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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Weder Kommunismus noch Kapitalismus

NUN einmal bestehen. Der Vörsensteuer wünschen wir den besten Erfolg. Aber
sicher ist, daß sie den notwendigen Bedarf allein nicht aufbringen kann. Was
dann? Das Reich ist M der glücklichen Lage, seinen Mehrbedarf allezeit
von den Einzelstaaten einfordern zu können. Der Verzicht auf die Bier-
und Branntweinsteuer würde also unmittelbar zur Folge haben, die einzelnen
Buudesstciaten zur stärkern Anspannung ihrer direkten Besteuerung zu zwingen.
Für jede einzelstaatliche Steuerreform ist aber, wie heute die Dinge liegen,
dnrch die technisch ausgezeichnete und eminent gerechte Steuerpolitik des preußi¬
schen Finanzministers Miquel ein sür allemal der Weg gewiesen. So würde
mittelbar die Militärvorlage auch ein Stück ausgleichender Sozialpolitik nach
sich ziehen. Und dann brauchten, darin stimmen wir der vortrefflichen kleinen
Broschüre Iastrows bei, die Deutschen auch nicht mehr zu fürchten, daß andre
wichtige, unter dem Zeichen des Mars jetzt über Gebühr vernachlässigte
Knlturintercssen dauernd zurückgesetzt werden müßten.




Weder Kommunismus noch Kapitalismus
10

ir haben in einer Reihe von Aufsätzen die Entwicklung der eng¬
MM lischen und der deutschen Arbeit und ihre Ergebnisse skizzirt.
Aus dieser Skizze hat sich ein Gesetz ergeben: dem ärmern Volke,
also der Masse des Volkes, geht es wohl, so lange reichlich freier
Grund und Boden vorhanden ist, oder anders ausgedrückt, so
lange es dem Boden an Händen fehlt; kehrt sich das Verhältnis um, fehlt
es den Händen an Boden, gleichviel ob infolge wirklicher Übervölkerung oder
weil dem Volke durch Gewaltthat, die sich meist in Gesetze verkleidet, sein Land
gesperrt wird, so ist das Volk elend. Außerdem haben wir eine für die Be¬
urteilung der heutigen Lage wichtige Thatsache gefunden. Im Mittelalter ent¬
sprangen die Leiden der nordeuropäischen Volker der unvollkommen beherrschten
Natur in einem kalten Klima. Sofern diese Völker solche Bequemlichkeiten
entbehrten, die dem Menschen nicht an sich, sondern nur durch Gewohnheit
oder Verwöhnung Bedürfnis sind, wurde solche Entbehrung gar nicht als
Leide" empfunden. Was aber so empfunden wurde, z. B. die Winterkälte, für
deren Abwehr man trotz großen Holzreichtums sehr unvollkommen gerüstet
war, daraus entsprang kein sozialer Gegensatz, weil die Reichen diese Un-
bequeiulichkeiteu so gut zu tragen hatten wie die Armen, und weil die Zahl


Weder Kommunismus noch Kapitalismus

NUN einmal bestehen. Der Vörsensteuer wünschen wir den besten Erfolg. Aber
sicher ist, daß sie den notwendigen Bedarf allein nicht aufbringen kann. Was
dann? Das Reich ist M der glücklichen Lage, seinen Mehrbedarf allezeit
von den Einzelstaaten einfordern zu können. Der Verzicht auf die Bier-
und Branntweinsteuer würde also unmittelbar zur Folge haben, die einzelnen
Buudesstciaten zur stärkern Anspannung ihrer direkten Besteuerung zu zwingen.
Für jede einzelstaatliche Steuerreform ist aber, wie heute die Dinge liegen,
dnrch die technisch ausgezeichnete und eminent gerechte Steuerpolitik des preußi¬
schen Finanzministers Miquel ein sür allemal der Weg gewiesen. So würde
mittelbar die Militärvorlage auch ein Stück ausgleichender Sozialpolitik nach
sich ziehen. Und dann brauchten, darin stimmen wir der vortrefflichen kleinen
Broschüre Iastrows bei, die Deutschen auch nicht mehr zu fürchten, daß andre
wichtige, unter dem Zeichen des Mars jetzt über Gebühr vernachlässigte
Knlturintercssen dauernd zurückgesetzt werden müßten.




