Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Glas Wein trinken und einen Sohn studiren lassen. Die sechs Tagelöhner-
familien sind in zwei Stücken schlechter dran als früher; sie sind nicht mehr
alle 365 Tage im Jahre freie Leute, und ihr Einkommen hat sich um einige
Prozente vermindert. In der Kost braucht diese Verminderung noch nicht zum
Ausdruck zu kommen, beim Bauer alten Schlages haben Tagelöhner und Ge¬
sinde reichlich und gut zu essen; aber im übrigen wird mau sich einschränken
müssen, und namentlich der Sparpfennig wird kleiner ausfallen. Voraus¬
gesetzt nämlich, daß das Ehepaar tüchtig und ohne eigne Verschuldung (z.B.
durch Erbteiluug) um Dreiviertel des angestammten Besitzes gekommen ist.
Dann wird es diese Versetzung in eine tiefere soziale Klasse auch schmerzlich
empfinden. Für einen schlechten Wirt dagegen oder einen dummen Menschen
ist die Verringerung des Besitzes sogar ein Vorteil; denn als selbständiger
Wirt würde er in Schulden geraten und seine Familie ius Elend stürzen,
während er unter der Leitung des Bauern vielleicht ganz gut arbeitet und seine
Familie versorgt ist.

Denken wir uus endlich eine dritte Stufe erreicht: einige Bauerngüter
und einige Ackerhänslerstelleu siud zu einem. Rittergilde verschmolzen -- daß
auf diese Weise für gewöhnlich leine Rittergüter entstehen, wissen wir natür¬
lich --, die frühern Besitzer sind besitzlose Tagelöhner geworden und finden
ihren Lebensunterhalt beim Rittergutsbesitzer. Einige mögen ja auch dem
Bauer frohnten, aber wir nehmen lieber den gnädigen Herrn vor. Denn der
durchschnittliche Bauer denkt zu christlich, fühlt sich seinem Mitarbeiter zu
menschlich nahe und hat sich noch zu wenig in die Rolle des kaufmännischen
Unternehmers eingelebt, um seine Übermacht über den besitzlosen Arbeiter völlig
auszunutzen. Der durchschnittliche Rittergutsbesitzer von heute thut das; er
gewährt dem Arbeiter uicht einen Pfennig Lohn und nicht ein trocknes Stück
Brot mehr, als er uach der Lage des Arbeitsmarktes gewähren muß. Es ist
nnn klar, daß der Besitzlose die angebotne Arbeit unter jeder Bedingung an¬
nehmen muß. Der AckerhäuSler hat sein Hans, seine Kartoffeln im Keller,
seine Kuh und seine Speckseite in der Kammer, er kommt nicht gleich um,
wenn er einmal ein paar Monate keine ihm zusagende Arbeit findet; der
besitzlose Einlieger gerät gewöhnlich schon nach wenigen Wochen der Arbeits¬
losigkeit in die äußerste Not. Er kommt also durchschnittlich billiger zu stehen
als der Ackerhäusler, oder was dasselbe ist, der Rittergutsbesitzer schlägt aus
seinen Tagelöhnern mehr heraus als der Bauer ans den seinigen. Der hohe
Ertrag also, den das Gut dem Rittergutsbesitzer abwirft, ihm selbst oder
seiner anspruchsvollen Frau oder dem Herrn Sohne, der das Geld verkneipt,
verspielt u. s. w., oder seinen Gläubigern, dieser hohe Ertrag also ist lediglich
dein Umstände zu verdanken, daß es besitzlose, also elende Menschen im
Lande giebt.

Trotzdem ist ein Rittergut, auf dem bloß Landwirtschaft betrieben wird,


Glas Wein trinken und einen Sohn studiren lassen. Die sechs Tagelöhner-
familien sind in zwei Stücken schlechter dran als früher; sie sind nicht mehr
alle 365 Tage im Jahre freie Leute, und ihr Einkommen hat sich um einige
Prozente vermindert. In der Kost braucht diese Verminderung noch nicht zum
Ausdruck zu kommen, beim Bauer alten Schlages haben Tagelöhner und Ge¬
sinde reichlich und gut zu essen; aber im übrigen wird mau sich einschränken
müssen, und namentlich der Sparpfennig wird kleiner ausfallen. Voraus¬
gesetzt nämlich, daß das Ehepaar tüchtig und ohne eigne Verschuldung (z.B.
durch Erbteiluug) um Dreiviertel des angestammten Besitzes gekommen ist.
Dann wird es diese Versetzung in eine tiefere soziale Klasse auch schmerzlich
empfinden. Für einen schlechten Wirt dagegen oder einen dummen Menschen
ist die Verringerung des Besitzes sogar ein Vorteil; denn als selbständiger
Wirt würde er in Schulden geraten und seine Familie ius Elend stürzen,
während er unter der Leitung des Bauern vielleicht ganz gut arbeitet und seine
Familie versorgt ist.

