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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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<La Kapitel von deutscher Lyrik

grausigen drei Tanten, der astronomischen, der poetischen und der musikalischen,
von denen die letzte, die den ganzen Freischütz für Guitarre gesetzt hat, als
die bedrohlichste gelten muß. Alles in allem hat an diesen Gedichten poetisches
Spiel stärkern Anteil als poetisches Leben, und wir haben sast verlernt, uns
an bloßem poetischem Spiel genügen zu lassen.

Zwei größere Erzählungen aus der Zeit des deutscheu Bauernkriegs:
Joß Fritz, der Landstreicher, ein Sang aus den Bauernkriegen von
Richard Nordhausen (Leipzig, Carl Jacobsen) und der Bauernjörg von
Eduard Eggert (Stuttgart, Josef Rothsche Verlagsbuchhandlung) stehen in
einem eigentümlichen Gegensatz zu einander. Die erstere, umfangreichere ist
von wilder Begeisterung für den grimmigen Sturm des Jahres 1525 erfüllt,
die andre verherrlicht Jörg Truchseß, den schwabischen Bundeshauptmann, und
daraus ergiebt sich natürlich das wundersame Gegenspiel, daß in "Joß Fritz"
der Volksheld, nachdem er verschiednen Leuten auf der Fürsten- und Ritterseite
die Schädel eingeschlagen hat, vor der unbarmherzige" Verfolgung der sieg¬
reichen Feinde durch ein wildes Nervenfieber hindurch in einen glückselige"
Minne- und Ehehafcn gerettet wird, während es im "Bauernjörg" gilt, eine
adliche Schönheit aus deu Klauen der blutigen Bekenner der zwölf Artikel zu
reißen. Im "Joß Fritz" findet der verräterische Mönch Martin (wie er in häßlich
teudenziöser Anspielung auf den Reformator Luther genannt ist), der von der
Bnnernsache abgefallen ist, den verdienten Lohn, im "Bauerujörg" hängt am
Ende der verräterische Pfaffe Florian, der die Baueruerhebuug nur zum Deck¬
mantel seiner persönlichen Rache genommen hat, verdienterweise am Galgen.
Trotz dieser Gegensätze haben beide Gedichte gewisse unerfreuliche Ähnlichkeiten
mit einander: die Abhängigkeit von dem seit Scheffels "Trompeter" modisch
gewordnen Aufputz der poetischen Erzählung mit Liederstrüußcn, das Über¬
wiegen und Überwuchern der Beschreibungen, in deren Farbenfülle alle klaren
und festen Linien des eigentlich epischen Teils verschwimmen, das gelegentliche
Herabsinken des erhöhten Tones in die Plattheit, die Stillosigkeit willkürlich
wechselnder Rhythmen. Das bedeutendere, von einem stärkern und aus¬
giebigern Talent herrührende Gedicht von beiden ist übrigens (sehr hübscher
Bilder und Einzelheiten im "Bauernjörg" unbeschadet) doch "Joß Fritz." Es
ist zugleich eine Probe sozialdemokratischer Epik, Herr Richard Nordhausen
sieht in den Greueln des großen Bauernkriegs die Prophetie heraufdämmernder
ähnlicher Tage:

er schwelgt in dem Rot des rinnenden Blutes, des Weines und des leuch¬
tenden Morgens, er thut sich in Kampf- und Anfruhrszenen (vor denen sein


Grenzboten I 1893 61
<La Kapitel von deutscher Lyrik

grausigen drei Tanten, der astronomischen, der poetischen und der musikalischen,
von denen die letzte, die den ganzen Freischütz für Guitarre gesetzt hat, als
die bedrohlichste gelten muß. Alles in allem hat an diesen Gedichten poetisches
Spiel stärkern Anteil als poetisches Leben, und wir haben sast verlernt, uns
an bloßem poetischem Spiel genügen zu lassen.

