Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.Lin Kapitel von deutscher Lyirk gewisser Verleger und die Druckbedürftigkeit noch gedankenloserer Poeten wirft Schier unglaublich ist es, was alles an Stoff und wunderlichen Einfällen Von den Dichtern des ältern Geschlechts, die ihren Namen auf dem Felde Lin Kapitel von deutscher Lyirk gewisser Verleger und die Druckbedürftigkeit noch gedankenloserer Poeten wirft Schier unglaublich ist es, was alles an Stoff und wunderlichen Einfällen Von den Dichtern des ältern Geschlechts, die ihren Namen auf dem Felde <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0490" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214282"/> <fw type="header" place="top"> Lin Kapitel von deutscher Lyirk</fw><lb/> <p xml:id="ID_1677" prev="#ID_1676"> gewisser Verleger und die Druckbedürftigkeit noch gedankenloserer Poeten wirft<lb/> freilich Gedichte auf den Markt, die nicht einmal „solcher" Anerkennung wert sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_1678"> Schier unglaublich ist es, was alles an Stoff und wunderlichen Einfällen<lb/> in den zierlichen Bündchen steckt, die sich ein Sang vom Schwarzwald, von<lb/> der Ostsee oder aus der Lüneburger Heide betiteln. Dem Referenten gehts<lb/> hier manchmal wie Peter Schlemihl, als er im Hause des Herrn John den<lb/> bewußten „stillen, dünnen, hagern, länglichten, ältlichen Mann" aus der<lb/> Schoßtasche seines grautaffetuen altfränkischen Rocks „drei Reitpferde, ich sage<lb/> drei schöne große Rappen mit Sattel nud Zeug herausziehen sah; man denke<lb/> sich um Gottes willen drei gesattelte Pferde noch aus derselben Tasche, woraus<lb/> schou eine Brieftasche, ein Fernrohr, ein gewirkter Teppich, zwanzig Schritte<lb/> lang und zehn breit, ein Lustzelt von derselben Große und alle dazu gehörigen<lb/> Stangen und Eisen herausgenommen waren." Was alles wird nicht besungen<lb/> und gestaltet, ohne daß in den meisten Fällen empfunden oder erraten werden<lb/> konnte, wo die Gaben der Phantasie mit dem innern Leben ihres Verfassers<lb/> zusammenhängen, oder welchen Anspruch der Darstellende darauf hat, daß wir<lb/> die Welt mit seinem Auge sehe» sollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1679" next="#ID_1680"> Von den Dichtern des ältern Geschlechts, die ihren Namen auf dem Felde<lb/> episch-lyrischer Dichtung errungen haben, begegnen wir zunächst Otto Nv-<lb/> quette, von dem ein Bändchen „Erzählende Dichtungen" (Berlin, F. Fontane,<lb/> 1892), das nach der voranstehenden Ul von Haslach betitelt ist und außer<lb/> dem so benannten Einleitnngsgedicht noch die poetischen Erzählungen „Der<lb/> fahrende Schüler," „Spindel und Thyrsns," „Ambrvgios Beichte," „Paris<lb/> der Bessere" enthält, die alten Freunde seiner Muse, die sich an „Hans Heide-<lb/> kuckuck" und „Gevatter Tod" erfreut haben, zu erneuter Teilnahme einlädt.<lb/> Ehrlich gesprochen, erscheinen uns diese neuesten Dichtungen, obgleich sie<lb/> natürlich gewisse alte Vorzüge Roquettes aufweisen, minder frisch und lebendig,<lb/> auch minder einfach und überzeugend als frühere poetische Erzählungen des<lb/> Dichters. Die alten Schwänke „Ul von Haslach" (bei Hans Sachs „Der<lb/> Roßdieb von Fünsing") und „Der fahrende Schüler" lassen sich doch mit<lb/> geringen Abänderungen in der derben Sprache des sechzehnten Jahrhunderts<lb/> unmittelbar lesen, ohne daß es der Modernistrung wie hier bedürfte. Den<lb/> bedeutendsten Anlauf nimmt Nvquette in dem Gedichte „Spindel und Thyrsus,"<lb/> in dem sich einige Oktaven von so schöner Bildlichkeit und Plastik finden, daß<lb/> sie in Goethes „Geheimnissen" stehen könnten, das aber im ganzen an einer<lb/> gewissen Unklarheit der Erfindung leidet und gegen den Schluß den Eindruck<lb/> erweckt, als ob es auf einen größern Roman in Versen angelegt gewesen wäre,<lb/> bei dem schließlich der Atem oder die Geduld ausgegangen ist, sodaß der<lb/> fünfte Abschnitt nur wie der eng zusammengedrängte andre Teil dieses Romans<lb/> aussieht. Das hübscheste in diesen: kleinen Buche scheint uns die gleichfalls<lb/> in Oktaven geschriebne humoristische Erzählung „Paris der Bessere" mit ihren</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0490]
Lin Kapitel von deutscher Lyirk
gewisser Verleger und die Druckbedürftigkeit noch gedankenloserer Poeten wirft
freilich Gedichte auf den Markt, die nicht einmal „solcher" Anerkennung wert sind.
