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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Zur Jude'nfrage

ein, daß in dem Überwuchern des Judentums eine ernste Gefahr für Deutsch¬
land liegt. Die Zustände in östlichen Ländern (z. B. in Rumänien) bilden
ein warnendes Beispiel. Weit weniger bedroht als Deutschland sind unsre
westlichen Nachbarländer. Ju Frankreich und auch in England sind ins¬
gesamt noch nicht so viele Juden, wie in Berlin allein.

Man sagt nun: um die Auswüchse des Judentums zu beseitigen, müßten
die bessern Elemente unter den Juden mit aller Entschiedenheit gegen die
schlechter!! Front machen, dann würden jene Auswüchse schwinden. Vergeb¬
liche Hoffnung! ^sg-turam sxxslliis kuren, t-i-inen use^us rsczurrst.

So lange sich die Juden von dem Deutschtum physisch abschließe!!, werden
sie auch Juden bleiben. Ihre Eigentümlichkeiten würden nur verschwinden,
wenn sie sich entschließen könnten, dnrch Eheschließungen im Deutschtum auf¬
zugehen. Ob sie dann noch ihre Religion beibehielten, wäre ziemlich gleich-
giltig. Die jüdische Religion, die ja nur eine Vorstufe der christlichen ist,
hat mir Sinn, so lange die Juden als gesondertes Volk fortbestehen.

Nun fragt man freilich: Welche praktischen Ziele kann denn der Antisemi¬
tismus verfolgen wollen? Wir sind nicht in die Anschauungen derer, die
sich Antisemiten nennen, eingeweiht. Ohne Zweifel aber liegt bei ihnen der
Gedanke zu Grunde, daß die Juden nicht als Deutsche, sondern als Fremde
behandelt werden sollen. Damit würden sie natürlich nicht aller Rechte ent¬
kleidet werden. Nach den Gesetzen aller gebildeten Völker genießen auch Fremde
aus privatrechtlichen Gebiete gleiches Recht mit den Einheimischen. Ein wich¬
tiges Recht, das jeder Staat den Fremden gegenüber auszuüben befugt ist,
daß er sie nämlich in ihr Heimatsland zurückweisen kann, würden wir freilich
den deutschen Juden gegenüber nicht ausüben können, da sie kein Heimatsland
außerhalb Deutschlands haben. Wir müssen sie also behalten. Aber eins
brauchte!! wir doch, wenn wir sie als Fremde betrachten, nicht zu thun:
wir brauchten sie nicht an der Herrschaft in unserm Lande teilnehmen zu
lassen. Das thun wir aber, indem wir ihnen obrigkeitliche Stellen über¬
tragen.

Das Reichsgefetz vom 3. Juli 1869, das den Juden auch alle "staats¬
bürgerlichen" Rechte einräumt, erläutert dies noch besonders dahin, daß auch
die Befähigung zur Bekleidung öffentlicher Ämter vom religiösen Bekenntnis
unabhängig sein soll. Ob nun die Nachweisung der Befähigung jedem Staats¬
bürger auch ein Recht darauf giebt, daß ihm ein öffentliches Amt übertragen
werde, darüber ließe sich wohl spreche". Die Übertragung eines Amtes ist
ein Vertragsschluß zwischeu der Staatsgewalt und dein Bewerber, und man
sollte denken, daß ein solcher im beiderseitigen freien Willen stehe. Thatsächlich
sind auch in Preußen, soviel wir wissen, bei gewissen Zweigen des öffentlichen
Dienstes Juden so gut wie ausgeschlossen. Nur zu einzelnen Dienstzweigen,
namentlich zum Nichteramte, hat man sie zugelassen. Ob damit im Sinne


Zur Jude'nfrage

ein, daß in dem Überwuchern des Judentums eine ernste Gefahr für Deutsch¬
land liegt. Die Zustände in östlichen Ländern (z. B. in Rumänien) bilden
ein warnendes Beispiel. Weit weniger bedroht als Deutschland sind unsre
westlichen Nachbarländer. Ju Frankreich und auch in England sind ins¬
gesamt noch nicht so viele Juden, wie in Berlin allein.

Man sagt nun: um die Auswüchse des Judentums zu beseitigen, müßten
die bessern Elemente unter den Juden mit aller Entschiedenheit gegen die
schlechter!! Front machen, dann würden jene Auswüchse schwinden. Vergeb¬
liche Hoffnung! ^sg-turam sxxslliis kuren, t-i-inen use^us rsczurrst.

So lange sich die Juden von dem Deutschtum physisch abschließe!!, werden
sie auch Juden bleiben. Ihre Eigentümlichkeiten würden nur verschwinden,
wenn sie sich entschließen könnten, dnrch Eheschließungen im Deutschtum auf¬
zugehen. Ob sie dann noch ihre Religion beibehielten, wäre ziemlich gleich-
giltig. Die jüdische Religion, die ja nur eine Vorstufe der christlichen ist,
hat mir Sinn, so lange die Juden als gesondertes Volk fortbestehen.