Denken wir uus endlich eine dritte Stufe erreicht: einige Bauerngüter
und einige Ackerhänslerstelleu siud zu einem. Rittergilde verschmolzen — daß
auf diese Weise für gewöhnlich leine Rittergüter entstehen, wissen wir natür¬
lich —, die frühern Besitzer sind besitzlose Tagelöhner geworden und finden
ihren Lebensunterhalt beim Rittergutsbesitzer. Einige mögen ja auch dem
Bauer frohnten, aber wir nehmen lieber den gnädigen Herrn vor. Denn der
durchschnittliche Bauer denkt zu christlich, fühlt sich seinem Mitarbeiter zu
menschlich nahe und hat sich noch zu wenig in die Rolle des kaufmännischen
Unternehmers eingelebt, um seine Übermacht über den besitzlosen Arbeiter völlig
auszunutzen. Der durchschnittliche Rittergutsbesitzer von heute thut das; er
gewährt dem Arbeiter uicht einen Pfennig Lohn und nicht ein trocknes Stück
Brot mehr, als er uach der Lage des Arbeitsmarktes gewähren muß. Es ist
nnn klar, daß der Besitzlose die angebotne Arbeit unter jeder Bedingung an¬
nehmen muß. Der AckerhäuSler hat sein Hans, seine Kartoffeln im Keller,
seine Kuh und seine Speckseite in der Kammer, er kommt nicht gleich um,
wenn er einmal ein paar Monate keine ihm zusagende Arbeit findet; der
besitzlose Einlieger gerät gewöhnlich schon nach wenigen Wochen der Arbeits¬
losigkeit in die äußerste Not. Er kommt also durchschnittlich billiger zu stehen
als der Ackerhäusler, oder was dasselbe ist, der Rittergutsbesitzer schlägt aus
seinen Tagelöhnern mehr heraus als der Bauer ans den seinigen. Der hohe
Ertrag also, den das Gut dem Rittergutsbesitzer abwirft, ihm selbst oder
seiner anspruchsvollen Frau oder dem Herrn Sohne, der das Geld verkneipt,
verspielt u. s. w., oder seinen Gläubigern, dieser hohe Ertrag also ist lediglich
dein Umstände zu verdanken, daß es besitzlose, also elende Menschen im
Lande giebt.

