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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Gin Kapitel von deutscher Lyrik

Gegenfüßler Eggert das Kreuz schlägt) eine Güte, er leiht den Bauernscharen
die Heldeneigenschaften, die in dem wirklichen Bauernkriege nur vereinzelte
Haufen bewährten. Auf alle Fälle legt der Dichter des "Joß Fritz" ein ener¬
gisches und echtes Talent an den Tag, das Gedicht weist einige Prachtbilder
voll anschaulicher Kraft und bestrickender Stimmungsgewalt auf; es hat fort¬
reißendes Pathos und im ganzen sprachlichen Fluß und lebendiges Sprach¬
gefühl, von denen die einzelnen Unebenheiten, schwülstige Stellen und Platt¬
heiten rasch überwältigt werden. Obwohl das Ganze einen tendenziösen Unter¬
grund hat, der stark an gewisse Gedichte aus den vierziger Jahren erinnert,
denen Hussitenkriege und Albigenserkämpfe diene" mußten, um der eignen
Nevolutivuslust und Revolntiouöhvffuuug Luft zu machen, und obwohl die
damals beliebten Phantasiestücke hier bis zum Tüpfelchen auf dem i wieder¬
kehren, so wirkt doch die Frische und Lebendigkeit der Bilder aus dem Bauern¬
kriege gewinnend. Ob die Gesinnungsgenossen des Dichters mit der Wendung
einverstanden sein werden, daß der herrliche "Führer und König der Revo¬
lution" (wie Joß Fritzens Mutter, sehr aus dem Stil des sechzehnten Jahr¬
hunderts fallend, ihren Sohn nennt) am Eude ein Nitterfrüulein zum Gemahl
davonträgt, wissen wir nicht, der charakteristische Zug gemahnt ein wenig an
die amerikanischen Rothäute, die auch auf dem Kriegspfade mit Vorliebe
weiße Frauen erbeuten.

Den Gesängen aus dem schwäbischen Bauernkriege schließt sich eine breit¬
angelegte "Schwarzwaldnvvelle in Versen" an, die Wilhelm Jeusen mit einem
empfehlenden Vorwort begleitet, und die sich Um den Wildsee von Wil¬
helm Arminius (Dresden und Leipzig, E. Pierson) nennt. Auch hier ist
der Bauernaufstand der Hintergrund, und zwar der Teil der zersplitterte" Be¬
wegung, der sich i" der Ortenau und der Markgrafschaft Baden abspielt. Das
Kloster Allerheiligen und die Schwarzwaldlandschaft ringsumher bilden die
Szenerie des mit Einsiedler- und Zigeunerromautik und der Märchenpoesie,
die aus Wald und Wasser das Verborgne liest, allzureichlich ausgestatteten
Gedichts. Aus dem Wechsel träumerischer Naturschilderung, lyrischem Tones
und derb realistischer, holzschnittartiger Darstellung erwächst eine Stillosigkeit,
die beinahe schon dilettantisch ist und jedenfalls die Novelle in Versen ihrer
einheitlichen Wirkung beraubt. Die "unverkennbare Anlage zu dichterischer
Sprache, zu oft treffender und schöner Ausdrucksweise," die Imsen in seinem
Geleitwort rühmt, schützt den Verfasser leider nicht vor äußersten Triviali¬
täten; ja gelegentlich sinkt der Erzühlungston zu vollständiger Viedermeierei
herunter:


Gin Kapitel von deutscher Lyrik

Gegenfüßler Eggert das Kreuz schlägt) eine Güte, er leiht den Bauernscharen
die Heldeneigenschaften, die in dem wirklichen Bauernkriege nur vereinzelte
Haufen bewährten. Auf alle Fälle legt der Dichter des „Joß Fritz" ein ener¬
gisches und echtes Talent an den Tag, das Gedicht weist einige Prachtbilder
voll anschaulicher Kraft und bestrickender Stimmungsgewalt auf; es hat fort¬
reißendes Pathos und im ganzen sprachlichen Fluß und lebendiges Sprach¬
gefühl, von denen die einzelnen Unebenheiten, schwülstige Stellen und Platt¬
heiten rasch überwältigt werden. Obwohl das Ganze einen tendenziösen Unter¬
grund hat, der stark an gewisse Gedichte aus den vierziger Jahren erinnert,
denen Hussitenkriege und Albigenserkämpfe diene» mußten, um der eignen
Nevolutivuslust und Revolntiouöhvffuuug Luft zu machen, und obwohl die
damals beliebten Phantasiestücke hier bis zum Tüpfelchen auf dem i wieder¬
kehren, so wirkt doch die Frische und Lebendigkeit der Bilder aus dem Bauern¬
kriege gewinnend. Ob die Gesinnungsgenossen des Dichters mit der Wendung
einverstanden sein werden, daß der herrliche „Führer und König der Revo¬
lution" (wie Joß Fritzens Mutter, sehr aus dem Stil des sechzehnten Jahr¬
hunderts fallend, ihren Sohn nennt) am Eude ein Nitterfrüulein zum Gemahl
davonträgt, wissen wir nicht, der charakteristische Zug gemahnt ein wenig an
die amerikanischen Rothäute, die auch auf dem Kriegspfade mit Vorliebe
weiße Frauen erbeuten.

