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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Gin Blick in die französische Volksschule

sich in ihrer Anordnung streng an das Sachliche. Ihre einzelnen Abschnitte
behandeln zusammenhängend gewisse Hauptgedanken. Es ist keine Frage, daß
dadurch die Lesebücher übersichtlicher werden, daß sich die Schüler leichter zu-
recht finden und sich besser selbständig und im Zusammenhange aus ihnen be¬
lehren können.

Der Hauptunterschied aber liegt natürlich im Inhalt selbst. Dieser In¬
halt ist einesteils von moralischer, andernteils von gemeinnütziger Art und
erinnert deshalb an unsre Lesebücher der frühern Zeit. Aber die Moral
hat hier einen wesentlich freiern Gesichtskreis. Sie beschränkt sich nicht auf
die Belehrungen über die Tugenden und Fehler, die guten und Übeln An¬
gewohnheiten der Kinder, obgleich auch solche namentlich in den Büchern für
die Anfänger nicht fehlen, sondern sie faßt einen weiteren Umkreis sittlichen
Handelns ins Auge. Der Unterricht der Volksschule soll hier vor allem die
Vorbildung des Zöglings zum bürgerlichen und sozialen Berufsleben zur
Aufgabe haben. Die nationalen Interessen sollen dem Kinde nahegebracht
werden, und zwar nicht sowohl durch Schilderungen aus der Vergangenheit,
als vielmehr durch Einführung in das nationale Leben der Gegenwart. Die
nationalen Grundeinrichtungen werden deshalb nach ihrem Bestände und ihrem
Werte geschildert. Die sittliche und soziale Bedeutung der Familie und der
Berufsarbeit wird den Kindern verständlich gemacht. Es sind deshalb auch
hier höhere Lebensziele, die des idealen Gehalts keineswegs entbehren, aber
diese Lebensziele sind zugleich praktischer Art. Diese praktischen Ziele treten
auch bei den Belehrungen naturkundlicher, geographischer, geschichtlicher Art
in den Vordergrund.

Zur Veranschaulichung des gesagten will ich aus der großen Zahl von
französischen Lesebüchern, die mir vorliegen, nur eins herausheben. Es ist
ein Buch des Generalinspektors des Volksschulwesens im Unterrichtsministerium,
des Herrn Jost, das dieser in Verbindung mit dein Lous-Virsoteur et" l'I^eolv
^l8Ä0ivrwö in Paris, Herrn Brüunig, herausgegeben hat: I^ewrss pi-g-ti^ne"
(zu deutsch etwa: Praktisches Lesebuch), im Verlage von Hachette 6c Cie. in
Paris erschienen. Dieses Buch besteht aus elf Abschnitten mit folgenden Über¬
schriften: 1. Das leibliche Leben des Menschen (1'IwiQmo pdy8i<zuo). 2. Das
geistige Leben des Menschen (l'noiluriö inorsl). Z. Das gesellschaftliche Leben
(l'torrens alias 1s. 8ooivt."z), 4. Das Heer. 5. Weibliche Beschäftigungen.
6. Das Vaterland. 7. Der öffentliche Unterricht. 8. Die Rechtspflege. 9. Die
Steuern. 10. Gemeinnütziges. 11. Geographisches. Jeder dieser Abschnitte
enthält kurze, inhaltlich zusammenhängende und ein Ganzes bildende Lesestücke,
an die sich ein Denkspruch (inaxinnz) und einige auf das Lesestück bezügliche
Fragen sachlicher und sprachlicher Art unter der Überschrift: Übungen für den
mündlichen und schriftlichen Ausdruck iöxczroivos oiAux öl vorits) anschließen.

In der Vorrede berufen sich die Verfasser auf ein Wort Montaignes:


Gin Blick in die französische Volksschule

sich in ihrer Anordnung streng an das Sachliche. Ihre einzelnen Abschnitte
behandeln zusammenhängend gewisse Hauptgedanken. Es ist keine Frage, daß
dadurch die Lesebücher übersichtlicher werden, daß sich die Schüler leichter zu-
recht finden und sich besser selbständig und im Zusammenhange aus ihnen be¬
lehren können.

Der Hauptunterschied aber liegt natürlich im Inhalt selbst. Dieser In¬
halt ist einesteils von moralischer, andernteils von gemeinnütziger Art und
erinnert deshalb an unsre Lesebücher der frühern Zeit. Aber die Moral
hat hier einen wesentlich freiern Gesichtskreis. Sie beschränkt sich nicht auf
die Belehrungen über die Tugenden und Fehler, die guten und Übeln An¬
gewohnheiten der Kinder, obgleich auch solche namentlich in den Büchern für
die Anfänger nicht fehlen, sondern sie faßt einen weiteren Umkreis sittlichen
Handelns ins Auge. Der Unterricht der Volksschule soll hier vor allem die
Vorbildung des Zöglings zum bürgerlichen und sozialen Berufsleben zur
Aufgabe haben. Die nationalen Interessen sollen dem Kinde nahegebracht
werden, und zwar nicht sowohl durch Schilderungen aus der Vergangenheit,
als vielmehr durch Einführung in das nationale Leben der Gegenwart. Die
nationalen Grundeinrichtungen werden deshalb nach ihrem Bestände und ihrem
Werte geschildert. Die sittliche und soziale Bedeutung der Familie und der
Berufsarbeit wird den Kindern verständlich gemacht. Es sind deshalb auch
hier höhere Lebensziele, die des idealen Gehalts keineswegs entbehren, aber
diese Lebensziele sind zugleich praktischer Art. Diese praktischen Ziele treten
auch bei den Belehrungen naturkundlicher, geographischer, geschichtlicher Art
in den Vordergrund.