Schier unglaublich ist es, was alles an Stoff und wunderlichen Einfällen
in den zierlichen Bündchen steckt, die sich ein Sang vom Schwarzwald, von
der Ostsee oder aus der Lüneburger Heide betiteln. Dem Referenten gehts
hier manchmal wie Peter Schlemihl, als er im Hause des Herrn John den
bewußten „stillen, dünnen, hagern, länglichten, ältlichen Mann" aus der
Schoßtasche seines grautaffetuen altfränkischen Rocks „drei Reitpferde, ich sage
drei schöne große Rappen mit Sattel nud Zeug herausziehen sah; man denke
sich um Gottes willen drei gesattelte Pferde noch aus derselben Tasche, woraus
schou eine Brieftasche, ein Fernrohr, ein gewirkter Teppich, zwanzig Schritte
lang und zehn breit, ein Lustzelt von derselben Große und alle dazu gehörigen
Stangen und Eisen herausgenommen waren." Was alles wird nicht besungen
und gestaltet, ohne daß in den meisten Fällen empfunden oder erraten werden
konnte, wo die Gaben der Phantasie mit dem innern Leben ihres Verfassers
zusammenhängen, oder welchen Anspruch der Darstellende darauf hat, daß wir
die Welt mit seinem Auge sehe» sollen.
Von den Dichtern des ältern Geschlechts, die ihren Namen auf dem Felde
episch-lyrischer Dichtung errungen haben, begegnen wir zunächst Otto Nv-
quette, von dem ein Bändchen „Erzählende Dichtungen" (Berlin, F. Fontane,
1892), das nach der voranstehenden Ul von Haslach betitelt ist und außer
dem so benannten Einleitnngsgedicht noch die poetischen Erzählungen „Der
fahrende Schüler," „Spindel und Thyrsns," „Ambrvgios Beichte," „Paris
der Bessere" enthält, die alten Freunde seiner Muse, die sich an „Hans Heide-
kuckuck" und „Gevatter Tod" erfreut haben, zu erneuter Teilnahme einlädt.
Ehrlich gesprochen, erscheinen uns diese neuesten Dichtungen, obgleich sie
natürlich gewisse alte Vorzüge Roquettes aufweisen, minder frisch und lebendig,
auch minder einfach und überzeugend als frühere poetische Erzählungen des
Dichters. Die alten Schwänke „Ul von Haslach" (bei Hans Sachs „Der
Roßdieb von Fünsing") und „Der fahrende Schüler" lassen sich doch mit
geringen Abänderungen in der derben Sprache des sechzehnten Jahrhunderts
unmittelbar lesen, ohne daß es der Modernistrung wie hier bedürfte. Den
bedeutendsten Anlauf nimmt Nvquette in dem Gedichte „Spindel und Thyrsus,"
in dem sich einige Oktaven von so schöner Bildlichkeit und Plastik finden, daß
sie in Goethes „Geheimnissen" stehen könnten, das aber im ganzen an einer
gewissen Unklarheit der Erfindung leidet und gegen den Schluß den Eindruck
erweckt, als ob es auf einen größern Roman in Versen angelegt gewesen wäre,
bei dem schließlich der Atem oder die Geduld ausgegangen ist, sodaß der
fünfte Abschnitt nur wie der eng zusammengedrängte andre Teil dieses Romans
aussieht. Das hübscheste in diesen: kleinen Buche scheint uns die gleichfalls
in Oktaven geschriebne humoristische Erzählung „Paris der Bessere" mit ihren
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