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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Berufung und Schöffengericht

man das Übergewicht der rechtsgelehrten Richter im Schöffengericht, trotz der
selbstverständlichen Überzahl der Schöffen, oft als Nachteil gegenüber dem Ge¬
schwornengericht anführt, so können wir nur sagen, daß Schöffen, die so wenig
Einsicht und Charakterfestigkeit haben, daß sie sich einfach von den gelehrten
Richtern ins Schlepptau nehmen lassen, jedenfalls noch schlechtere Geschworne
abgeben. Besser, sie lassen sich vom unparteiischen Richter leiten, als sie
sind ein Werkzeug in der Hand eines geschickten Staatsanwalts oder Ver¬
teidigers.

Man greife also auch hier wieder auf den Friedbergschen Entwurf zurück
und setze an Stelle der fremdländischen Einrichtung des Geschwornengerichts
das deutsche Schöffengericht.

Die Gerichtsverfassung aber, die jetzt das bunteste und verworrenste Aus¬
sehen hat, wird dann eine einheitliche, einfache Gliederung gewinnen. Ein Ge¬
richt gleicher Art wird an die Stelle von Gerichten vierfach verschiedner Arten
treten -- vom Reichsgericht abgesehn --, und zwar ein Gericht, das nach
menschlichem Ermessen und nach den bisherigen Erfahrungen die größte Ge¬
währ einer gerechten Rechtsprechung bietet: das Schöffengericht, abgestuft in
großes, mittleres und kleines lediglich durch die Anzahl der mitwirkenden ge¬
lehrten und ungelehrten Richter.

An diese drei Schöffengerichte würde sich dann mit Leichtigkeit das Rechts-
mittclverfahren anschließen, und es ergäbe sich von selbst, daß das mittlere
Schöffengericht die Berufungsinstanz für das kleine, das große Schöffengericht
aber die Berufungsinstanz für das mittlere, in erster Instanz urteilende Schöffen¬
gericht bildete. Denn ist man wirklich der Überzeugung, daß das Schöffen¬
gericht das beste seiner Art sei, so muß mau es auch als Berufnngsgericht
urteilen lasten.

Werden, wie wir annehmen, dem großen Schöffengerichte die schwersten
Straffälle in erster Instanz zugewiesen, so hat unter der weitern Voraussetzung,
daß die großen Schöffengerichte überhaupt die denkbar beste Zusammensetzung
richterlicher Kräfte besitzen, gegen deren Urteile nach unsrer oben entwickelten
Ansicht eine Berufung allerdings keinen Raum. Wir glauben auch, daß den
Mangel", die eine zweite Prüfung zu erfordern scheinen, durch eine sorgfältig
geführte gerichtliche Voruntersuchung und Verteidigung recht wohl abgeholfen
werden kann.

Auch ist es daun keineswegs nötig, über jede Art von Rechtsmitteln die
Schöffengerichte urteilen zu lassen. Es giebt Rechtsmittel, die rein prozesfuale,
der Kenntnis des Laien weniger geläufige Bestimmungen betreffen. Über solche
könnten die gelehrten Nichterkollegien des mittlern oder großen Schöffengerichts
recht gut allein entscheiden. Beschwerden dagegen, die die Feststellung des
Thatbestands, seine Unterordnung unter die Vorschriften des Gesetzes und Zu-
wessnng der verdienten Strafe angreifen, richten sich gegen das Wesentliche


Berufung und Schöffengericht

man das Übergewicht der rechtsgelehrten Richter im Schöffengericht, trotz der
selbstverständlichen Überzahl der Schöffen, oft als Nachteil gegenüber dem Ge¬
schwornengericht anführt, so können wir nur sagen, daß Schöffen, die so wenig
Einsicht und Charakterfestigkeit haben, daß sie sich einfach von den gelehrten
Richtern ins Schlepptau nehmen lassen, jedenfalls noch schlechtere Geschworne
abgeben. Besser, sie lassen sich vom unparteiischen Richter leiten, als sie
sind ein Werkzeug in der Hand eines geschickten Staatsanwalts oder Ver¬
teidigers.

Man greife also auch hier wieder auf den Friedbergschen Entwurf zurück
und setze an Stelle der fremdländischen Einrichtung des Geschwornengerichts
das deutsche Schöffengericht.

Die Gerichtsverfassung aber, die jetzt das bunteste und verworrenste Aus¬
sehen hat, wird dann eine einheitliche, einfache Gliederung gewinnen. Ein Ge¬
richt gleicher Art wird an die Stelle von Gerichten vierfach verschiedner Arten
treten — vom Reichsgericht abgesehn —, und zwar ein Gericht, das nach
menschlichem Ermessen und nach den bisherigen Erfahrungen die größte Ge¬
währ einer gerechten Rechtsprechung bietet: das Schöffengericht, abgestuft in
großes, mittleres und kleines lediglich durch die Anzahl der mitwirkenden ge¬
lehrten und ungelehrten Richter.

