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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Berufung und Schöffengericht

gerichte täglich mehr steige, und daß die Art und Weise, wie die Schöffen
ihren Beruf auffassen und erfüllen, ohne jeden Zweifel lobenswert sei. Das
Vertrauen zu deu Erkenntnissen der Schöffengerichte ist auch offenbar in
den Kreisen vorhanden, in denen häufig die Nichtersprttche rechtsgelehrtcr Richter
mit Mißtrauen aufgenommen werden. Ebenso ist die Sympathie der Schöffen
selbst mit demi neuen Institute offenbar im Wachsen begriffen." Wir wüßten
nicht, weshalb dieses Urteil nicht heute noch gelten sollte.

Wenn gleichwohl in dem dritten Entwurf einer Neichsstrafprozeßvrdnung
von der allgemeinen Durchführung der Schöffengerichte wieder abgesehen worden
ist, so beruhte das uicht auf einer veränderten Ansicht über den Wert der
Schöffengerichte, sondern ausschließlich auf der angeblichen Schwierigkeit, in
einzelnen östlichen Provinzen Preußens die erforderliche Anzahl von Schöffen
zu finden. Diese Partikularistische Rücksicht entzog dem ganzen Deutschland
ein vortreffliches Gericht. Seiner Wiederholung muß man aber doch beizeiten
ernstlich entgegentreten.

Entschließen sich die Bundesregierungen, die Strafkammern in Schöffen¬
gerichte umzuwandeln und gegen deren Urteile zugleich die Berufung an ein
größeres Schöffengericht zu gewähren, so haben sie einen großen Trumpf in
der Hand. Diesen Trumpf sollten sie aber nun so viel als möglich zu ver¬
werten suchen und in unsrer Zeit der politischen "Kompensationen" nicht ohne
eine angemessene Gegenleistung ausspielen. Daß wir dabei eine Gegenleistung
im Auge haben, die gleichfalls eine der fruchtbarsten Verbesserungen unsers
Strafprozesses sein würde, versteht sich von selbst. Es ist die Umwandlung
der Schwurgerichte in große Schöffengerichte.

Wenn irgend jemals, so ist jetzt der geeignete Zeitpunkt, diesen falschen
Edelstein, den uns 1848 die Franzosen in die Krone der Göttin der Gerechtig¬
keit gesetzt haben, mit dem echten des Schöffengerichts zu vertauschen. Wohl
niemals wieder wird die Regierung in der Lage sein, für die Abschaffung der
Schwurgerichte so gewichtige "Kompensationen" bieten zu können, wie jetzt
durch Einführung der Berufung und der Beteiligung der Laien in allen Straf¬
gerichten mit Ausnahme des Reichsgerichts. Dein gegenüber muß der Vor¬
wurf verstummen, als sei es auf einen Angriff auf die "Freiheiten des Volks"
abgesehen, der ja stets laut erhoben wird, wenn von Abschaffung des Schwur¬
gerichts die Rede ist.

Daß aber die Beteiligung des Laienelements in der Strafrechtspflege,
sobald man sie überhaupt für wünschenswert hält, bei weitem vorzuziehen ist,
wenn sie in der Form der Schöffengerichte erfolgt, darüber besteht unter sach¬
lich urteilenden kaum noch eine Meinungsverschiedenheit. Die Vorteile des
Schöffengerichts vor dein schon durch seine Fragstellungen ungemein verwickelten
und Zufälligkeiten aller Art ausgesetzten Geschwornengerichte mit seiner Tren¬
nung in Richterbank und Geschwornenbank sind zu einleuchtend. Und wenn


Berufung und Schöffengericht

gerichte täglich mehr steige, und daß die Art und Weise, wie die Schöffen
ihren Beruf auffassen und erfüllen, ohne jeden Zweifel lobenswert sei. Das
Vertrauen zu deu Erkenntnissen der Schöffengerichte ist auch offenbar in
den Kreisen vorhanden, in denen häufig die Nichtersprttche rechtsgelehrtcr Richter
mit Mißtrauen aufgenommen werden. Ebenso ist die Sympathie der Schöffen
selbst mit demi neuen Institute offenbar im Wachsen begriffen." Wir wüßten
nicht, weshalb dieses Urteil nicht heute noch gelten sollte.

Wenn gleichwohl in dem dritten Entwurf einer Neichsstrafprozeßvrdnung
von der allgemeinen Durchführung der Schöffengerichte wieder abgesehen worden
ist, so beruhte das uicht auf einer veränderten Ansicht über den Wert der
Schöffengerichte, sondern ausschließlich auf der angeblichen Schwierigkeit, in
einzelnen östlichen Provinzen Preußens die erforderliche Anzahl von Schöffen
zu finden. Diese Partikularistische Rücksicht entzog dem ganzen Deutschland
ein vortreffliches Gericht. Seiner Wiederholung muß man aber doch beizeiten
ernstlich entgegentreten.

Entschließen sich die Bundesregierungen, die Strafkammern in Schöffen¬
gerichte umzuwandeln und gegen deren Urteile zugleich die Berufung an ein
größeres Schöffengericht zu gewähren, so haben sie einen großen Trumpf in
der Hand. Diesen Trumpf sollten sie aber nun so viel als möglich zu ver¬
werten suchen und in unsrer Zeit der politischen „Kompensationen" nicht ohne
eine angemessene Gegenleistung ausspielen. Daß wir dabei eine Gegenleistung
im Auge haben, die gleichfalls eine der fruchtbarsten Verbesserungen unsers
Strafprozesses sein würde, versteht sich von selbst. Es ist die Umwandlung
der Schwurgerichte in große Schöffengerichte.

