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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Der Schutz des Privateigentums zur See

Karls des Fünften (1364 bis 1380) an der Küste von Guinea Niederlassungen
gegründet. Der berühmte Reeber Jean Augv, der König von Dieppe ge¬
nannt, betrieb im sechzehnten Jahrhundert die Kaperei im großen. Er
rüstete ganze Flotten aus, erklärte auf eigue Faust dem König vou Portugal
den Krieg und blockirte Lissabon, bis sich die Portugiesen durch eine Ent¬
schädigung loskauften. Später bestanden in Dieppe sieben Gesellschaften, die
Schiffe für die Freibeuterei ausrüsteten; derselbe Hafen war die Heimat der
Alibustier, deren Tapferkeit und deren zersetzende Einwirkung auf die spanische
Weltmacht genügend bekannt ist. Das berühmteste Freibeuteruest des sieb¬
zehnte" Jahrhunderts war Dünkirchen; es genügt, daran zu erinnern, daß
Jean Bart ein Dünkirchner war. Der größte Seeheld aller Zeiten, der Ad¬
miral Michiel de Ruiter, erwarb sich seine Tüchtigkeit in den harten Kämpfen
mit jenen Kapereru. Die Prisengelder der Dünkirchner sollen sich während der
Kriege Ludwigs des Nierzehnten ans 22 Millionen Franken belaufen haben.
Unter den Freibeutern von Saint-Malo zeichnete sich Duguah-Trouin durch
bewunderungswürdige Kühnheit aus. Die Malouenser rüsteten ans eigne Kosten
ganze Geschwader ans, unter denen sich Schiffe von 50 bis 60 Kanonen be¬
fanden. Zuweilen nahm auch der Staat an diesen Unternehmungen teil. Als
Ludwig dem Vierzehnten die Gelder zur Erhaltung der Kriegsflotte ausgingen,
übergab er die Kriegsschiffe in Pacht an Unternehmer, die mit ihnen die
Kaperei betrieben. 170'.) konnte Saint-Malo dem Staate 30 Millionen vor¬
schießen, und überdies waren die ausgedehnten Festungswerke auf städtische
Kosten erbaut worden. La Bourdonnais vernichtete durch seine Kaperzüge,
die er im Dienste der indischen Gesellschaft während des Erbfolgekrieges aus¬
führte, den englischen Seehandel im Indischen Ozean. Madras fiel in fran¬
zösische Gewalt, und die englische Flotte mußte sich nach Ceylon zurückziehen.
Ile de Frauen (jetzt Mauritius genannt) war der Kriegshafen der Gesellschaft;
vergeblich versuchten die Engländer 1746 ihn zu nehmen. Die indische Gesell¬
schaft hatte innerhalb von fünfzig Jahren nicht weniger als 131 Linienschiffe,
61 Fregatten und viele kleinere Schiffe, zusammen eine Flotte von 300 Segeln
erbaut und ausgerüstet. Lorient wurde dnrch ihren Einfluß zu einem Platze
ersten Ranges. In den Revolutionskriegen spielten wieder die Freibeuter eine
Rolle; bis 1794 hatten sie den Engländern 410 Fahrzeuge genommen. Als
Napoleon der Erste die Herausgabe Maltas forderte, antwortete England
damit, daß es auf allen Meeren französische und holländische Schiffe weg¬
nahm, im ganzen 1200. Kann man es einer Seemacht wie Frankreich, die
mit Stolz auf eine so rnhmreiche Freibentergeschichte zurückblickt, verdenken,
daß sie auch heute noch, wenn einmal Krieg geführt werden soll, nicht auf
eine Waffe verzichtet, die ihr so vielen Nutzen gebracht hat, und die ihr bei
der heutigen Art der Kriegführung noch größere Vorteile verspricht?

Deutschland hat als Seemacht noch keine Vergangenheit, keine Geschichte,


Der Schutz des Privateigentums zur See

Karls des Fünften (1364 bis 1380) an der Küste von Guinea Niederlassungen
gegründet. Der berühmte Reeber Jean Augv, der König von Dieppe ge¬
nannt, betrieb im sechzehnten Jahrhundert die Kaperei im großen. Er
rüstete ganze Flotten aus, erklärte auf eigue Faust dem König vou Portugal
den Krieg und blockirte Lissabon, bis sich die Portugiesen durch eine Ent¬
schädigung loskauften. Später bestanden in Dieppe sieben Gesellschaften, die
Schiffe für die Freibeuterei ausrüsteten; derselbe Hafen war die Heimat der
Alibustier, deren Tapferkeit und deren zersetzende Einwirkung auf die spanische
Weltmacht genügend bekannt ist. Das berühmteste Freibeuteruest des sieb¬
zehnte» Jahrhunderts war Dünkirchen; es genügt, daran zu erinnern, daß
Jean Bart ein Dünkirchner war. Der größte Seeheld aller Zeiten, der Ad¬
miral Michiel de Ruiter, erwarb sich seine Tüchtigkeit in den harten Kämpfen
mit jenen Kapereru. Die Prisengelder der Dünkirchner sollen sich während der
Kriege Ludwigs des Nierzehnten ans 22 Millionen Franken belaufen haben.
Unter den Freibeutern von Saint-Malo zeichnete sich Duguah-Trouin durch
bewunderungswürdige Kühnheit aus. Die Malouenser rüsteten ans eigne Kosten
ganze Geschwader ans, unter denen sich Schiffe von 50 bis 60 Kanonen be¬
fanden. Zuweilen nahm auch der Staat an diesen Unternehmungen teil. Als
Ludwig dem Vierzehnten die Gelder zur Erhaltung der Kriegsflotte ausgingen,
übergab er die Kriegsschiffe in Pacht an Unternehmer, die mit ihnen die
Kaperei betrieben. 170'.) konnte Saint-Malo dem Staate 30 Millionen vor¬
schießen, und überdies waren die ausgedehnten Festungswerke auf städtische
Kosten erbaut worden. La Bourdonnais vernichtete durch seine Kaperzüge,
die er im Dienste der indischen Gesellschaft während des Erbfolgekrieges aus¬
führte, den englischen Seehandel im Indischen Ozean. Madras fiel in fran¬
zösische Gewalt, und die englische Flotte mußte sich nach Ceylon zurückziehen.
Ile de Frauen (jetzt Mauritius genannt) war der Kriegshafen der Gesellschaft;
vergeblich versuchten die Engländer 1746 ihn zu nehmen. Die indische Gesell¬
schaft hatte innerhalb von fünfzig Jahren nicht weniger als 131 Linienschiffe,
61 Fregatten und viele kleinere Schiffe, zusammen eine Flotte von 300 Segeln
erbaut und ausgerüstet. Lorient wurde dnrch ihren Einfluß zu einem Platze
ersten Ranges. In den Revolutionskriegen spielten wieder die Freibeuter eine
Rolle; bis 1794 hatten sie den Engländern 410 Fahrzeuge genommen. Als
Napoleon der Erste die Herausgabe Maltas forderte, antwortete England
damit, daß es auf allen Meeren französische und holländische Schiffe weg¬
nahm, im ganzen 1200. Kann man es einer Seemacht wie Frankreich, die
mit Stolz auf eine so rnhmreiche Freibentergeschichte zurückblickt, verdenken,
daß sie auch heute noch, wenn einmal Krieg geführt werden soll, nicht auf
eine Waffe verzichtet, die ihr so vielen Nutzen gebracht hat, und die ihr bei
der heutigen Art der Kriegführung noch größere Vorteile verspricht?

