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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Das Fräulein

Ich bin aber doch größer! rief Elsa, in ihrem Ehrgeiz als Älteste
gekränkt,

Frau Rose schnitt den Anciennitätsftrcit kurz ab: Still! Erzählt lieber,
wie der Onkel aussah.

O reizend! Er hatte einen kleinen blonden Schnurrbart und einen
Waffenrock --

Nein, einen Überrock!

Er sagte, Waffenrock!

Nein, Überrock!

Zanke euch doch uicht immer. Was sagte er denn zu Fräulein?

Was er sagte? wiederholte Elsa nachdenklich. Na, er sagte: Liebe Minna,
da bist du ja endlich! Famos!

Liebe Minna, da bist du ja endlich? Famos? Soooh? -- Würde denn
Fräulein rot, als sie ihn sah?

Die Kinder blickten sich ratlos an. Dann bemerkte Elsa: Rot? Solde,
war sie rot?

Rot wie eine Pute, erwiderte Isolde, die sich freute, endlich einmal mehr
gesehen und mehr bemerkt zu haben als die ältere Schwester.

Soooh? Also auch rot? Na gute Nacht, Herzchen.

Am Abend hielt Frau Rose mit ihrem Süßel eine feierliche Beratung.
Sie erzählte ihm das schreckliche Abenteuer. Also ein Soldat, ein Offizier
oder ein Einjähriger! schloß sie ihre Erzählung. Die Person entblödet sich
nicht, womöglich mit einem gemeinen Soldaten anzubinden. Und er nennt
sie schon du, und sie wird rot, wenn er kommt.

Vielleicht war es ihr Bruder, sie hat ja so viele Geschwister, wandte das
Süßel schüchtern ein.

Ihr Bruder und Offizier? Geh, die sind ja so arm, daß sie nichts
zu beißen haben, und da Offizier? Und warum wurde sie denn rot? Über
Brüder braucht man doch nicht rot zu werden.

Du sagtest doch eben, es sei ein gemeiner Soldat gewesen.

Mit dir ist überhaupt uicht zu reden, Fritzel, du hast deinen schlechten
Tag. Ich werde die Sache in die Hand nehmen. Mische du dich nur um
Gottes willen nicht ein. Du bist eben kein Diplomat, Mündel, du könntest
die ganze Geschichte verderben.'

In Wahrheit hatte Frau Rose ihren schlechten Tag, denn die Taillen¬
messung am Morgen hatte einen Centimeter mehr ergeben. Sie hatte infolge
dessen 'feierlich gelobt, nie wieder füße Speise zu essen,' hatte auch beim Mittag¬
mahl diese Entsagung geübt. Aber da sie ein Leckermäulchen war, wurde ihr
die Kasteiung schwer, und ihre Laune stand unter Null.

Am andern Morgen zog Rose die Tante Eusebia ins Geheimnis. Diese
hatte sich die ganze Geschichte natürlich gleich gedacht. Ich habe es ja gleich
gesagt, das Fräulein taugt nichts. Solche Personen überhaupt! Auf nichts
sind sie aus, als auf den Männerfang. Wenn du wüßtest, Röschen, was für
Toilettenkünste die gebraucht! Raffinirt, sage ich dir, raffinirt! Na, ich habe
es mir ja gleich gedacht! Aber daß sie die unschuldigen Kinder zu Zeugen
ihrer Schamlosigkeiten macht, na, gedacht habe ich es mir ja auch, aber
schrecklich bleibt es doch.

Toilettenkünste sagst du? -- Bon dem ganzen langen Erguß hatte auf


Das Fräulein

Ich bin aber doch größer! rief Elsa, in ihrem Ehrgeiz als Älteste
gekränkt,

Frau Rose schnitt den Anciennitätsftrcit kurz ab: Still! Erzählt lieber,
wie der Onkel aussah.

O reizend! Er hatte einen kleinen blonden Schnurrbart und einen
Waffenrock —

Nein, einen Überrock!

Er sagte, Waffenrock!

Nein, Überrock!

Zanke euch doch uicht immer. Was sagte er denn zu Fräulein?

Was er sagte? wiederholte Elsa nachdenklich. Na, er sagte: Liebe Minna,
da bist du ja endlich! Famos!

Liebe Minna, da bist du ja endlich? Famos? Soooh? — Würde denn
Fräulein rot, als sie ihn sah?

Die Kinder blickten sich ratlos an. Dann bemerkte Elsa: Rot? Solde,
war sie rot?

Rot wie eine Pute, erwiderte Isolde, die sich freute, endlich einmal mehr
gesehen und mehr bemerkt zu haben als die ältere Schwester.

Soooh? Also auch rot? Na gute Nacht, Herzchen.

Am Abend hielt Frau Rose mit ihrem Süßel eine feierliche Beratung.
Sie erzählte ihm das schreckliche Abenteuer. Also ein Soldat, ein Offizier
oder ein Einjähriger! schloß sie ihre Erzählung. Die Person entblödet sich
nicht, womöglich mit einem gemeinen Soldaten anzubinden. Und er nennt
sie schon du, und sie wird rot, wenn er kommt.

Vielleicht war es ihr Bruder, sie hat ja so viele Geschwister, wandte das
Süßel schüchtern ein.