Zur Veranschaulichung des gesagten will ich aus der großen Zahl von
französischen Lesebüchern, die mir vorliegen, nur eins herausheben. Es ist
ein Buch des Generalinspektors des Volksschulwesens im Unterrichtsministerium,
des Herrn Jost, das dieser in Verbindung mit dein Lous-Virsoteur et« l'I^eolv
^l8Ä0ivrwö in Paris, Herrn Brüunig, herausgegeben hat: I^ewrss pi-g-ti^ne»
(zu deutsch etwa: Praktisches Lesebuch), im Verlage von Hachette 6c Cie. in
Paris erschienen. Dieses Buch besteht aus elf Abschnitten mit folgenden Über¬
schriften: 1. Das leibliche Leben des Menschen (1'IwiQmo pdy8i<zuo). 2. Das
geistige Leben des Menschen (l'noiluriö inorsl). Z. Das gesellschaftliche Leben
(l'torrens alias 1s. 8ooivt.«z), 4. Das Heer. 5. Weibliche Beschäftigungen.
6. Das Vaterland. 7. Der öffentliche Unterricht. 8. Die Rechtspflege. 9. Die
Steuern. 10. Gemeinnütziges. 11. Geographisches. Jeder dieser Abschnitte
enthält kurze, inhaltlich zusammenhängende und ein Ganzes bildende Lesestücke,
an die sich ein Denkspruch (inaxinnz) und einige auf das Lesestück bezügliche
Fragen sachlicher und sprachlicher Art unter der Überschrift: Übungen für den
mündlichen und schriftlichen Ausdruck iöxczroivos oiAux öl vorits) anschließen.

In der Vorrede berufen sich die Verfasser auf ein Wort Montaignes:


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[0535] Gin Blick in die französische Volksschule sich in ihrer Anordnung streng an das Sachliche. Ihre einzelnen Abschnitte behandeln zusammenhängend gewisse Hauptgedanken. Es ist keine Frage, daß dadurch die Lesebücher übersichtlicher werden, daß sich die Schüler leichter zu- recht finden und sich besser selbständig und im Zusammenhange aus ihnen be¬ lehren können. Der Hauptunterschied aber liegt natürlich im Inhalt selbst. Dieser In¬ halt ist einesteils von moralischer, andernteils von gemeinnütziger Art und erinnert deshalb an unsre Lesebücher der frühern Zeit. Aber die Moral hat hier einen wesentlich freiern Gesichtskreis. Sie beschränkt sich nicht auf die Belehrungen über die Tugenden und Fehler, die guten und Übeln An¬ gewohnheiten der Kinder, obgleich auch solche namentlich in den Büchern für die Anfänger nicht fehlen, sondern sie faßt einen weiteren Umkreis sittlichen Handelns ins Auge. Der Unterricht der Volksschule soll hier vor allem die Vorbildung des Zöglings zum bürgerlichen und sozialen Berufsleben zur Aufgabe haben. Die nationalen Interessen sollen dem Kinde nahegebracht werden, und zwar nicht sowohl durch Schilderungen aus der Vergangenheit, als vielmehr durch Einführung in das nationale Leben der Gegenwart. Die nationalen Grundeinrichtungen werden deshalb nach ihrem Bestände und ihrem Werte geschildert. Die sittliche und soziale Bedeutung der Familie und der Berufsarbeit wird den Kindern verständlich gemacht. Es sind deshalb auch hier höhere Lebensziele, die des idealen Gehalts keineswegs entbehren, aber diese Lebensziele sind zugleich praktischer Art. Diese praktischen Ziele treten auch bei den Belehrungen naturkundlicher, geographischer, geschichtlicher Art in den Vordergrund. Zur Veranschaulichung des gesagten will ich aus der großen Zahl von französischen Lesebüchern, die mir vorliegen, nur eins herausheben. Es ist ein Buch des Generalinspektors des Volksschulwesens im Unterrichtsministerium, des Herrn Jost, das dieser in Verbindung mit dein Lous-Virsoteur et« l'I^eolv ^l8Ä0ivrwö in Paris, Herrn Brüunig, herausgegeben hat: I^ewrss pi-g-ti^ne» (zu deutsch etwa: Praktisches Lesebuch), im Verlage von Hachette 6c Cie. in Paris erschienen. Dieses Buch besteht aus elf Abschnitten mit folgenden Über¬ schriften: 1. Das leibliche Leben des Menschen (1'IwiQmo pdy8i<zuo). 2. Das geistige Leben des Menschen (l'noiluriö inorsl). Z. Das gesellschaftliche Leben (l'torrens alias 1s. 8ooivt.«z), 4. Das Heer. 5. Weibliche Beschäftigungen. 6. Das Vaterland. 7. Der öffentliche Unterricht. 8. Die Rechtspflege. 9. Die Steuern. 10. Gemeinnütziges. 11. Geographisches. Jeder dieser Abschnitte enthält kurze, inhaltlich zusammenhängende und ein Ganzes bildende Lesestücke, an die sich ein Denkspruch (inaxinnz) und einige auf das Lesestück bezügliche Fragen sachlicher und sprachlicher Art unter der Überschrift: Übungen für den mündlichen und schriftlichen Ausdruck iöxczroivos oiAux öl vorits) anschließen. In der Vorrede berufen sich die Verfasser auf ein Wort Montaignes:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/535>, abgerufen am 26.06.2024.