Weder Kommunismus noch Kapitalismus
10

ir haben in einer Reihe von Aufsätzen die Entwicklung der eng¬
MM lischen und der deutschen Arbeit und ihre Ergebnisse skizzirt.
Aus dieser Skizze hat sich ein Gesetz ergeben: dem ärmern Volke,
also der Masse des Volkes, geht es wohl, so lange reichlich freier
Grund und Boden vorhanden ist, oder anders ausgedrückt, so
lange es dem Boden an Händen fehlt; kehrt sich das Verhältnis um, fehlt
es den Händen an Boden, gleichviel ob infolge wirklicher Übervölkerung oder
weil dem Volke durch Gewaltthat, die sich meist in Gesetze verkleidet, sein Land
gesperrt wird, so ist das Volk elend. Außerdem haben wir eine für die Be¬
urteilung der heutigen Lage wichtige Thatsache gefunden. Im Mittelalter ent¬
sprangen die Leiden der nordeuropäischen Volker der unvollkommen beherrschten
Natur in einem kalten Klima. Sofern diese Völker solche Bequemlichkeiten
entbehrten, die dem Menschen nicht an sich, sondern nur durch Gewohnheit
oder Verwöhnung Bedürfnis sind, wurde solche Entbehrung gar nicht als
Leide» empfunden. Was aber so empfunden wurde, z. B. die Winterkälte, für
deren Abwehr man trotz großen Holzreichtums sehr unvollkommen gerüstet
war, daraus entsprang kein sozialer Gegensatz, weil die Reichen diese Un-
bequeiulichkeiteu so gut zu tragen hatten wie die Armen, und weil die Zahl


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[0568] Weder Kommunismus noch Kapitalismus NUN einmal bestehen. Der Vörsensteuer wünschen wir den besten Erfolg. Aber sicher ist, daß sie den notwendigen Bedarf allein nicht aufbringen kann. Was dann? Das Reich ist M der glücklichen Lage, seinen Mehrbedarf allezeit von den Einzelstaaten einfordern zu können. Der Verzicht auf die Bier- und Branntweinsteuer würde also unmittelbar zur Folge haben, die einzelnen Buudesstciaten zur stärkern Anspannung ihrer direkten Besteuerung zu zwingen. Für jede einzelstaatliche Steuerreform ist aber, wie heute die Dinge liegen, dnrch die technisch ausgezeichnete und eminent gerechte Steuerpolitik des preußi¬ schen Finanzministers Miquel ein sür allemal der Weg gewiesen. So würde mittelbar die Militärvorlage auch ein Stück ausgleichender Sozialpolitik nach sich ziehen. Und dann brauchten, darin stimmen wir der vortrefflichen kleinen Broschüre Iastrows bei, die Deutschen auch nicht mehr zu fürchten, daß andre wichtige, unter dem Zeichen des Mars jetzt über Gebühr vernachlässigte Knlturintercssen dauernd zurückgesetzt werden müßten. Weder Kommunismus noch Kapitalismus 10 ir haben in einer Reihe von Aufsätzen die Entwicklung der eng¬ MM lischen und der deutschen Arbeit und ihre Ergebnisse skizzirt. Aus dieser Skizze hat sich ein Gesetz ergeben: dem ärmern Volke, also der Masse des Volkes, geht es wohl, so lange reichlich freier Grund und Boden vorhanden ist, oder anders ausgedrückt, so lange es dem Boden an Händen fehlt; kehrt sich das Verhältnis um, fehlt es den Händen an Boden, gleichviel ob infolge wirklicher Übervölkerung oder weil dem Volke durch Gewaltthat, die sich meist in Gesetze verkleidet, sein Land gesperrt wird, so ist das Volk elend. Außerdem haben wir eine für die Be¬ urteilung der heutigen Lage wichtige Thatsache gefunden. Im Mittelalter ent¬ sprangen die Leiden der nordeuropäischen Volker der unvollkommen beherrschten Natur in einem kalten Klima. Sofern diese Völker solche Bequemlichkeiten entbehrten, die dem Menschen nicht an sich, sondern nur durch Gewohnheit oder Verwöhnung Bedürfnis sind, wurde solche Entbehrung gar nicht als Leide» empfunden. Was aber so empfunden wurde, z. B. die Winterkälte, für deren Abwehr man trotz großen Holzreichtums sehr unvollkommen gerüstet war, daraus entsprang kein sozialer Gegensatz, weil die Reichen diese Un- bequeiulichkeiteu so gut zu tragen hatten wie die Armen, und weil die Zahl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/568>, abgerufen am 26.06.2024.