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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Lin Aapitel von deutscher Tyrik

Dergleichen schnöder Basel sollte einem doch nicht zugemutet werden, am we¬
nigsten in einer immerhin anspruchsvollen, breit angelegten Dichtung,

Um mit dem Schwarzwald, in dem sich die episch-lyrischen Poeten mit
Vorliebe zu ergehen scheinen, fertig zu werden, sei hier gleich noch Die
Pfiugstfahrt, ein lustiger Sang aus dem Schwarzwald in sechs Abenteuern
von Emil Engelmann (Stuttgart, Paul Reff, 1893) angereiht. In diesem
Gedichte sind wir aber auf dem Boden der Gegenwart, in der zum Glück die
Schwarzwaldtanuen noch so stattlich zum Himmel ragen, die Bäche noch so
frisch zu Thale rinnen, wie in den Tagen des Bauernkrieges. Der Stoff der
"Pfiugstfahrt" würde im vorigen Jahrhundert zu einem kleinen komischen Epos
im Stil von Popes "Lockenraub" gedient haben, heute wird mit eingcschobnen
Liedern und Balladen, mit gedehnten Schilderungen und Reflexionen die un¬
bedeutende, über eine alltägliche Novelle nicht hinausreichende Erfindung zu
sechs Gesängen verwertet. Natürlich fehlt es nicht an hübschen Stellen, ein
Paar poetischen Bildern nud Wendungen, das Ganze aber verdient kein Lob
und erweist nur, wie schwer es ist, Erlebnisse und kleine Wirklichkeitszügc,
wenn sie auch noch so hübsch sind, zu einer einheitliche" Wirkung zu erheben.
Leider sind unsre jungen Dichter mehr fürs Dichten als fürs Verdichten der
Dinge eingenommen.

Von Gebilden dieser Art zum reinen unverfälschten Dilettantismus ist
es nur uoch ein Schritt. Doch abseits von der Art Poesie, die lediglich von
Reminiszenzen lebt und den gesunden Menschenverstand mit dem Schall schlechter
Verse übertäubt, findet sich eine Reihe von Versuchen schulmäßiger Dichtung,
die schwer zu beurteilen sind, und bei deuen sich nur das eine mit Sicherheit
sagen läßt, daß sie schlechthin wirkungslos auch auf die wenigen Leser, die sie
etwa finden werden, bleibe" müssen. Die Besonderheit dieser Versuche liegt
darin, daß sie in ihrer Weise vortrefflich angelegt und durchgeführt sein können,
ohne doch andre poetisch zu erfassen oder auch nur zu berühren. Es fehlt ihnen
das eigenste, aus der Ergriffenheit oder der unmittelbaren Phantasie des Dichters
stammende Leben, es sind Wiederholungen und Erneuerungen für poetisch geltender
und in ältern Gestaltungen auch poetisch gewesener Motive. Sie beruhen auf der
irrigen Vorstellung, daß es nur der Heranfbeschwörung alter Klänge und Bilder
bedürfe, um die gleichen Wirkungen zu erwecken, während bekanntlich ein neues,
dem Dichter allem eignes Element hinzutreten muß. Eine gute Probe sehnt-
'"äßiger Dichtung, die dies vergißt, haben wir in dem kleinen Epos Geris-
wind, einer Mur aus Altsachseuland von Paul Robitzsch (Dresden und
Leipzig, E. Piersvns Verlag) vor uns. In gut gefügten Nibelungenverscn,
mit eutschiedner Kenntnis des Grundtons der Heldensage, mit Ernst und künstle-


Lin Aapitel von deutscher Tyrik

Dergleichen schnöder Basel sollte einem doch nicht zugemutet werden, am we¬
nigsten in einer immerhin anspruchsvollen, breit angelegten Dichtung,

Um mit dem Schwarzwald, in dem sich die episch-lyrischen Poeten mit
Vorliebe zu ergehen scheinen, fertig zu werden, sei hier gleich noch Die
Pfiugstfahrt, ein lustiger Sang aus dem Schwarzwald in sechs Abenteuern
von Emil Engelmann (Stuttgart, Paul Reff, 1893) angereiht. In diesem
Gedichte sind wir aber auf dem Boden der Gegenwart, in der zum Glück die
Schwarzwaldtanuen noch so stattlich zum Himmel ragen, die Bäche noch so
frisch zu Thale rinnen, wie in den Tagen des Bauernkrieges. Der Stoff der
„Pfiugstfahrt" würde im vorigen Jahrhundert zu einem kleinen komischen Epos
im Stil von Popes „Lockenraub" gedient haben, heute wird mit eingcschobnen
Liedern und Balladen, mit gedehnten Schilderungen und Reflexionen die un¬
bedeutende, über eine alltägliche Novelle nicht hinausreichende Erfindung zu
sechs Gesängen verwertet. Natürlich fehlt es nicht an hübschen Stellen, ein
Paar poetischen Bildern nud Wendungen, das Ganze aber verdient kein Lob
und erweist nur, wie schwer es ist, Erlebnisse und kleine Wirklichkeitszügc,
wenn sie auch noch so hübsch sind, zu einer einheitliche» Wirkung zu erheben.
Leider sind unsre jungen Dichter mehr fürs Dichten als fürs Verdichten der
Dinge eingenommen.