Zwei größere Erzählungen aus der Zeit des deutscheu Bauernkriegs:
Joß Fritz, der Landstreicher, ein Sang aus den Bauernkriegen von
Richard Nordhausen (Leipzig, Carl Jacobsen) und der Bauernjörg von
Eduard Eggert (Stuttgart, Josef Rothsche Verlagsbuchhandlung) stehen in
einem eigentümlichen Gegensatz zu einander. Die erstere, umfangreichere ist
von wilder Begeisterung für den grimmigen Sturm des Jahres 1525 erfüllt,
die andre verherrlicht Jörg Truchseß, den schwabischen Bundeshauptmann, und
daraus ergiebt sich natürlich das wundersame Gegenspiel, daß in „Joß Fritz"
der Volksheld, nachdem er verschiednen Leuten auf der Fürsten- und Ritterseite
die Schädel eingeschlagen hat, vor der unbarmherzige» Verfolgung der sieg¬
reichen Feinde durch ein wildes Nervenfieber hindurch in einen glückselige»
Minne- und Ehehafcn gerettet wird, während es im „Bauernjörg" gilt, eine
adliche Schönheit aus deu Klauen der blutigen Bekenner der zwölf Artikel zu
reißen. Im „Joß Fritz" findet der verräterische Mönch Martin (wie er in häßlich
teudenziöser Anspielung auf den Reformator Luther genannt ist), der von der
Bnnernsache abgefallen ist, den verdienten Lohn, im „Bauerujörg" hängt am
Ende der verräterische Pfaffe Florian, der die Baueruerhebuug nur zum Deck¬
mantel seiner persönlichen Rache genommen hat, verdienterweise am Galgen.
Trotz dieser Gegensätze haben beide Gedichte gewisse unerfreuliche Ähnlichkeiten
mit einander: die Abhängigkeit von dem seit Scheffels „Trompeter" modisch
gewordnen Aufputz der poetischen Erzählung mit Liederstrüußcn, das Über¬
wiegen und Überwuchern der Beschreibungen, in deren Farbenfülle alle klaren
und festen Linien des eigentlich epischen Teils verschwimmen, das gelegentliche
Herabsinken des erhöhten Tones in die Plattheit, die Stillosigkeit willkürlich
wechselnder Rhythmen. Das bedeutendere, von einem stärkern und aus¬
giebigern Talent herrührende Gedicht von beiden ist übrigens (sehr hübscher
Bilder und Einzelheiten im „Bauernjörg" unbeschadet) doch „Joß Fritz." Es
ist zugleich eine Probe sozialdemokratischer Epik, Herr Richard Nordhausen
sieht in den Greueln des großen Bauernkriegs die Prophetie heraufdämmernder
ähnlicher Tage:

er schwelgt in dem Rot des rinnenden Blutes, des Weines und des leuch¬
tenden Morgens, er thut sich in Kampf- und Anfruhrszenen (vor denen sein


Grenzboten I 1893 61
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[0491] <La Kapitel von deutscher Lyrik grausigen drei Tanten, der astronomischen, der poetischen und der musikalischen, von denen die letzte, die den ganzen Freischütz für Guitarre gesetzt hat, als die bedrohlichste gelten muß. Alles in allem hat an diesen Gedichten poetisches Spiel stärkern Anteil als poetisches Leben, und wir haben sast verlernt, uns an bloßem poetischem Spiel genügen zu lassen. Zwei größere Erzählungen aus der Zeit des deutscheu Bauernkriegs: Joß Fritz, der Landstreicher, ein Sang aus den Bauernkriegen von Richard Nordhausen (Leipzig, Carl Jacobsen) und der Bauernjörg von Eduard Eggert (Stuttgart, Josef Rothsche Verlagsbuchhandlung) stehen in einem eigentümlichen Gegensatz zu einander. Die erstere, umfangreichere ist von wilder Begeisterung für den grimmigen Sturm des Jahres 1525 erfüllt, die andre verherrlicht Jörg Truchseß, den schwabischen Bundeshauptmann, und daraus ergiebt sich natürlich das wundersame Gegenspiel, daß in „Joß Fritz" der Volksheld, nachdem er verschiednen Leuten auf der Fürsten- und Ritterseite die Schädel eingeschlagen hat, vor der unbarmherzige» Verfolgung der sieg¬ reichen Feinde durch ein wildes Nervenfieber hindurch in einen glückselige» Minne- und Ehehafcn gerettet wird, während es im „Bauernjörg" gilt, eine adliche Schönheit aus deu Klauen der blutigen Bekenner der zwölf Artikel zu reißen. Im „Joß Fritz" findet der verräterische Mönch Martin (wie er in häßlich teudenziöser Anspielung auf den Reformator Luther genannt ist), der von der Bnnernsache abgefallen ist, den verdienten Lohn, im „Bauerujörg" hängt am Ende der verräterische Pfaffe Florian, der die Baueruerhebuug nur zum Deck¬ mantel seiner persönlichen Rache genommen hat, verdienterweise am Galgen. Trotz dieser Gegensätze haben beide Gedichte gewisse unerfreuliche Ähnlichkeiten mit einander: die Abhängigkeit von dem seit Scheffels „Trompeter" modisch gewordnen Aufputz der poetischen Erzählung mit Liederstrüußcn, das Über¬ wiegen und Überwuchern der Beschreibungen, in deren Farbenfülle alle klaren und festen Linien des eigentlich epischen Teils verschwimmen, das gelegentliche Herabsinken des erhöhten Tones in die Plattheit, die Stillosigkeit willkürlich wechselnder Rhythmen. Das bedeutendere, von einem stärkern und aus¬ giebigern Talent herrührende Gedicht von beiden ist übrigens (sehr hübscher Bilder und Einzelheiten im „Bauernjörg" unbeschadet) doch „Joß Fritz." Es ist zugleich eine Probe sozialdemokratischer Epik, Herr Richard Nordhausen sieht in den Greueln des großen Bauernkriegs die Prophetie heraufdämmernder ähnlicher Tage: er schwelgt in dem Rot des rinnenden Blutes, des Weines und des leuch¬ tenden Morgens, er thut sich in Kampf- und Anfruhrszenen (vor denen sein Grenzboten I 1893 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/491>, abgerufen am 26.06.2024.