Wenn irgend jemals, so ist jetzt der geeignete Zeitpunkt, diesen falschen
Edelstein, den uns 1848 die Franzosen in die Krone der Göttin der Gerechtig¬
keit gesetzt haben, mit dem echten des Schöffengerichts zu vertauschen. Wohl
niemals wieder wird die Regierung in der Lage sein, für die Abschaffung der
Schwurgerichte so gewichtige „Kompensationen" bieten zu können, wie jetzt
durch Einführung der Berufung und der Beteiligung der Laien in allen Straf¬
gerichten mit Ausnahme des Reichsgerichts. Dein gegenüber muß der Vor¬
wurf verstummen, als sei es auf einen Angriff auf die „Freiheiten des Volks"
abgesehen, der ja stets laut erhoben wird, wenn von Abschaffung des Schwur¬
gerichts die Rede ist.

Daß aber die Beteiligung des Laienelements in der Strafrechtspflege,
sobald man sie überhaupt für wünschenswert hält, bei weitem vorzuziehen ist,
wenn sie in der Form der Schöffengerichte erfolgt, darüber besteht unter sach¬
lich urteilenden kaum noch eine Meinungsverschiedenheit. Die Vorteile des
Schöffengerichts vor dein schon durch seine Fragstellungen ungemein verwickelten
und Zufälligkeiten aller Art ausgesetzten Geschwornengerichte mit seiner Tren¬
nung in Richterbank und Geschwornenbank sind zu einleuchtend. Und wenn


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[0486] Berufung und Schöffengericht gerichte täglich mehr steige, und daß die Art und Weise, wie die Schöffen ihren Beruf auffassen und erfüllen, ohne jeden Zweifel lobenswert sei. Das Vertrauen zu deu Erkenntnissen der Schöffengerichte ist auch offenbar in den Kreisen vorhanden, in denen häufig die Nichtersprttche rechtsgelehrtcr Richter mit Mißtrauen aufgenommen werden. Ebenso ist die Sympathie der Schöffen selbst mit demi neuen Institute offenbar im Wachsen begriffen." Wir wüßten nicht, weshalb dieses Urteil nicht heute noch gelten sollte. Wenn gleichwohl in dem dritten Entwurf einer Neichsstrafprozeßvrdnung von der allgemeinen Durchführung der Schöffengerichte wieder abgesehen worden ist, so beruhte das uicht auf einer veränderten Ansicht über den Wert der Schöffengerichte, sondern ausschließlich auf der angeblichen Schwierigkeit, in einzelnen östlichen Provinzen Preußens die erforderliche Anzahl von Schöffen zu finden. Diese Partikularistische Rücksicht entzog dem ganzen Deutschland ein vortreffliches Gericht. Seiner Wiederholung muß man aber doch beizeiten ernstlich entgegentreten. Entschließen sich die Bundesregierungen, die Strafkammern in Schöffen¬ gerichte umzuwandeln und gegen deren Urteile zugleich die Berufung an ein größeres Schöffengericht zu gewähren, so haben sie einen großen Trumpf in der Hand. Diesen Trumpf sollten sie aber nun so viel als möglich zu ver¬ werten suchen und in unsrer Zeit der politischen „Kompensationen" nicht ohne eine angemessene Gegenleistung ausspielen. Daß wir dabei eine Gegenleistung im Auge haben, die gleichfalls eine der fruchtbarsten Verbesserungen unsers Strafprozesses sein würde, versteht sich von selbst. Es ist die Umwandlung der Schwurgerichte in große Schöffengerichte. Wenn irgend jemals, so ist jetzt der geeignete Zeitpunkt, diesen falschen Edelstein, den uns 1848 die Franzosen in die Krone der Göttin der Gerechtig¬ keit gesetzt haben, mit dem echten des Schöffengerichts zu vertauschen. Wohl niemals wieder wird die Regierung in der Lage sein, für die Abschaffung der Schwurgerichte so gewichtige „Kompensationen" bieten zu können, wie jetzt durch Einführung der Berufung und der Beteiligung der Laien in allen Straf¬ gerichten mit Ausnahme des Reichsgerichts. Dein gegenüber muß der Vor¬ wurf verstummen, als sei es auf einen Angriff auf die „Freiheiten des Volks" abgesehen, der ja stets laut erhoben wird, wenn von Abschaffung des Schwur¬ gerichts die Rede ist. Daß aber die Beteiligung des Laienelements in der Strafrechtspflege, sobald man sie überhaupt für wünschenswert hält, bei weitem vorzuziehen ist, wenn sie in der Form der Schöffengerichte erfolgt, darüber besteht unter sach¬ lich urteilenden kaum noch eine Meinungsverschiedenheit. Die Vorteile des Schöffengerichts vor dein schon durch seine Fragstellungen ungemein verwickelten und Zufälligkeiten aller Art ausgesetzten Geschwornengerichte mit seiner Tren¬ nung in Richterbank und Geschwornenbank sind zu einleuchtend. Und wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/486>, abgerufen am 26.06.2024.