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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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weder Kommunismus noch Kapitalismus

noch kein Platz, auf dem man schnell reich wird. Nach heutigem Maßstabe
reich kann man überhaupt nicht draus werden. Der Unterschied zwischen heute
und dem Mittelalter besteht nur darin, daß die Besitzlosigkeit der ländlichen
Arbeiter zusnmmeu mit den höhern Lebensmittelpreisen, die wiederum die Not
der industrielle!! Bevölkerung bedeuten, den potentiellen Reichtum des Land¬
gutes aktuell gemacht haben. Der mittelalterliche Graf konnte zehn Quadrat-
meilen besitzen und doch bei bester Wirtschaft vielleicht nicht soviel Geld heraus¬
schlagen, als zum Bau eines schönem Schlosses oder auch nur zu eiuer Reise
nach Italien erforderlich war; heute wirft manchmal schon eine Zehntelquadrat¬
meile soviel ab. Man kann sich nicht mit Landwirtschaft ein Rittergut er¬
arbeiten, sondern muß eS schon haben, um das, was es abwirft, genießen zu
können. Aber sobald der Gutsbesitzer zugleich Großindustrieller wird, kann er
rasch reich werden.

Ein Beispiel aus der Wirklichkeit: Vor ungefähr fünfzig Jahren kaufte
ein -- sagen wir Geschäftsmann mit sehr mäßigen Mitteln ein kleines Do-
minium. Hier gründete er eine Spiritus- und Preßhefensabrik. Da er die
Konjunkturen auszunutzen verstand -- namentlich spielten dabei die bedeu¬
tenden Exportprämien, also Unterstützungen aus dem Staatssäckel, eine
bedeutende Rolle --, so sammelte er schnell ein bedeutendes Vermögen,
das er teils in anderweitigen Industrien, teils in dazu gekauften Land¬
gütern anlegte. Aus ihnen bildete später sein Sohn einen Fideikommiß und
kaufte außerdem in einer andern Gegend "och eine Maguatenherrschaft, sodaß
er seinen beiden Kindern zwei große Herrschaften hinterlassen konnte. Es ist
klar, daß dieses große Vermögen nicht hätte begründet werden können, wenn
es nicht besitzlose Arbeiter gegeben hätte, denn Leute, die Grund und Boden
zu eigen haben, arbeiten nicht in einer Spiritusfabrik. Denken wir uns in
der Nachbarschaft eines heutigen Rittergutes mit oder ohne Industrie durch
ein Wunder etliche tausend Morgen Land frei werden, so geht es dein Besitzer
wie Herrn Peel: alles läuft ihm fort und siedelt sich an; ihm bleibt weder
ein Knecht, noch ein Tagelöhner, noch ein Brenuereiarbeiter. So entstehen
heute Magnateuherrschasteu. In ältern Zeiten sind sie bekanntlich durch Er¬
oberung, durch Konfiskationen, Bauernlegen n. f. w. entstanden.

Mit diesem Beispiele haben wir bereits in die zweite Klasse der großen
Vermögen übergegriffen, die industriellen, bei denen wir uns nach dem, was
Nur über England gesagt haben, kurz fassen können. Alle Fabrikarbeit ist mehr
oder weniger unangenehm, und fänden alle Menschen als Bauern oder Hand¬
werker ihr Fortkommen, so hätte niemals eine Fabrik entstehen können. Nur
die furchtbarste Not hat die englischen Handweber so weit bringen können,
daß sie sich endlich zur Arbeit in den Spinn- und Webfabriken bequemt haben,
und die sächsischen und schlesischen Handweber leisten der Nötigung zur Preis-
gebung ihrer Selbständigkeit bis ans den heutigen Tag heroischen Widerstand.


weder Kommunismus noch Kapitalismus

noch kein Platz, auf dem man schnell reich wird. Nach heutigem Maßstabe
reich kann man überhaupt nicht draus werden. Der Unterschied zwischen heute
und dem Mittelalter besteht nur darin, daß die Besitzlosigkeit der ländlichen
Arbeiter zusnmmeu mit den höhern Lebensmittelpreisen, die wiederum die Not
der industrielle!! Bevölkerung bedeuten, den potentiellen Reichtum des Land¬
gutes aktuell gemacht haben. Der mittelalterliche Graf konnte zehn Quadrat-
meilen besitzen und doch bei bester Wirtschaft vielleicht nicht soviel Geld heraus¬
schlagen, als zum Bau eines schönem Schlosses oder auch nur zu eiuer Reise
nach Italien erforderlich war; heute wirft manchmal schon eine Zehntelquadrat¬
meile soviel ab. Man kann sich nicht mit Landwirtschaft ein Rittergut er¬
arbeiten, sondern muß eS schon haben, um das, was es abwirft, genießen zu
können. Aber sobald der Gutsbesitzer zugleich Großindustrieller wird, kann er
rasch reich werden.

