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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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war durch den Kassettenprozeß und Lassalles, des "intellektuellen Urhebers"
des Diebstahls, glänzende Verteidigungsrede in Düsseldorf schon zur Genüge
bekannt, daß ich ihn mit gespanntem Interesse betrachtete, und bald fesselte
mich seine mit größter Lebhaftigkeit fließende Rede. Er wollte wissen, wie im
kommunistischen Staate die Drohnen zur Thätigkeit gebracht werden würden;
denn es gäbe doch unleugbar Menschen, die einen nicht durch Familientraditon
und Sorgenfreiheit angewohnter, sondern angebornen unüberwindlichen Abschen
vor jedweder Arbeit hätten. Die Diskussion wurde leider nicht zu Ende ge>
führt, weil die Stunde eines Banketts schlug, aber ich nahm den Eindruck
mit, daß sich Marx dem scharf inquirirenden gegenüber ausweichend ver¬
halten habe.

Das Bankett fand zu Ehren Freiligraths statt, der kürzlich in Düsseldorf
wegen seines Gedichtes "Die Toten an die Lebenden" vor den Geschwornen
gestanden hatte und freigesprochen worden war und nun in die Redaktion der
"Neuen Rheinischen Zeitung" eintrat. Die bedürfte allerdings der Arbeitskräfte,
da die meisten Redakteure, die "Jungen von der Rheinischen," wie die Kölner
sie naunte", nach dein Pulses vom 25. September über die Grenze gegangen
waren. Was für Reden bei dem Festmahle gehalten wurden, läßt sich denken.
Durch einen Zufall erregte ich Freiligraths Aufmerksamkeit: er faud, ich sähe
Gutzkow ähnlich, und so kam ich mit ihm ins Gespräch. Sein behagliches
und wohlwollendes Wesen hätte in ihm alles eher als den Dichter des
irg. u. s. w. vermuten lassen, und ich gestehe auch, daß meine sehr an¬
genehme Erinnerung an ihn sich besser mit dem Rübezahl, den Auswanderern
und der Trompete von Vionville verträgt. Als Lassalle auf allgemeines
Verlangen "Die Toten u. s. w." mit der Energie eines gebornen Rhetors vor¬
getragen hatte, fuhr ihm der Dichter lächelnd mit der Hand über das kurz-
geschnittne Haar und begrüßte ihn als seinen ins Blonde übersetzten Mohren¬
fürsten, "über den Heine so viel Freude gehabt hat!"




war durch den Kassettenprozeß und Lassalles, des „intellektuellen Urhebers"
des Diebstahls, glänzende Verteidigungsrede in Düsseldorf schon zur Genüge
bekannt, daß ich ihn mit gespanntem Interesse betrachtete, und bald fesselte
mich seine mit größter Lebhaftigkeit fließende Rede. Er wollte wissen, wie im
kommunistischen Staate die Drohnen zur Thätigkeit gebracht werden würden;
denn es gäbe doch unleugbar Menschen, die einen nicht durch Familientraditon
und Sorgenfreiheit angewohnter, sondern angebornen unüberwindlichen Abschen
vor jedweder Arbeit hätten. Die Diskussion wurde leider nicht zu Ende ge>
führt, weil die Stunde eines Banketts schlug, aber ich nahm den Eindruck
mit, daß sich Marx dem scharf inquirirenden gegenüber ausweichend ver¬
halten habe.

Das Bankett fand zu Ehren Freiligraths statt, der kürzlich in Düsseldorf
wegen seines Gedichtes „Die Toten an die Lebenden" vor den Geschwornen
gestanden hatte und freigesprochen worden war und nun in die Redaktion der
„Neuen Rheinischen Zeitung" eintrat. Die bedürfte allerdings der Arbeitskräfte,
da die meisten Redakteure, die „Jungen von der Rheinischen," wie die Kölner
sie naunte», nach dein Pulses vom 25. September über die Grenze gegangen
waren. Was für Reden bei dem Festmahle gehalten wurden, läßt sich denken.
Durch einen Zufall erregte ich Freiligraths Aufmerksamkeit: er faud, ich sähe
Gutzkow ähnlich, und so kam ich mit ihm ins Gespräch. Sein behagliches
und wohlwollendes Wesen hätte in ihm alles eher als den Dichter des
irg. u. s. w. vermuten lassen, und ich gestehe auch, daß meine sehr an¬
genehme Erinnerung an ihn sich besser mit dem Rübezahl, den Auswanderern
und der Trompete von Vionville verträgt. Als Lassalle auf allgemeines
Verlangen „Die Toten u. s. w." mit der Energie eines gebornen Rhetors vor¬
getragen hatte, fuhr ihm der Dichter lächelnd mit der Hand über das kurz-
geschnittne Haar und begrüßte ihn als seinen ins Blonde übersetzten Mohren¬
fürsten, „über den Heine so viel Freude gehabt hat!"




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/502>, abgerufen am 26.06.2024.