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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Streif- und Fedcrziige aus vergangnen Tagen

der zu der eingebornen Berliner "Unverfrorenheit" etwas von der kritischen
Manier der von Marx in seiner "Kritik der kritischen Kritik" verhöhnten Bauer-
schen Schule angezogen hatte und das souveräne Volk ironisirte, indem er
ihm schmeichelte. Ebenso hielten sich die Brüder Bauer selbst fern.

Dagegen brachte mich derselbe Oktober mit Männern zusammen, deren
Namen nicht mit der Geschichte des Tages in Vergessenheit geraten werden.
Auf einem Ausflüge nach Belgien mit einem Freunde machten wir in Ant¬
werpen die Bekanntschaft eines jungen Mannes, der sich als verfolgter Frei¬
heitskämpfer vorstellte und daher mit großer Hochachtung von uns behandelt
wurde. Er empfahl uns, in Brüssel den Doktor Breuer, einen Berliner
Flüchtling aus den dreißiger Jahren, aufzusuchen. In Brüssel wies man
uns in ein Estaminet, in dem der Arzt jeden Abend zu treffen sei, aber wir
wurden von der ganzen Gesellschaft mit eigentümlichen Gesichtern empfangen,
als wir uns auf den Antwerpner beriefen. Bald kam heraus, daß der Mann
mehr Fechter als Kämpfer sei und in Brüssel in übeln Gerüche stehe. Doch
ließ man uns die schlechte Empfehlung nicht entgelten. Breuer war gewiß
einer der liebenswürdigsten Menschen, und man konnte sich vorstellen, daß er
ein wesentliches Stück des ärztlichen Rüstzeuges, die Gabe, des Kranken Ver¬
trauen zu gewinnen, in hohem Grade besäße. In dem Kreise von Belgiern
und Geächteten von den Frankfurter Pfingstweidentagen her, in dem er damals
verkehrte, fiel ein scheinbar blutjunger Mann auf, den seine Freunde Haas
nannten. Er hieß aber Friedrich Kapp, war Referendar in Hamm gewesen
und hat sich in spätern Tagen einen diesseits und jenseits des Ozeans gleich
geachteten Namen als Geschichtschreiber und guter Deutscher gemacht. Nach
vielen Jahren sind wir uns wieder begegnet, er mit demselben gewinnenden
Wesen und immer noch jugendlich in der Erscheinung, obwohl er den Sech¬
zigern nicht mehr fernstand.

Auf der Rückreise in Köln suchte ich Karl Marx, den ich im Sommer
kennen gelernt hatte, in seiner Redaktion auf. Er übergab gerade dem Nsttsur-
kn-xagös das letzte Manuskript für das nächste Morgenblatt. Der murrte ein
wenig über die Menge. Doch ging er lachend seiner Wege, als ihm der Re¬
dakteur zurief: In Berlin und Wien schlagen sie sich vielleicht, und ihr wollt
nicht einmal setzen? Selbstverständlich gehörte auch das Druckereipersonal der
"Neuen Rheinischen Zeitung" zur Partei, und für Marx vollends wären sie
Wohl auch ohne dessen gebietende Persönlichkeit durchs Feuer gegangen. Befand
sich doch das Manifest der kommunistischen Partei bereits in den Händen aller
Arbeiter am Rhein. Gleich nachher wurde dasselbe Thema in andrer Weise
angeschlagen. Nachdem die schöne Frau Marx, bekanntlich eine Schwester
des nachmaligen Ministers v. Westphalen, einige Worte mit ihrem Manne
gewechselt hatte, erschien ein schlanker junger Mann mit scharfgeprügten Zügen
und dem eigentümlichen Blond der Juden: Herr Doktor Lassalle. Der Name


Streif- und Fedcrziige aus vergangnen Tagen

der zu der eingebornen Berliner „Unverfrorenheit" etwas von der kritischen
Manier der von Marx in seiner „Kritik der kritischen Kritik" verhöhnten Bauer-
schen Schule angezogen hatte und das souveräne Volk ironisirte, indem er
ihm schmeichelte. Ebenso hielten sich die Brüder Bauer selbst fern.

Dagegen brachte mich derselbe Oktober mit Männern zusammen, deren
Namen nicht mit der Geschichte des Tages in Vergessenheit geraten werden.
Auf einem Ausflüge nach Belgien mit einem Freunde machten wir in Ant¬
werpen die Bekanntschaft eines jungen Mannes, der sich als verfolgter Frei¬
heitskämpfer vorstellte und daher mit großer Hochachtung von uns behandelt
wurde. Er empfahl uns, in Brüssel den Doktor Breuer, einen Berliner
Flüchtling aus den dreißiger Jahren, aufzusuchen. In Brüssel wies man
uns in ein Estaminet, in dem der Arzt jeden Abend zu treffen sei, aber wir
wurden von der ganzen Gesellschaft mit eigentümlichen Gesichtern empfangen,
als wir uns auf den Antwerpner beriefen. Bald kam heraus, daß der Mann
mehr Fechter als Kämpfer sei und in Brüssel in übeln Gerüche stehe. Doch
ließ man uns die schlechte Empfehlung nicht entgelten. Breuer war gewiß
einer der liebenswürdigsten Menschen, und man konnte sich vorstellen, daß er
ein wesentliches Stück des ärztlichen Rüstzeuges, die Gabe, des Kranken Ver¬
trauen zu gewinnen, in hohem Grade besäße. In dem Kreise von Belgiern
und Geächteten von den Frankfurter Pfingstweidentagen her, in dem er damals
verkehrte, fiel ein scheinbar blutjunger Mann auf, den seine Freunde Haas
nannten. Er hieß aber Friedrich Kapp, war Referendar in Hamm gewesen
und hat sich in spätern Tagen einen diesseits und jenseits des Ozeans gleich
geachteten Namen als Geschichtschreiber und guter Deutscher gemacht. Nach
vielen Jahren sind wir uns wieder begegnet, er mit demselben gewinnenden
Wesen und immer noch jugendlich in der Erscheinung, obwohl er den Sech¬
zigern nicht mehr fernstand.

Auf der Rückreise in Köln suchte ich Karl Marx, den ich im Sommer
kennen gelernt hatte, in seiner Redaktion auf. Er übergab gerade dem Nsttsur-
kn-xagös das letzte Manuskript für das nächste Morgenblatt. Der murrte ein
wenig über die Menge. Doch ging er lachend seiner Wege, als ihm der Re¬
dakteur zurief: In Berlin und Wien schlagen sie sich vielleicht, und ihr wollt
nicht einmal setzen? Selbstverständlich gehörte auch das Druckereipersonal der
«Neuen Rheinischen Zeitung" zur Partei, und für Marx vollends wären sie
Wohl auch ohne dessen gebietende Persönlichkeit durchs Feuer gegangen. Befand
sich doch das Manifest der kommunistischen Partei bereits in den Händen aller
Arbeiter am Rhein. Gleich nachher wurde dasselbe Thema in andrer Weise
angeschlagen. Nachdem die schöne Frau Marx, bekanntlich eine Schwester
des nachmaligen Ministers v. Westphalen, einige Worte mit ihrem Manne
gewechselt hatte, erschien ein schlanker junger Mann mit scharfgeprügten Zügen
und dem eigentümlichen Blond der Juden: Herr Doktor Lassalle. Der Name


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/501>, abgerufen am 26.06.2024.