Nun fragt man freilich: Welche praktischen Ziele kann denn der Antisemi¬
tismus verfolgen wollen? Wir sind nicht in die Anschauungen derer, die
sich Antisemiten nennen, eingeweiht. Ohne Zweifel aber liegt bei ihnen der
Gedanke zu Grunde, daß die Juden nicht als Deutsche, sondern als Fremde
behandelt werden sollen. Damit würden sie natürlich nicht aller Rechte ent¬
kleidet werden. Nach den Gesetzen aller gebildeten Völker genießen auch Fremde
aus privatrechtlichen Gebiete gleiches Recht mit den Einheimischen. Ein wich¬
tiges Recht, das jeder Staat den Fremden gegenüber auszuüben befugt ist,
daß er sie nämlich in ihr Heimatsland zurückweisen kann, würden wir freilich
den deutschen Juden gegenüber nicht ausüben können, da sie kein Heimatsland
außerhalb Deutschlands haben. Wir müssen sie also behalten. Aber eins
brauchte!! wir doch, wenn wir sie als Fremde betrachten, nicht zu thun:
wir brauchten sie nicht an der Herrschaft in unserm Lande teilnehmen zu
lassen. Das thun wir aber, indem wir ihnen obrigkeitliche Stellen über¬
tragen.

Das Reichsgefetz vom 3. Juli 1869, das den Juden auch alle „staats¬
bürgerlichen" Rechte einräumt, erläutert dies noch besonders dahin, daß auch
die Befähigung zur Bekleidung öffentlicher Ämter vom religiösen Bekenntnis
unabhängig sein soll. Ob nun die Nachweisung der Befähigung jedem Staats¬
bürger auch ein Recht darauf giebt, daß ihm ein öffentliches Amt übertragen
werde, darüber ließe sich wohl spreche». Die Übertragung eines Amtes ist
ein Vertragsschluß zwischeu der Staatsgewalt und dein Bewerber, und man
sollte denken, daß ein solcher im beiderseitigen freien Willen stehe. Thatsächlich
sind auch in Preußen, soviel wir wissen, bei gewissen Zweigen des öffentlichen
Dienstes Juden so gut wie ausgeschlossen. Nur zu einzelnen Dienstzweigen,
namentlich zum Nichteramte, hat man sie zugelassen. Ob damit im Sinne


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[0432] Zur Jude'nfrage ein, daß in dem Überwuchern des Judentums eine ernste Gefahr für Deutsch¬ land liegt. Die Zustände in östlichen Ländern (z. B. in Rumänien) bilden ein warnendes Beispiel. Weit weniger bedroht als Deutschland sind unsre westlichen Nachbarländer. Ju Frankreich und auch in England sind ins¬ gesamt noch nicht so viele Juden, wie in Berlin allein. Man sagt nun: um die Auswüchse des Judentums zu beseitigen, müßten die bessern Elemente unter den Juden mit aller Entschiedenheit gegen die schlechter!! Front machen, dann würden jene Auswüchse schwinden. Vergeb¬ liche Hoffnung! ^sg-turam sxxslliis kuren, t-i-inen use^us rsczurrst. So lange sich die Juden von dem Deutschtum physisch abschließe!!, werden sie auch Juden bleiben. Ihre Eigentümlichkeiten würden nur verschwinden, wenn sie sich entschließen könnten, dnrch Eheschließungen im Deutschtum auf¬ zugehen. Ob sie dann noch ihre Religion beibehielten, wäre ziemlich gleich- giltig. Die jüdische Religion, die ja nur eine Vorstufe der christlichen ist, hat mir Sinn, so lange die Juden als gesondertes Volk fortbestehen. Nun fragt man freilich: Welche praktischen Ziele kann denn der Antisemi¬ tismus verfolgen wollen? Wir sind nicht in die Anschauungen derer, die sich Antisemiten nennen, eingeweiht. Ohne Zweifel aber liegt bei ihnen der Gedanke zu Grunde, daß die Juden nicht als Deutsche, sondern als Fremde behandelt werden sollen. Damit würden sie natürlich nicht aller Rechte ent¬ kleidet werden. Nach den Gesetzen aller gebildeten Völker genießen auch Fremde aus privatrechtlichen Gebiete gleiches Recht mit den Einheimischen. Ein wich¬ tiges Recht, das jeder Staat den Fremden gegenüber auszuüben befugt ist, daß er sie nämlich in ihr Heimatsland zurückweisen kann, würden wir freilich den deutschen Juden gegenüber nicht ausüben können, da sie kein Heimatsland außerhalb Deutschlands haben. Wir müssen sie also behalten. Aber eins brauchte!! wir doch, wenn wir sie als Fremde betrachten, nicht zu thun: wir brauchten sie nicht an der Herrschaft in unserm Lande teilnehmen zu lassen. Das thun wir aber, indem wir ihnen obrigkeitliche Stellen über¬ tragen. Das Reichsgefetz vom 3. Juli 1869, das den Juden auch alle „staats¬ bürgerlichen" Rechte einräumt, erläutert dies noch besonders dahin, daß auch die Befähigung zur Bekleidung öffentlicher Ämter vom religiösen Bekenntnis unabhängig sein soll. Ob nun die Nachweisung der Befähigung jedem Staats¬ bürger auch ein Recht darauf giebt, daß ihm ein öffentliches Amt übertragen werde, darüber ließe sich wohl spreche». Die Übertragung eines Amtes ist ein Vertragsschluß zwischeu der Staatsgewalt und dein Bewerber, und man sollte denken, daß ein solcher im beiderseitigen freien Willen stehe. Thatsächlich sind auch in Preußen, soviel wir wissen, bei gewissen Zweigen des öffentlichen Dienstes Juden so gut wie ausgeschlossen. Nur zu einzelnen Dienstzweigen, namentlich zum Nichteramte, hat man sie zugelassen. Ob damit im Sinne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/432>, abgerufen am 25.11.2024.