An diese drei Schöffengerichte würde sich dann mit Leichtigkeit das Rechts-
mittclverfahren anschließen, und es ergäbe sich von selbst, daß das mittlere
Schöffengericht die Berufungsinstanz für das kleine, das große Schöffengericht
aber die Berufungsinstanz für das mittlere, in erster Instanz urteilende Schöffen¬
gericht bildete. Denn ist man wirklich der Überzeugung, daß das Schöffen¬
gericht das beste seiner Art sei, so muß mau es auch als Berufnngsgericht
urteilen lasten.

Werden, wie wir annehmen, dem großen Schöffengerichte die schwersten
Straffälle in erster Instanz zugewiesen, so hat unter der weitern Voraussetzung,
daß die großen Schöffengerichte überhaupt die denkbar beste Zusammensetzung
richterlicher Kräfte besitzen, gegen deren Urteile nach unsrer oben entwickelten
Ansicht eine Berufung allerdings keinen Raum. Wir glauben auch, daß den
Mangel», die eine zweite Prüfung zu erfordern scheinen, durch eine sorgfältig
geführte gerichtliche Voruntersuchung und Verteidigung recht wohl abgeholfen
werden kann.

Auch ist es daun keineswegs nötig, über jede Art von Rechtsmitteln die
Schöffengerichte urteilen zu lassen. Es giebt Rechtsmittel, die rein prozesfuale,
der Kenntnis des Laien weniger geläufige Bestimmungen betreffen. Über solche
könnten die gelehrten Nichterkollegien des mittlern oder großen Schöffengerichts
recht gut allein entscheiden. Beschwerden dagegen, die die Feststellung des
Thatbestands, seine Unterordnung unter die Vorschriften des Gesetzes und Zu-
wessnng der verdienten Strafe angreifen, richten sich gegen das Wesentliche


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[0487] Berufung und Schöffengericht man das Übergewicht der rechtsgelehrten Richter im Schöffengericht, trotz der selbstverständlichen Überzahl der Schöffen, oft als Nachteil gegenüber dem Ge¬ schwornengericht anführt, so können wir nur sagen, daß Schöffen, die so wenig Einsicht und Charakterfestigkeit haben, daß sie sich einfach von den gelehrten Richtern ins Schlepptau nehmen lassen, jedenfalls noch schlechtere Geschworne abgeben. Besser, sie lassen sich vom unparteiischen Richter leiten, als sie sind ein Werkzeug in der Hand eines geschickten Staatsanwalts oder Ver¬ teidigers. Man greife also auch hier wieder auf den Friedbergschen Entwurf zurück und setze an Stelle der fremdländischen Einrichtung des Geschwornengerichts das deutsche Schöffengericht. Die Gerichtsverfassung aber, die jetzt das bunteste und verworrenste Aus¬ sehen hat, wird dann eine einheitliche, einfache Gliederung gewinnen. Ein Ge¬ richt gleicher Art wird an die Stelle von Gerichten vierfach verschiedner Arten treten — vom Reichsgericht abgesehn —, und zwar ein Gericht, das nach menschlichem Ermessen und nach den bisherigen Erfahrungen die größte Ge¬ währ einer gerechten Rechtsprechung bietet: das Schöffengericht, abgestuft in großes, mittleres und kleines lediglich durch die Anzahl der mitwirkenden ge¬ lehrten und ungelehrten Richter. An diese drei Schöffengerichte würde sich dann mit Leichtigkeit das Rechts- mittclverfahren anschließen, und es ergäbe sich von selbst, daß das mittlere Schöffengericht die Berufungsinstanz für das kleine, das große Schöffengericht aber die Berufungsinstanz für das mittlere, in erster Instanz urteilende Schöffen¬ gericht bildete. Denn ist man wirklich der Überzeugung, daß das Schöffen¬ gericht das beste seiner Art sei, so muß mau es auch als Berufnngsgericht urteilen lasten. Werden, wie wir annehmen, dem großen Schöffengerichte die schwersten Straffälle in erster Instanz zugewiesen, so hat unter der weitern Voraussetzung, daß die großen Schöffengerichte überhaupt die denkbar beste Zusammensetzung richterlicher Kräfte besitzen, gegen deren Urteile nach unsrer oben entwickelten Ansicht eine Berufung allerdings keinen Raum. Wir glauben auch, daß den Mangel», die eine zweite Prüfung zu erfordern scheinen, durch eine sorgfältig geführte gerichtliche Voruntersuchung und Verteidigung recht wohl abgeholfen werden kann. Auch ist es daun keineswegs nötig, über jede Art von Rechtsmitteln die Schöffengerichte urteilen zu lassen. Es giebt Rechtsmittel, die rein prozesfuale, der Kenntnis des Laien weniger geläufige Bestimmungen betreffen. Über solche könnten die gelehrten Nichterkollegien des mittlern oder großen Schöffengerichts recht gut allein entscheiden. Beschwerden dagegen, die die Feststellung des Thatbestands, seine Unterordnung unter die Vorschriften des Gesetzes und Zu- wessnng der verdienten Strafe angreifen, richten sich gegen das Wesentliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/487>, abgerufen am 26.06.2024.