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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Unsre Volksschulbildung

Richtung bethätigt, daß durch sie das Heer in seiner Brauchbarkeit als "In¬
strument des Stciatswvhls und der Staatssicherheit" starken Abbruch erleidet.
Das; es die städtische Volksschule dabei an ihrer Mitwirkung uicht fehlen läßt,
wird keiner Auseinandersetzung bedürfen, ein Hinweis auf die schau gekenn¬
zeichnete Unzufriedenheit mag genügen, die ein unzweckmäßiger VollSschnluuter-
richt sowohl in der Stadt mis auf dem Lande bei einer großen Zahl seiner
ehemaligen Empfänger zu erzeugen geeignet ist und thatsächlich erzeugt, und
auf den Vorschub, der dadurch unheilvollen Einflüssen, namentlich sozialpoli¬
tischer Natur unvermeidlich geleistet wird.

Aber dürfen wir nicht der Haltbarkeit jenes Bollwerks, auf dem unsre
Hoffnungen ruhen, ohne Sorge vertrauen? Würden wir uns uicht entgegen¬
gesetzte" Falles der Schwarzseherei schuldig macheu? Liegt der Zeitpunkt nicht
jedenfalls in unabsehbarer Ferne, wo der Geist des deutschen Heeres die
Mannszucht -- um mit deu Hamburger Nachrichten zu reden -- nicht mehr
ertragen und vertragen wird? Man hüte sich, diese Fragen allzu zuversichtlich
zu bejciheu! Zu dieser Stunde zwar ist der Boden, in dem die Mannszucht
unsers Heeres wurzelt, noch von hinreichender Festigkeit, um auch die im Heere
sich bergenden der staatlichen Ordnung widerstrebenden Elemente zu zügeln.
Aber wir dürfen uns nicht verhehlen, daß sozialistisch-anarchische Ideen und
Grundsätze auch im Heere in unmerklichen, aber stetigem Fortschritt begriffen
siud. Wer sich des Gedankens getrösten zu dürfen glaubt, daß es schon
früher in der Geschichte Zeiten gegeben habe, wo die staatliche Autorität durch
revolutionäre Mächte aufs äußerste bedroht war und sich dennoch siegreich
behauptete, der läßt es sicherlich an der vollen Würdigung eines Umstandes
fehlen, der nicht selten die Wagschale des Sieges zu Gunsten der bestehenden
Autorität gesenkt haben mag: vielleicht fiel ihr der Sieg nur deshalb zu, weil die
thatsächliche Überlegenheit des Stärkern keineswegs allein ausreicht, den
Schwächern zu überwinden, sondern weil es dazu auch der darauf abzielende"
Anwendung der überlegne" Kraft bedarf, und weil diese wieder voraussetzt, daß
sich der Stärkere seiner Überlegenheit bewußt geworden ist. Wo dieses Bewußtsein
mangelt, gehorcht auch das kraftvolle Haustier selbst widerwillig dem um so vieles
schwächer" Meuschen. U"d so mag es auch geschehen sein, daß die Autorität
der einmal bestehenden staatlichen Ordnung trotz der thatsächlichen Überlegen¬
heit ihrer Gegner aufrecht erhalten blieb, weil diese nicht dazu gelangten, sich
unter einander ihres gegenseitigen Einverständnisses zu versichern, weil sie
infolge dessen in ihrer mehr oder weniger ausgeprägten Vereinzelung verharren
mußten und daher der Möglichkeit beraubt wurden, sich zu dem einheitlichen
Auftreten und Handeln zu organisiren, dessen Nachdruck ihrer wirklich vor-
handnen Mnchtfülle entsprochen haben würde. Die Kompensation der mate¬
riellen Jnferioritüt durch das geistige Element der Autorität aber kann nur
so lange fortwirken, als es gelingt, das gegenseitige Einverständnis der Un-


Unsre Volksschulbildung

Richtung bethätigt, daß durch sie das Heer in seiner Brauchbarkeit als „In¬
strument des Stciatswvhls und der Staatssicherheit" starken Abbruch erleidet.
Das; es die städtische Volksschule dabei an ihrer Mitwirkung uicht fehlen läßt,
wird keiner Auseinandersetzung bedürfen, ein Hinweis auf die schau gekenn¬
zeichnete Unzufriedenheit mag genügen, die ein unzweckmäßiger VollSschnluuter-
richt sowohl in der Stadt mis auf dem Lande bei einer großen Zahl seiner
ehemaligen Empfänger zu erzeugen geeignet ist und thatsächlich erzeugt, und
auf den Vorschub, der dadurch unheilvollen Einflüssen, namentlich sozialpoli¬
tischer Natur unvermeidlich geleistet wird.

Aber dürfen wir nicht der Haltbarkeit jenes Bollwerks, auf dem unsre
Hoffnungen ruhen, ohne Sorge vertrauen? Würden wir uns uicht entgegen¬
gesetzte» Falles der Schwarzseherei schuldig macheu? Liegt der Zeitpunkt nicht
jedenfalls in unabsehbarer Ferne, wo der Geist des deutschen Heeres die
Mannszucht — um mit deu Hamburger Nachrichten zu reden — nicht mehr
ertragen und vertragen wird? Man hüte sich, diese Fragen allzu zuversichtlich
zu bejciheu! Zu dieser Stunde zwar ist der Boden, in dem die Mannszucht
unsers Heeres wurzelt, noch von hinreichender Festigkeit, um auch die im Heere
sich bergenden der staatlichen Ordnung widerstrebenden Elemente zu zügeln.
Aber wir dürfen uns nicht verhehlen, daß sozialistisch-anarchische Ideen und
Grundsätze auch im Heere in unmerklichen, aber stetigem Fortschritt begriffen
siud. Wer sich des Gedankens getrösten zu dürfen glaubt, daß es schon
früher in der Geschichte Zeiten gegeben habe, wo die staatliche Autorität durch
revolutionäre Mächte aufs äußerste bedroht war und sich dennoch siegreich
behauptete, der läßt es sicherlich an der vollen Würdigung eines Umstandes
fehlen, der nicht selten die Wagschale des Sieges zu Gunsten der bestehenden
Autorität gesenkt haben mag: vielleicht fiel ihr der Sieg nur deshalb zu, weil die
thatsächliche Überlegenheit des Stärkern keineswegs allein ausreicht, den
Schwächern zu überwinden, sondern weil es dazu auch der darauf abzielende»
Anwendung der überlegne» Kraft bedarf, und weil diese wieder voraussetzt, daß
sich der Stärkere seiner Überlegenheit bewußt geworden ist. Wo dieses Bewußtsein
mangelt, gehorcht auch das kraftvolle Haustier selbst widerwillig dem um so vieles
schwächer» Meuschen. U»d so mag es auch geschehen sein, daß die Autorität
der einmal bestehenden staatlichen Ordnung trotz der thatsächlichen Überlegen¬
heit ihrer Gegner aufrecht erhalten blieb, weil diese nicht dazu gelangten, sich
unter einander ihres gegenseitigen Einverständnisses zu versichern, weil sie
infolge dessen in ihrer mehr oder weniger ausgeprägten Vereinzelung verharren
mußten und daher der Möglichkeit beraubt wurden, sich zu dem einheitlichen
Auftreten und Handeln zu organisiren, dessen Nachdruck ihrer wirklich vor-
handnen Mnchtfülle entsprochen haben würde. Die Kompensation der mate¬
riellen Jnferioritüt durch das geistige Element der Autorität aber kann nur
so lange fortwirken, als es gelingt, das gegenseitige Einverständnis der Un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/397>, abgerufen am 20.09.2024.