Deutschland hat als Seemacht noch keine Vergangenheit, keine Geschichte,


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[0374] Der Schutz des Privateigentums zur See Karls des Fünften (1364 bis 1380) an der Küste von Guinea Niederlassungen gegründet. Der berühmte Reeber Jean Augv, der König von Dieppe ge¬ nannt, betrieb im sechzehnten Jahrhundert die Kaperei im großen. Er rüstete ganze Flotten aus, erklärte auf eigue Faust dem König vou Portugal den Krieg und blockirte Lissabon, bis sich die Portugiesen durch eine Ent¬ schädigung loskauften. Später bestanden in Dieppe sieben Gesellschaften, die Schiffe für die Freibeuterei ausrüsteten; derselbe Hafen war die Heimat der Alibustier, deren Tapferkeit und deren zersetzende Einwirkung auf die spanische Weltmacht genügend bekannt ist. Das berühmteste Freibeuteruest des sieb¬ zehnte» Jahrhunderts war Dünkirchen; es genügt, daran zu erinnern, daß Jean Bart ein Dünkirchner war. Der größte Seeheld aller Zeiten, der Ad¬ miral Michiel de Ruiter, erwarb sich seine Tüchtigkeit in den harten Kämpfen mit jenen Kapereru. Die Prisengelder der Dünkirchner sollen sich während der Kriege Ludwigs des Nierzehnten ans 22 Millionen Franken belaufen haben. Unter den Freibeutern von Saint-Malo zeichnete sich Duguah-Trouin durch bewunderungswürdige Kühnheit aus. Die Malouenser rüsteten ans eigne Kosten ganze Geschwader ans, unter denen sich Schiffe von 50 bis 60 Kanonen be¬ fanden. Zuweilen nahm auch der Staat an diesen Unternehmungen teil. Als Ludwig dem Vierzehnten die Gelder zur Erhaltung der Kriegsflotte ausgingen, übergab er die Kriegsschiffe in Pacht an Unternehmer, die mit ihnen die Kaperei betrieben. 170'.) konnte Saint-Malo dem Staate 30 Millionen vor¬ schießen, und überdies waren die ausgedehnten Festungswerke auf städtische Kosten erbaut worden. La Bourdonnais vernichtete durch seine Kaperzüge, die er im Dienste der indischen Gesellschaft während des Erbfolgekrieges aus¬ führte, den englischen Seehandel im Indischen Ozean. Madras fiel in fran¬ zösische Gewalt, und die englische Flotte mußte sich nach Ceylon zurückziehen. Ile de Frauen (jetzt Mauritius genannt) war der Kriegshafen der Gesellschaft; vergeblich versuchten die Engländer 1746 ihn zu nehmen. Die indische Gesell¬ schaft hatte innerhalb von fünfzig Jahren nicht weniger als 131 Linienschiffe, 61 Fregatten und viele kleinere Schiffe, zusammen eine Flotte von 300 Segeln erbaut und ausgerüstet. Lorient wurde dnrch ihren Einfluß zu einem Platze ersten Ranges. In den Revolutionskriegen spielten wieder die Freibeuter eine Rolle; bis 1794 hatten sie den Engländern 410 Fahrzeuge genommen. Als Napoleon der Erste die Herausgabe Maltas forderte, antwortete England damit, daß es auf allen Meeren französische und holländische Schiffe weg¬ nahm, im ganzen 1200. Kann man es einer Seemacht wie Frankreich, die mit Stolz auf eine so rnhmreiche Freibentergeschichte zurückblickt, verdenken, daß sie auch heute noch, wenn einmal Krieg geführt werden soll, nicht auf eine Waffe verzichtet, die ihr so vielen Nutzen gebracht hat, und die ihr bei der heutigen Art der Kriegführung noch größere Vorteile verspricht? Deutschland hat als Seemacht noch keine Vergangenheit, keine Geschichte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/374>, abgerufen am 28.09.2024.