Edison. Heute können es beim Lokomotivenbau weder Unternehmer noch Ar¬
beiter mehr so weit bringen, wie es Borsig und seine Leute gebracht haben,
denn vor vierzig Jahren kostete eine Lokomotive 20000 Thaler, heute nur noch
die Hälfte. Die Erzeugnisse der Herren Krupp, Armstrong und Bange sind,
nebenbei bemerkt, trotz ihrer stark fühlbaren Körperlichkeit mysteriöser Natur.
Wenn nämlich den Beteuerungen aller europäischen Regierungen, daß die Kriegs-
rüstungen nur die Erhaltung des Friedens zum Zweck haben, zu glauben ist,
dünn besteht ihr Gebrauchswert darin, durch ihr schreckliches Aussehe» und
Gekrach ihrem wirklichen Gebrauch vorzubeugen. Übrigens erscheinen mich
jene Industrien, in denen die Arbeit unangenehm und der Lohn niedrig ist,
zuweilen als ein Glück für die Bevölkerung, wenn nämlich die Lage der Land¬
arbeiter sehr elend oder vielleicht sogar überhaupt keine Arbeit zu haben ist;
sie erretten dann viele vom Hungertode und erhöhen durch die Konkurrenz
den ländlichen Arbeitslohn.

Im Großhandel sind zu verschiednen Zeiten auf sehr verschiedne Weise
große Vermöge» entstanden. Dem gemeinen, mit Mord und Brand verbundnen
Raub ist erst in unsrer Zeit dnrch die völkerrechtliche Abschaffung der Kaperei
ein Ende gemacht worden. Im Altertum und Mittelalter kamen Handels¬
gewinne von 10000 Prozenten vor, ohne daß irgend jemand das Recht ge¬
habt hätte, sich über Ausbeutung zu beklagen. Wenn dem Kaufmann im
Altertume Bernstein, im Mittelalter Gewürz mit dem Hundertfachen des Ein¬
kaufspreises bezahlt wurden, so handelte es sich um Waren, die niemand un¬
bedingt brauchte, und die mau ohne die Findigkeit, Ausdauer und Kühnheit


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[0576] Iveder Konmttmisnnis noch isapitcilismus Schon sehr heruntergekommen muß eine Bevölkerung sein, wenn eine Zucker¬ fabrik, eine Cellulosefabrik, eine Auilinfarbenfabrik, eine Galmei- oder Arsenik¬ oder Quecksilbergrube Arbeiter findet. Wo nicht schreckliche Not herrscht, kann niemand eine solche Industrie begründen, also auch nicht reich darin werden. Schon in ein Kohlen- oder Eisenbergwcrk wird sich niemand ohne Not be¬ graben. Im Mittelalter stand es anders um die Sache; da waren die Berg¬ leute die Besitzer der Grube und durften dnrch ihre Arbeit wohlhabend oder gar reich zu werden hoffen. Da verlockte also die Habsucht den Bauer, den Pflug und das himmlische Licht mit der Arbeit in schauerlicher Nacht zu ver¬ tauschen. Aber keine Regel ohne Ausnahmen. Es kommen Fälle vor, wo ein Mann, der Erfinder- und Unternehmergenie verbindet, dnrch Schaffung eines neuen oder Pflege eines jungen Jndustriezweiges Reichtümer erwirbt, ohne des Elends zu bedürfen oder Elend zu erzeugen, ja vielleicht Tausenden zu bessern Arbeits¬ bedingungen verhilft, als sie bisher genossen. Das kommt jedoch nur bei Industrien vor, die hochbezahlte Artikel von hohem Gebrauchswert herstellen und zugleich starke, gesunde und intelligente Arbeiter erfordern. Die bekann¬ testen Vertreter dieser Art von Reichtumsbildung sind Borsig, Krupp und Edison. Heute können es beim Lokomotivenbau weder Unternehmer noch Ar¬ beiter mehr so weit bringen, wie es Borsig und seine Leute gebracht haben, denn vor vierzig Jahren kostete eine Lokomotive 20000 Thaler, heute nur noch die Hälfte. Die Erzeugnisse der Herren Krupp, Armstrong und Bange sind, nebenbei bemerkt, trotz ihrer stark fühlbaren Körperlichkeit mysteriöser Natur. Wenn nämlich den Beteuerungen aller europäischen Regierungen, daß die Kriegs- rüstungen nur die Erhaltung des Friedens zum Zweck haben, zu glauben ist, dünn besteht ihr Gebrauchswert darin, durch ihr schreckliches Aussehe» und Gekrach ihrem wirklichen Gebrauch vorzubeugen. Übrigens erscheinen mich jene Industrien, in denen die Arbeit unangenehm und der Lohn niedrig ist, zuweilen als ein Glück für die Bevölkerung, wenn nämlich die Lage der Land¬ arbeiter sehr elend oder vielleicht sogar überhaupt keine Arbeit zu haben ist; sie erretten dann viele vom Hungertode und erhöhen durch die Konkurrenz den ländlichen Arbeitslohn. Im Großhandel sind zu verschiednen Zeiten auf sehr verschiedne Weise große Vermöge» entstanden. Dem gemeinen, mit Mord und Brand verbundnen Raub ist erst in unsrer Zeit dnrch die völkerrechtliche Abschaffung der Kaperei ein Ende gemacht worden. Im Altertum und Mittelalter kamen Handels¬ gewinne von 10000 Prozenten vor, ohne daß irgend jemand das Recht ge¬ habt hätte, sich über Ausbeutung zu beklagen. Wenn dem Kaufmann im Altertume Bernstein, im Mittelalter Gewürz mit dem Hundertfachen des Ein¬ kaufspreises bezahlt wurden, so handelte es sich um Waren, die niemand un¬ bedingt brauchte, und die mau ohne die Findigkeit, Ausdauer und Kühnheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/576>, abgerufen am 26.06.2024.