Trotzdem ist ein Rittergut, auf dem bloß Landwirtschaft betrieben wird,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0574" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214366"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2065" prev="#ID_2064"> Glas Wein trinken und einen Sohn studiren lassen. Die sechs Tagelöhner-<lb/>
familien sind in zwei Stücken schlechter dran als früher; sie sind nicht mehr<lb/>
alle 365 Tage im Jahre freie Leute, und ihr Einkommen hat sich um einige<lb/>
Prozente vermindert. In der Kost braucht diese Verminderung noch nicht zum<lb/>
Ausdruck zu kommen, beim Bauer alten Schlages haben Tagelöhner und Ge¬<lb/>
sinde reichlich und gut zu essen; aber im übrigen wird mau sich einschränken<lb/>
müssen, und namentlich der Sparpfennig wird kleiner ausfallen. Voraus¬<lb/>
gesetzt nämlich, daß das Ehepaar tüchtig und ohne eigne Verschuldung (z.B.<lb/>
durch Erbteiluug) um Dreiviertel des angestammten Besitzes gekommen ist.<lb/>
Dann wird es diese Versetzung in eine tiefere soziale Klasse auch schmerzlich<lb/>
empfinden. Für einen schlechten Wirt dagegen oder einen dummen Menschen<lb/>
ist die Verringerung des Besitzes sogar ein Vorteil; denn als selbständiger<lb/>
Wirt würde er in Schulden geraten und seine Familie ius Elend stürzen,<lb/>
während er unter der Leitung des Bauern vielleicht ganz gut arbeitet und seine<lb/>
Familie versorgt ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2066"> Denken wir uus endlich eine dritte Stufe erreicht: einige Bauerngüter<lb/>
und einige Ackerhänslerstelleu siud zu einem. Rittergilde verschmolzen &#x2014; daß<lb/>
auf diese Weise für gewöhnlich leine Rittergüter entstehen, wissen wir natür¬<lb/>
lich &#x2014;, die frühern Besitzer sind besitzlose Tagelöhner geworden und finden<lb/>
ihren Lebensunterhalt beim Rittergutsbesitzer. Einige mögen ja auch dem<lb/>
Bauer frohnten, aber wir nehmen lieber den gnädigen Herrn vor. Denn der<lb/>
durchschnittliche Bauer denkt zu christlich, fühlt sich seinem Mitarbeiter zu<lb/>
menschlich nahe und hat sich noch zu wenig in die Rolle des kaufmännischen<lb/>
Unternehmers eingelebt, um seine Übermacht über den besitzlosen Arbeiter völlig<lb/>
auszunutzen. Der durchschnittliche Rittergutsbesitzer von heute thut das; er<lb/>
gewährt dem Arbeiter uicht einen Pfennig Lohn und nicht ein trocknes Stück<lb/>
Brot mehr, als er uach der Lage des Arbeitsmarktes gewähren muß. Es ist<lb/>
nnn klar, daß der Besitzlose die angebotne Arbeit unter jeder Bedingung an¬<lb/>
nehmen muß. Der AckerhäuSler hat sein Hans, seine Kartoffeln im Keller,<lb/>
seine Kuh und seine Speckseite in der Kammer, er kommt nicht gleich um,<lb/>
wenn er einmal ein paar Monate keine ihm zusagende Arbeit findet; der<lb/>
besitzlose Einlieger gerät gewöhnlich schon nach wenigen Wochen der Arbeits¬<lb/>
losigkeit in die äußerste Not. Er kommt also durchschnittlich billiger zu stehen<lb/>
als der Ackerhäusler, oder was dasselbe ist, der Rittergutsbesitzer schlägt aus<lb/>
seinen Tagelöhnern mehr heraus als der Bauer ans den seinigen. Der hohe<lb/>
Ertrag also, den das Gut dem Rittergutsbesitzer abwirft, ihm selbst oder<lb/>
seiner anspruchsvollen Frau oder dem Herrn Sohne, der das Geld verkneipt,<lb/>
verspielt u. s. w., oder seinen Gläubigern, dieser hohe Ertrag also ist lediglich<lb/>
dein Umstände zu verdanken, daß es besitzlose, also elende Menschen im<lb/>
Lande giebt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2067" next="#ID_2068"> Trotzdem ist ein Rittergut, auf dem bloß Landwirtschaft betrieben wird,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0574] Glas Wein trinken und einen Sohn studiren lassen. Die sechs Tagelöhner- familien sind in zwei Stücken schlechter dran als früher; sie sind nicht mehr alle 365 Tage im Jahre freie Leute, und ihr Einkommen hat sich um einige Prozente vermindert. In der Kost braucht diese Verminderung noch nicht zum Ausdruck zu kommen, beim Bauer alten Schlages haben Tagelöhner und Ge¬ sinde reichlich und gut zu essen; aber im übrigen wird mau sich einschränken müssen, und namentlich der Sparpfennig wird kleiner ausfallen. Voraus¬ gesetzt nämlich, daß das Ehepaar tüchtig und ohne eigne Verschuldung (z.B. durch Erbteiluug) um Dreiviertel des angestammten Besitzes gekommen ist. Dann wird es diese Versetzung in eine tiefere soziale Klasse auch schmerzlich empfinden. Für einen schlechten Wirt dagegen oder einen dummen Menschen ist die Verringerung des Besitzes sogar ein Vorteil; denn als selbständiger Wirt würde er in Schulden geraten und seine Familie ius Elend stürzen, während er unter der Leitung des Bauern vielleicht ganz gut arbeitet und seine Familie versorgt ist. Denken wir uus endlich eine dritte Stufe erreicht: einige Bauerngüter und einige Ackerhänslerstelleu siud zu einem. Rittergilde verschmolzen — daß auf diese Weise für gewöhnlich leine Rittergüter entstehen, wissen wir natür¬ lich —, die frühern Besitzer sind besitzlose Tagelöhner geworden und finden ihren Lebensunterhalt beim Rittergutsbesitzer. Einige mögen ja auch dem Bauer frohnten, aber wir nehmen lieber den gnädigen Herrn vor. Denn der durchschnittliche Bauer denkt zu christlich, fühlt sich seinem Mitarbeiter zu menschlich nahe und hat sich noch zu wenig in die Rolle des kaufmännischen Unternehmers eingelebt, um seine Übermacht über den besitzlosen Arbeiter völlig auszunutzen. Der durchschnittliche Rittergutsbesitzer von heute thut das; er gewährt dem Arbeiter uicht einen Pfennig Lohn und nicht ein trocknes Stück Brot mehr, als er uach der Lage des Arbeitsmarktes gewähren muß. Es ist nnn klar, daß der Besitzlose die angebotne Arbeit unter jeder Bedingung an¬ nehmen muß. Der AckerhäuSler hat sein Hans, seine Kartoffeln im Keller, seine Kuh und seine Speckseite in der Kammer, er kommt nicht gleich um, wenn er einmal ein paar Monate keine ihm zusagende Arbeit findet; der besitzlose Einlieger gerät gewöhnlich schon nach wenigen Wochen der Arbeits¬ losigkeit in die äußerste Not. Er kommt also durchschnittlich billiger zu stehen als der Ackerhäusler, oder was dasselbe ist, der Rittergutsbesitzer schlägt aus seinen Tagelöhnern mehr heraus als der Bauer ans den seinigen. Der hohe Ertrag also, den das Gut dem Rittergutsbesitzer abwirft, ihm selbst oder seiner anspruchsvollen Frau oder dem Herrn Sohne, der das Geld verkneipt, verspielt u. s. w., oder seinen Gläubigern, dieser hohe Ertrag also ist lediglich dein Umstände zu verdanken, daß es besitzlose, also elende Menschen im Lande giebt. Trotzdem ist ein Rittergut, auf dem bloß Landwirtschaft betrieben wird,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/574
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/574>, abgerufen am 26.06.2024.