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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Zvedcr Kommunismus noch Kapitalismus

kommen! während zu derselbe" Zeit bei uns, die wir einnndnemizig Einwohner
auf den Quadratkilometer haben, die mecklenburgischen und pommerschen Junker
die Auswaudrung erschweren oder womöglich verhindern möchten!

Um vollkommen klare Einsicht zu erlange", müssen wir uns den Prozeß,
der uns beschäftigt, im einzelnen vergegenwärtigen. Denken wir uns einen
von lauter Kleinbauern bewohnten Gan, deren jeder zwanzig Morgen besitzt,
dazu Anteil n" der Gemeindetrift und am Gemeindewald hat; in der Mitte
des Gaues eine Stadt, die das Landvolk mit gewerblichen und Handelsartikel"
versorgt. Die zwanzig Morgen reichen hin, einerseits die Arbeitskraft der
Bauernfamilie vollständig z" beschäftige", andrerseits sie "ut el"e städtische
Familie mit Nahrung und Kleiderstoffen zu versorgen. Die Bauernfamilie
genießt demnach ans der eigne" Wirtschaft reichliche, gesunde und hinlänglich
mannichfaltige Nahrung, denn anßer dem nötigsten fehlen weder Hühner,
Tauben und Eier, noch Kraut und Rüben, ferner ans dem Gemeindebesitz das
Material für Wohnung und Stallung, endlich aus dem Erlös ihres halben
Arbeitsprodukts mannichfache Würze der Kost, Kleidung und Hausrat (wovon
übrigens einiges aus eignen Rohstoffen daheim angefertigt wird) und das
Geld für Steuern und außergewöhnliche Fälle; eine Kleinigkeit wird erspart
werden können. Sämtliche Familien erfreue" sich also der Freiheit, Selbstän¬
digkeit "ut genügenden Behagens.

Denke" wir "us um" die Vesitzverhältnisse im Ga" -- vielleicht infolge
verschiedner Tüchtigkeit und Umsicht der Besitzer -- in der Weise verschoben,
daß immer auf einen Bauer vou hundertundzehn Morgen sechs Häusler vou
je fünf Morgen kommen. Weder kann der Bauer seine" Acker mit seiner
Familie allein bewirtschaften, noch reicht eine Ackerhnuslerstelle zur Ernährung
der Familie und zur Verwendung ihrer Arbeitskraft aus. Die Häusler¬
familien werden demnach auf dem Bauergute tagelöhnern, und ihre Söhne
und Töchter werden als Gesinde darauf dienen. Denken wir uus ihre Leistungen
nach Ackerflächen eingeteilt, so wird vielleicht die Arbeitsleistung jeder einzelnen
Familie so groß sei" wie vorher. Nämlich jede Häuslerfamilie wird außer
ihrem eignen Felde noch fünfzehn Morgen des Bauerackers bestellen und ab¬
ernten, und der Bauer wird die übrige" zwanzig Morgen besorgen. Es ist
aber klar, daß der Häusler nicht den ganzen Ertrag der fünfzehn Morgen in
Geld oder in Früchten mit nach Hanse nehmen darf, sodaß er soviel Ein¬
kommen hätte, als gehörten ihm noch alle zwanzig Morgen -- da würde ihm
der Bauer lieber die fünfzehn Morgen gleich schenke"; sonder" er muß dem
Bauer einen Teil seines Arbeitsertrages abtreten. Von dem Mehr "un, das
seinem eignen Arbeitsprodukt die Abzüge von den Arbeitserträgen der sechs
Tagelöhnerfamilien hinzufügen, kann sich der Bauer sein Haus größer und
schöner bauen, es schöner ausstatten, einen Kutsch wagen, allen Familiengliedern
bessere Kleider, seinen Weibslenten einigen Schmuck anschaffen, ab und zu ein


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kommen! während zu derselbe» Zeit bei uns, die wir einnndnemizig Einwohner
auf den Quadratkilometer haben, die mecklenburgischen und pommerschen Junker
die Auswaudrung erschweren oder womöglich verhindern möchten!

Um vollkommen klare Einsicht zu erlange», müssen wir uns den Prozeß,
der uns beschäftigt, im einzelnen vergegenwärtigen. Denken wir uns einen
von lauter Kleinbauern bewohnten Gan, deren jeder zwanzig Morgen besitzt,
dazu Anteil n» der Gemeindetrift und am Gemeindewald hat; in der Mitte
des Gaues eine Stadt, die das Landvolk mit gewerblichen und Handelsartikel»
versorgt. Die zwanzig Morgen reichen hin, einerseits die Arbeitskraft der
Bauernfamilie vollständig z» beschäftige», andrerseits sie »ut el»e städtische
Familie mit Nahrung und Kleiderstoffen zu versorgen. Die Bauernfamilie
genießt demnach ans der eigne» Wirtschaft reichliche, gesunde und hinlänglich
mannichfaltige Nahrung, denn anßer dem nötigsten fehlen weder Hühner,
Tauben und Eier, noch Kraut und Rüben, ferner ans dem Gemeindebesitz das
Material für Wohnung und Stallung, endlich aus dem Erlös ihres halben
Arbeitsprodukts mannichfache Würze der Kost, Kleidung und Hausrat (wovon
übrigens einiges aus eignen Rohstoffen daheim angefertigt wird) und das
Geld für Steuern und außergewöhnliche Fälle; eine Kleinigkeit wird erspart
werden können. Sämtliche Familien erfreue» sich also der Freiheit, Selbstän¬
digkeit »ut genügenden Behagens.

Denke» wir »us um» die Vesitzverhältnisse im Ga» — vielleicht infolge
verschiedner Tüchtigkeit und Umsicht der Besitzer — in der Weise verschoben,
daß immer auf einen Bauer vou hundertundzehn Morgen sechs Häusler vou
je fünf Morgen kommen. Weder kann der Bauer seine» Acker mit seiner
Familie allein bewirtschaften, noch reicht eine Ackerhnuslerstelle zur Ernährung
der Familie und zur Verwendung ihrer Arbeitskraft aus. Die Häusler¬
familien werden demnach auf dem Bauergute tagelöhnern, und ihre Söhne
und Töchter werden als Gesinde darauf dienen. Denken wir uus ihre Leistungen
nach Ackerflächen eingeteilt, so wird vielleicht die Arbeitsleistung jeder einzelnen
Familie so groß sei» wie vorher. Nämlich jede Häuslerfamilie wird außer
ihrem eignen Felde noch fünfzehn Morgen des Bauerackers bestellen und ab¬
ernten, und der Bauer wird die übrige» zwanzig Morgen besorgen. Es ist
aber klar, daß der Häusler nicht den ganzen Ertrag der fünfzehn Morgen in
Geld oder in Früchten mit nach Hanse nehmen darf, sodaß er soviel Ein¬
kommen hätte, als gehörten ihm noch alle zwanzig Morgen — da würde ihm
der Bauer lieber die fünfzehn Morgen gleich schenke»; sonder» er muß dem
Bauer einen Teil seines Arbeitsertrages abtreten. Von dem Mehr »un, das
seinem eignen Arbeitsprodukt die Abzüge von den Arbeitserträgen der sechs
Tagelöhnerfamilien hinzufügen, kann sich der Bauer sein Haus größer und
schöner bauen, es schöner ausstatten, einen Kutsch wagen, allen Familiengliedern
bessere Kleider, seinen Weibslenten einigen Schmuck anschaffen, ab und zu ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/573>, abgerufen am 26.06.2024.