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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Der Bund der Tandwirte

schiffte Getreide. West- und Süddeutschland haben sich bisher dagegen schroff
ablehnend verhalten, und die Regierung ist auf ihre Seite getreten. Die Obcr-
schlesier möchten die ganze Freizügigkeit beseitigen, verlangen mindestens von
dem Eiseubahnminister eine Erschwerung des Transports der Sachsengänger,
die Zuckerrübenbauer in Sachsen haben ganz andre Ansichten. Im Ncichs-
eisenbahnrat stehen die landwirtschaftlichen Mitglieder von Ost und West stets
kampfbereit einander gegenüber. Die Maul- und Klauenseuche kommt nicht
immer aus Rußland und Österreich, in Schlesien bezichtigt man auch Baiern
dieser Missethat und verlangt Sperre gegen bairische Ochsen. Wer kauft denn
die magern amerikanischen Ochsen und schimpft heimlich über den hohen Ein¬
fuhrzoll? Wer hat denn so lange Zuchtböcke nach Australien und Amerika
mit hohem Verdienst verkauft, bis sich die Schafzüchter dort auf eigne Füße
gestellt haben und Deutschland mit Wolle überschütten? Die Landwirte, die
deutschen Landwirte! Wer schimpft über den Zwischenhandel und zieht ihn
doch selbst künstlich groß? Vom Nachbar kauft man ungern, man schickt ihm
den Händler zu, der kauft billiger. Egoismus und Mißgunst, das Erbteil
des alten deutschen Bauern überall! Es wäre herrlich, wenn das Jahr 1893
hierin eine Besserung brächte und der neue "Bund der Landwirte" nicht bloß
eine Summe von Egoismen bedeutete. Borläufig ist sein erstes Ziel der Kampf
gegen jede weitere Herabsetzung der Kornzölle; die andern Wünsche, nein For¬
derungen kommen dann der Reihe nach zur Erledigung. Wo diese Reihe auf¬
hört, das ist heute schwer zu ahnen, aber es beschleicht uns eine gewisse Furcht,
daß, wenn diese landwirtschaftliche Partei zur Herrschaft gelangt, das deutsche
Reich sehr leicht in die Fußstapfen Chinas geraten und die große Mauer nicht
mehr lange auf sich warten lassen würde; haben sich doch schon die ober-
schlesischen Landwirte aufs heftigste gegen den von Handel und Industrie so
lange ersehnten Donau-Oder-Kanal ausgesprochen. Glücklicherweise bewegen
wir uns vorläufig noch in der Diagonale der Kräfte, und das ist gut; selbst
über deu Handelsvertrag mit Rußland und die Herabsetzung des Zolles für
russisches Brodgetreide auf den sonst allgemeinen Satz von 3,50 Mark für
100 Kilogramm herrscht bei den Landwirten kein Einverständnis; je nach der
geographischen Lage scheint man über den Nutzen und Schaden ganz anders
zu denken. Hie und da gewinnt auch die nüchterne Meinung derer Boden,
die die österreichischen Handelsverhültnisse in den Grenzländern näher kennen,
daß das russische Getreide sehr leicht die Wege finden werde, um zu dem
billigern Zollsatz nach Deutschland zu gelangen. Wer will es selbst bei strenger
Durchführung der Ursprungsuachweisung hindern, daß Holland, Schweden
und Galizien ihre ganze Ernte nach Deutschland werfen und ihren Bedarf
aus Rußland beziehen? Die Fracht, namentlich zur See, ist heute erstaunlich
billig. Dieser Kampf, sagen die nüchternen Geschäftsleute, ist also ein Kampf
gegen Windmühlen, ein Einrenneu offner Thüren.


Der Bund der Tandwirte

schiffte Getreide. West- und Süddeutschland haben sich bisher dagegen schroff
ablehnend verhalten, und die Regierung ist auf ihre Seite getreten. Die Obcr-
schlesier möchten die ganze Freizügigkeit beseitigen, verlangen mindestens von
dem Eiseubahnminister eine Erschwerung des Transports der Sachsengänger,
die Zuckerrübenbauer in Sachsen haben ganz andre Ansichten. Im Ncichs-
eisenbahnrat stehen die landwirtschaftlichen Mitglieder von Ost und West stets
kampfbereit einander gegenüber. Die Maul- und Klauenseuche kommt nicht
immer aus Rußland und Österreich, in Schlesien bezichtigt man auch Baiern
dieser Missethat und verlangt Sperre gegen bairische Ochsen. Wer kauft denn
die magern amerikanischen Ochsen und schimpft heimlich über den hohen Ein¬
fuhrzoll? Wer hat denn so lange Zuchtböcke nach Australien und Amerika
mit hohem Verdienst verkauft, bis sich die Schafzüchter dort auf eigne Füße
gestellt haben und Deutschland mit Wolle überschütten? Die Landwirte, die
deutschen Landwirte! Wer schimpft über den Zwischenhandel und zieht ihn
doch selbst künstlich groß? Vom Nachbar kauft man ungern, man schickt ihm
den Händler zu, der kauft billiger. Egoismus und Mißgunst, das Erbteil
des alten deutschen Bauern überall! Es wäre herrlich, wenn das Jahr 1893
hierin eine Besserung brächte und der neue „Bund der Landwirte" nicht bloß
eine Summe von Egoismen bedeutete. Borläufig ist sein erstes Ziel der Kampf
gegen jede weitere Herabsetzung der Kornzölle; die andern Wünsche, nein For¬
derungen kommen dann der Reihe nach zur Erledigung. Wo diese Reihe auf¬
hört, das ist heute schwer zu ahnen, aber es beschleicht uns eine gewisse Furcht,
daß, wenn diese landwirtschaftliche Partei zur Herrschaft gelangt, das deutsche
Reich sehr leicht in die Fußstapfen Chinas geraten und die große Mauer nicht
mehr lange auf sich warten lassen würde; haben sich doch schon die ober-
schlesischen Landwirte aufs heftigste gegen den von Handel und Industrie so
lange ersehnten Donau-Oder-Kanal ausgesprochen. Glücklicherweise bewegen
wir uns vorläufig noch in der Diagonale der Kräfte, und das ist gut; selbst
über deu Handelsvertrag mit Rußland und die Herabsetzung des Zolles für
russisches Brodgetreide auf den sonst allgemeinen Satz von 3,50 Mark für
100 Kilogramm herrscht bei den Landwirten kein Einverständnis; je nach der
geographischen Lage scheint man über den Nutzen und Schaden ganz anders
zu denken. Hie und da gewinnt auch die nüchterne Meinung derer Boden,
die die österreichischen Handelsverhültnisse in den Grenzländern näher kennen,
daß das russische Getreide sehr leicht die Wege finden werde, um zu dem
billigern Zollsatz nach Deutschland zu gelangen. Wer will es selbst bei strenger
Durchführung der Ursprungsuachweisung hindern, daß Holland, Schweden
und Galizien ihre ganze Ernte nach Deutschland werfen und ihren Bedarf
aus Rußland beziehen? Die Fracht, namentlich zur See, ist heute erstaunlich
billig. Dieser Kampf, sagen die nüchternen Geschäftsleute, ist also ein Kampf
gegen Windmühlen, ein Einrenneu offner Thüren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/478>, abgerufen am 26.06.2024.