Ein Beispiel aus der Wirklichkeit: Vor ungefähr fünfzig Jahren kaufte
ein — sagen wir Geschäftsmann mit sehr mäßigen Mitteln ein kleines Do-
minium. Hier gründete er eine Spiritus- und Preßhefensabrik. Da er die
Konjunkturen auszunutzen verstand — namentlich spielten dabei die bedeu¬
tenden Exportprämien, also Unterstützungen aus dem Staatssäckel, eine
bedeutende Rolle —, so sammelte er schnell ein bedeutendes Vermögen,
das er teils in anderweitigen Industrien, teils in dazu gekauften Land¬
gütern anlegte. Aus ihnen bildete später sein Sohn einen Fideikommiß und
kaufte außerdem in einer andern Gegend »och eine Maguatenherrschaft, sodaß
er seinen beiden Kindern zwei große Herrschaften hinterlassen konnte. Es ist
klar, daß dieses große Vermögen nicht hätte begründet werden können, wenn
es nicht besitzlose Arbeiter gegeben hätte, denn Leute, die Grund und Boden
zu eigen haben, arbeiten nicht in einer Spiritusfabrik. Denken wir uns in
der Nachbarschaft eines heutigen Rittergutes mit oder ohne Industrie durch
ein Wunder etliche tausend Morgen Land frei werden, so geht es dein Besitzer
wie Herrn Peel: alles läuft ihm fort und siedelt sich an; ihm bleibt weder
ein Knecht, noch ein Tagelöhner, noch ein Brenuereiarbeiter. So entstehen
heute Magnateuherrschasteu. In ältern Zeiten sind sie bekanntlich durch Er¬
oberung, durch Konfiskationen, Bauernlegen n. f. w. entstanden.

Mit diesem Beispiele haben wir bereits in die zweite Klasse der großen
Vermögen übergegriffen, die industriellen, bei denen wir uns nach dem, was
Nur über England gesagt haben, kurz fassen können. Alle Fabrikarbeit ist mehr
oder weniger unangenehm, und fänden alle Menschen als Bauern oder Hand¬
werker ihr Fortkommen, so hätte niemals eine Fabrik entstehen können. Nur
die furchtbarste Not hat die englischen Handweber so weit bringen können,
daß sie sich endlich zur Arbeit in den Spinn- und Webfabriken bequemt haben,
und die sächsischen und schlesischen Handweber leisten der Nötigung zur Preis-
gebung ihrer Selbständigkeit bis ans den heutigen Tag heroischen Widerstand.


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[0575] weder Kommunismus noch Kapitalismus noch kein Platz, auf dem man schnell reich wird. Nach heutigem Maßstabe reich kann man überhaupt nicht draus werden. Der Unterschied zwischen heute und dem Mittelalter besteht nur darin, daß die Besitzlosigkeit der ländlichen Arbeiter zusnmmeu mit den höhern Lebensmittelpreisen, die wiederum die Not der industrielle!! Bevölkerung bedeuten, den potentiellen Reichtum des Land¬ gutes aktuell gemacht haben. Der mittelalterliche Graf konnte zehn Quadrat- meilen besitzen und doch bei bester Wirtschaft vielleicht nicht soviel Geld heraus¬ schlagen, als zum Bau eines schönem Schlosses oder auch nur zu eiuer Reise nach Italien erforderlich war; heute wirft manchmal schon eine Zehntelquadrat¬ meile soviel ab. Man kann sich nicht mit Landwirtschaft ein Rittergut er¬ arbeiten, sondern muß eS schon haben, um das, was es abwirft, genießen zu können. Aber sobald der Gutsbesitzer zugleich Großindustrieller wird, kann er rasch reich werden. Ein Beispiel aus der Wirklichkeit: Vor ungefähr fünfzig Jahren kaufte ein — sagen wir Geschäftsmann mit sehr mäßigen Mitteln ein kleines Do- minium. Hier gründete er eine Spiritus- und Preßhefensabrik. Da er die Konjunkturen auszunutzen verstand — namentlich spielten dabei die bedeu¬ tenden Exportprämien, also Unterstützungen aus dem Staatssäckel, eine bedeutende Rolle —, so sammelte er schnell ein bedeutendes Vermögen, das er teils in anderweitigen Industrien, teils in dazu gekauften Land¬ gütern anlegte. Aus ihnen bildete später sein Sohn einen Fideikommiß und kaufte außerdem in einer andern Gegend »och eine Maguatenherrschaft, sodaß er seinen beiden Kindern zwei große Herrschaften hinterlassen konnte. Es ist klar, daß dieses große Vermögen nicht hätte begründet werden können, wenn es nicht besitzlose Arbeiter gegeben hätte, denn Leute, die Grund und Boden zu eigen haben, arbeiten nicht in einer Spiritusfabrik. Denken wir uns in der Nachbarschaft eines heutigen Rittergutes mit oder ohne Industrie durch ein Wunder etliche tausend Morgen Land frei werden, so geht es dein Besitzer wie Herrn Peel: alles läuft ihm fort und siedelt sich an; ihm bleibt weder ein Knecht, noch ein Tagelöhner, noch ein Brenuereiarbeiter. So entstehen heute Magnateuherrschasteu. In ältern Zeiten sind sie bekanntlich durch Er¬ oberung, durch Konfiskationen, Bauernlegen n. f. w. entstanden. Mit diesem Beispiele haben wir bereits in die zweite Klasse der großen Vermögen übergegriffen, die industriellen, bei denen wir uns nach dem, was Nur über England gesagt haben, kurz fassen können. Alle Fabrikarbeit ist mehr oder weniger unangenehm, und fänden alle Menschen als Bauern oder Hand¬ werker ihr Fortkommen, so hätte niemals eine Fabrik entstehen können. Nur die furchtbarste Not hat die englischen Handweber so weit bringen können, daß sie sich endlich zur Arbeit in den Spinn- und Webfabriken bequemt haben, und die sächsischen und schlesischen Handweber leisten der Nötigung zur Preis- gebung ihrer Selbständigkeit bis ans den heutigen Tag heroischen Widerstand.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/575>, abgerufen am 26.06.2024.