Den Gesängen aus dem schwäbischen Bauernkriege schließt sich eine breit¬
angelegte „Schwarzwaldnvvelle in Versen" an, die Wilhelm Jeusen mit einem
empfehlenden Vorwort begleitet, und die sich Um den Wildsee von Wil¬
helm Arminius (Dresden und Leipzig, E. Pierson) nennt. Auch hier ist
der Bauernaufstand der Hintergrund, und zwar der Teil der zersplitterte» Be¬
wegung, der sich i» der Ortenau und der Markgrafschaft Baden abspielt. Das
Kloster Allerheiligen und die Schwarzwaldlandschaft ringsumher bilden die
Szenerie des mit Einsiedler- und Zigeunerromautik und der Märchenpoesie,
die aus Wald und Wasser das Verborgne liest, allzureichlich ausgestatteten
Gedichts. Aus dem Wechsel träumerischer Naturschilderung, lyrischem Tones
und derb realistischer, holzschnittartiger Darstellung erwächst eine Stillosigkeit,
die beinahe schon dilettantisch ist und jedenfalls die Novelle in Versen ihrer
einheitlichen Wirkung beraubt. Die „unverkennbare Anlage zu dichterischer
Sprache, zu oft treffender und schöner Ausdrucksweise," die Imsen in seinem
Geleitwort rühmt, schützt den Verfasser leider nicht vor äußersten Triviali¬
täten; ja gelegentlich sinkt der Erzühlungston zu vollständiger Viedermeierei
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[0492] Gin Kapitel von deutscher Lyrik Gegenfüßler Eggert das Kreuz schlägt) eine Güte, er leiht den Bauernscharen die Heldeneigenschaften, die in dem wirklichen Bauernkriege nur vereinzelte Haufen bewährten. Auf alle Fälle legt der Dichter des „Joß Fritz" ein ener¬ gisches und echtes Talent an den Tag, das Gedicht weist einige Prachtbilder voll anschaulicher Kraft und bestrickender Stimmungsgewalt auf; es hat fort¬ reißendes Pathos und im ganzen sprachlichen Fluß und lebendiges Sprach¬ gefühl, von denen die einzelnen Unebenheiten, schwülstige Stellen und Platt¬ heiten rasch überwältigt werden. Obwohl das Ganze einen tendenziösen Unter¬ grund hat, der stark an gewisse Gedichte aus den vierziger Jahren erinnert, denen Hussitenkriege und Albigenserkämpfe diene» mußten, um der eignen Nevolutivuslust und Revolntiouöhvffuuug Luft zu machen, und obwohl die damals beliebten Phantasiestücke hier bis zum Tüpfelchen auf dem i wieder¬ kehren, so wirkt doch die Frische und Lebendigkeit der Bilder aus dem Bauern¬ kriege gewinnend. Ob die Gesinnungsgenossen des Dichters mit der Wendung einverstanden sein werden, daß der herrliche „Führer und König der Revo¬ lution" (wie Joß Fritzens Mutter, sehr aus dem Stil des sechzehnten Jahr¬ hunderts fallend, ihren Sohn nennt) am Eude ein Nitterfrüulein zum Gemahl davonträgt, wissen wir nicht, der charakteristische Zug gemahnt ein wenig an die amerikanischen Rothäute, die auch auf dem Kriegspfade mit Vorliebe weiße Frauen erbeuten. Den Gesängen aus dem schwäbischen Bauernkriege schließt sich eine breit¬ angelegte „Schwarzwaldnvvelle in Versen" an, die Wilhelm Jeusen mit einem empfehlenden Vorwort begleitet, und die sich Um den Wildsee von Wil¬ helm Arminius (Dresden und Leipzig, E. Pierson) nennt. Auch hier ist der Bauernaufstand der Hintergrund, und zwar der Teil der zersplitterte» Be¬ wegung, der sich i» der Ortenau und der Markgrafschaft Baden abspielt. Das Kloster Allerheiligen und die Schwarzwaldlandschaft ringsumher bilden die Szenerie des mit Einsiedler- und Zigeunerromautik und der Märchenpoesie, die aus Wald und Wasser das Verborgne liest, allzureichlich ausgestatteten Gedichts. Aus dem Wechsel träumerischer Naturschilderung, lyrischem Tones und derb realistischer, holzschnittartiger Darstellung erwächst eine Stillosigkeit, die beinahe schon dilettantisch ist und jedenfalls die Novelle in Versen ihrer einheitlichen Wirkung beraubt. Die „unverkennbare Anlage zu dichterischer Sprache, zu oft treffender und schöner Ausdrucksweise," die Imsen in seinem Geleitwort rühmt, schützt den Verfasser leider nicht vor äußersten Triviali¬ täten; ja gelegentlich sinkt der Erzühlungston zu vollständiger Viedermeierei herunter:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/492>, abgerufen am 26.06.2024.