Von Gebilden dieser Art zum reinen unverfälschten Dilettantismus ist
es nur uoch ein Schritt. Doch abseits von der Art Poesie, die lediglich von
Reminiszenzen lebt und den gesunden Menschenverstand mit dem Schall schlechter
Verse übertäubt, findet sich eine Reihe von Versuchen schulmäßiger Dichtung,
die schwer zu beurteilen sind, und bei deuen sich nur das eine mit Sicherheit
sagen läßt, daß sie schlechthin wirkungslos auch auf die wenigen Leser, die sie
etwa finden werden, bleibe» müssen. Die Besonderheit dieser Versuche liegt
darin, daß sie in ihrer Weise vortrefflich angelegt und durchgeführt sein können,
ohne doch andre poetisch zu erfassen oder auch nur zu berühren. Es fehlt ihnen
das eigenste, aus der Ergriffenheit oder der unmittelbaren Phantasie des Dichters
stammende Leben, es sind Wiederholungen und Erneuerungen für poetisch geltender
und in ältern Gestaltungen auch poetisch gewesener Motive. Sie beruhen auf der
irrigen Vorstellung, daß es nur der Heranfbeschwörung alter Klänge und Bilder
bedürfe, um die gleichen Wirkungen zu erwecken, während bekanntlich ein neues,
dem Dichter allem eignes Element hinzutreten muß. Eine gute Probe sehnt-
'"äßiger Dichtung, die dies vergißt, haben wir in dem kleinen Epos Geris-
wind, einer Mur aus Altsachseuland von Paul Robitzsch (Dresden und
Leipzig, E. Piersvns Verlag) vor uns. In gut gefügten Nibelungenverscn,
mit eutschiedner Kenntnis des Grundtons der Heldensage, mit Ernst und künstle-


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[0493] Lin Aapitel von deutscher Tyrik Dergleichen schnöder Basel sollte einem doch nicht zugemutet werden, am we¬ nigsten in einer immerhin anspruchsvollen, breit angelegten Dichtung, Um mit dem Schwarzwald, in dem sich die episch-lyrischen Poeten mit Vorliebe zu ergehen scheinen, fertig zu werden, sei hier gleich noch Die Pfiugstfahrt, ein lustiger Sang aus dem Schwarzwald in sechs Abenteuern von Emil Engelmann (Stuttgart, Paul Reff, 1893) angereiht. In diesem Gedichte sind wir aber auf dem Boden der Gegenwart, in der zum Glück die Schwarzwaldtanuen noch so stattlich zum Himmel ragen, die Bäche noch so frisch zu Thale rinnen, wie in den Tagen des Bauernkrieges. Der Stoff der „Pfiugstfahrt" würde im vorigen Jahrhundert zu einem kleinen komischen Epos im Stil von Popes „Lockenraub" gedient haben, heute wird mit eingcschobnen Liedern und Balladen, mit gedehnten Schilderungen und Reflexionen die un¬ bedeutende, über eine alltägliche Novelle nicht hinausreichende Erfindung zu sechs Gesängen verwertet. Natürlich fehlt es nicht an hübschen Stellen, ein Paar poetischen Bildern nud Wendungen, das Ganze aber verdient kein Lob und erweist nur, wie schwer es ist, Erlebnisse und kleine Wirklichkeitszügc, wenn sie auch noch so hübsch sind, zu einer einheitliche» Wirkung zu erheben. Leider sind unsre jungen Dichter mehr fürs Dichten als fürs Verdichten der Dinge eingenommen. Von Gebilden dieser Art zum reinen unverfälschten Dilettantismus ist es nur uoch ein Schritt. Doch abseits von der Art Poesie, die lediglich von Reminiszenzen lebt und den gesunden Menschenverstand mit dem Schall schlechter Verse übertäubt, findet sich eine Reihe von Versuchen schulmäßiger Dichtung, die schwer zu beurteilen sind, und bei deuen sich nur das eine mit Sicherheit sagen läßt, daß sie schlechthin wirkungslos auch auf die wenigen Leser, die sie etwa finden werden, bleibe» müssen. Die Besonderheit dieser Versuche liegt darin, daß sie in ihrer Weise vortrefflich angelegt und durchgeführt sein können, ohne doch andre poetisch zu erfassen oder auch nur zu berühren. Es fehlt ihnen das eigenste, aus der Ergriffenheit oder der unmittelbaren Phantasie des Dichters stammende Leben, es sind Wiederholungen und Erneuerungen für poetisch geltender und in ältern Gestaltungen auch poetisch gewesener Motive. Sie beruhen auf der irrigen Vorstellung, daß es nur der Heranfbeschwörung alter Klänge und Bilder bedürfe, um die gleichen Wirkungen zu erwecken, während bekanntlich ein neues, dem Dichter allem eignes Element hinzutreten muß. Eine gute Probe sehnt- '"äßiger Dichtung, die dies vergißt, haben wir in dem kleinen Epos Geris- wind, einer Mur aus Altsachseuland von Paul Robitzsch (Dresden und Leipzig, E. Piersvns Verlag) vor uns. In gut gefügten Nibelungenverscn, mit eutschiedner Kenntnis des Grundtons der Heldensage, mit Ernst und künstle-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/493>, abgerufen am 26.06.2024.