Ihr Bruder und Offizier? Geh, die sind ja so arm, daß sie nichts
zu beißen haben, und da Offizier? Und warum wurde sie denn rot? Über
Brüder braucht man doch nicht rot zu werden.

Du sagtest doch eben, es sei ein gemeiner Soldat gewesen.

Mit dir ist überhaupt uicht zu reden, Fritzel, du hast deinen schlechten
Tag. Ich werde die Sache in die Hand nehmen. Mische du dich nur um
Gottes willen nicht ein. Du bist eben kein Diplomat, Mündel, du könntest
die ganze Geschichte verderben.'

In Wahrheit hatte Frau Rose ihren schlechten Tag, denn die Taillen¬
messung am Morgen hatte einen Centimeter mehr ergeben. Sie hatte infolge
dessen 'feierlich gelobt, nie wieder füße Speise zu essen,' hatte auch beim Mittag¬
mahl diese Entsagung geübt. Aber da sie ein Leckermäulchen war, wurde ihr
die Kasteiung schwer, und ihre Laune stand unter Null.

Am andern Morgen zog Rose die Tante Eusebia ins Geheimnis. Diese
hatte sich die ganze Geschichte natürlich gleich gedacht. Ich habe es ja gleich
gesagt, das Fräulein taugt nichts. Solche Personen überhaupt! Auf nichts
sind sie aus, als auf den Männerfang. Wenn du wüßtest, Röschen, was für
Toilettenkünste die gebraucht! Raffinirt, sage ich dir, raffinirt! Na, ich habe
es mir ja gleich gedacht! Aber daß sie die unschuldigen Kinder zu Zeugen
ihrer Schamlosigkeiten macht, na, gedacht habe ich es mir ja auch, aber
schrecklich bleibt es doch.

Toilettenkünste sagst du? — Bon dem ganzen langen Erguß hatte auf


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[0553] Das Fräulein Ich bin aber doch größer! rief Elsa, in ihrem Ehrgeiz als Älteste gekränkt, Frau Rose schnitt den Anciennitätsftrcit kurz ab: Still! Erzählt lieber, wie der Onkel aussah. O reizend! Er hatte einen kleinen blonden Schnurrbart und einen Waffenrock — Nein, einen Überrock! Er sagte, Waffenrock! Nein, Überrock! Zanke euch doch uicht immer. Was sagte er denn zu Fräulein? Was er sagte? wiederholte Elsa nachdenklich. Na, er sagte: Liebe Minna, da bist du ja endlich! Famos! Liebe Minna, da bist du ja endlich? Famos? Soooh? — Würde denn Fräulein rot, als sie ihn sah? Die Kinder blickten sich ratlos an. Dann bemerkte Elsa: Rot? Solde, war sie rot? Rot wie eine Pute, erwiderte Isolde, die sich freute, endlich einmal mehr gesehen und mehr bemerkt zu haben als die ältere Schwester. Soooh? Also auch rot? Na gute Nacht, Herzchen. Am Abend hielt Frau Rose mit ihrem Süßel eine feierliche Beratung. Sie erzählte ihm das schreckliche Abenteuer. Also ein Soldat, ein Offizier oder ein Einjähriger! schloß sie ihre Erzählung. Die Person entblödet sich nicht, womöglich mit einem gemeinen Soldaten anzubinden. Und er nennt sie schon du, und sie wird rot, wenn er kommt. Vielleicht war es ihr Bruder, sie hat ja so viele Geschwister, wandte das Süßel schüchtern ein. Ihr Bruder und Offizier? Geh, die sind ja so arm, daß sie nichts zu beißen haben, und da Offizier? Und warum wurde sie denn rot? Über Brüder braucht man doch nicht rot zu werden. Du sagtest doch eben, es sei ein gemeiner Soldat gewesen. Mit dir ist überhaupt uicht zu reden, Fritzel, du hast deinen schlechten Tag. Ich werde die Sache in die Hand nehmen. Mische du dich nur um Gottes willen nicht ein. Du bist eben kein Diplomat, Mündel, du könntest die ganze Geschichte verderben.' In Wahrheit hatte Frau Rose ihren schlechten Tag, denn die Taillen¬ messung am Morgen hatte einen Centimeter mehr ergeben. Sie hatte infolge dessen 'feierlich gelobt, nie wieder füße Speise zu essen,' hatte auch beim Mittag¬ mahl diese Entsagung geübt. Aber da sie ein Leckermäulchen war, wurde ihr die Kasteiung schwer, und ihre Laune stand unter Null. Am andern Morgen zog Rose die Tante Eusebia ins Geheimnis. Diese hatte sich die ganze Geschichte natürlich gleich gedacht. Ich habe es ja gleich gesagt, das Fräulein taugt nichts. Solche Personen überhaupt! Auf nichts sind sie aus, als auf den Männerfang. Wenn du wüßtest, Röschen, was für Toilettenkünste die gebraucht! Raffinirt, sage ich dir, raffinirt! Na, ich habe es mir ja gleich gedacht! Aber daß sie die unschuldigen Kinder zu Zeugen ihrer Schamlosigkeiten macht, na, gedacht habe ich es mir ja auch, aber schrecklich bleibt es doch. Toilettenkünste sagst du? — Bon dem ganzen langen Erguß hatte auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/553>, abgerufen am 26.06.2024.