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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Oer Schutz dos Pnvatoigeutmns zur See

Kriegsfall die Flagge zu wechseln, und es hat Zeiten gegeben, wo dies vom
kaufmännischen Standpunkte als das einträglichste befunden wurde."

Mit dem Seebeuterecht hat es folgende Bewandtnis. Solange es eine
Schiffahrt giebt, gilt die Regel, daß alles feindliche Gut auf See der Weg¬
nahme durch die Kriegsmacht unterworfen ist. Dieses Seebenterecht erstreckt
sich auf das Schiff, auf die Ladung und auf die Besatzung. Jahrhunderte
hindurch handelten die englischen Admiräle nach dem Befehle, t>o sink, dur"
incl ässtro/, was ihnen an schwimmendem Gut in die Hände fiele. Nur die
äußere Rechtsform hat im Laufe der Zeiten eine Änderung erfahren. Ur¬
sprünglich war zwischen Kauffahrer, Kriegsschiff und Seeräuber überhaupt
kein Unterschied; es kam eben nnr auf die Gelegenheit an. Diese Form
ist noch heute bei den chinesischen Dschonken erhalten. Diese führen ihre Ge¬
schütze und sonstige" Waffen nnter dem Vorwande, sich gegen Seeräuber
schütze" zu müssen. Können sie aber ans See ungestraft einen Schwächer"
überfallen, so erfüllen die Waffen erst ihren eigentlichen Zweck. Zu den Frei¬
beutern auf eigne Rechnung und Gesahr gehörten die Vitalienbrüder oder
Liekeiidecler, die edeln Weltumsegler Drake und Cavendish und eine fast un¬
zählbare Menge kühner Ostindienfahrer der niederländischen und der englischen
Flagge. Als die ständigen Kriegsflotten aufkamen, war die Kaperei nnr solchen
Kanffnyrern gestattet, die einen staatlichen Gewerbeschein, den Kaperbrief, er¬
langt hatten. Ohne diesen wurden die Freibeuter als Seeräuber behandelt.
Diese Art der Kaperei ist in Europa zwar durch den Pariser Vertrag von
1856 abgeschafft. Heute muß jedes zum Prisemachen berechtigte Schiff el"e
Besatzung von der Kriegsflotte haben. Aber es genügt, wem, einige vo" deu
Schiffsvffiziereu der Reserve der Marine angehören. Thatsächlich ist also die
Sache genau wie früher geblieben. Daß es die Vereinigten Staaten gar nicht
für der Mühe wert erachten, diesem fadenscheinigen Vertrage beizutreten, beweist
die berühmte Alabama.

Nicht ohne Grmid ist der streitbare Sankt Georg von Alters her der
Schutzpatron der Ritter und der Seefahrer; das Beutemachen war zu Wasser
und zu Lande ein gar ehrbares Gewerbe, bei dem es freilich ebenso wie heut¬
zutage beim Börsenspiel nicht an verbrecherische" Ausschreitungen fehlte.
Während die Raubzüge zu Lande meist einzelne betrieben, denen vo" höher"
Gewalten bald das Handwerk gelegt werden konnte, beteiligten sich an: See¬
rande meist ganze Städte, Inseln, ja ost genug ganze Staaten. Man betrachte
nur die Geschichte Frankreichs: welche große Rolle hat dort jahrhundertelang
die Kaperei, d.h. der privilegirte Seeraub, gespielt! Insbesondre verdanken
die Städte Dünkirchen, Calais, Dieppe und Saint-Malo ihre ruhmreiche Ver¬
gangenheit und ihre Blütezeiten deu wackern Freibeutern. Haben doch, wie
neuerdings nachgewiesen worden ist, die von deu Engländern, Spaniern und
Portugiesen gefürchteten Seefahrer aus Dieppe schon unter der Herrschaft


Oer Schutz dos Pnvatoigeutmns zur See

Kriegsfall die Flagge zu wechseln, und es hat Zeiten gegeben, wo dies vom
kaufmännischen Standpunkte als das einträglichste befunden wurde."

Mit dem Seebeuterecht hat es folgende Bewandtnis. Solange es eine
Schiffahrt giebt, gilt die Regel, daß alles feindliche Gut auf See der Weg¬
nahme durch die Kriegsmacht unterworfen ist. Dieses Seebenterecht erstreckt
sich auf das Schiff, auf die Ladung und auf die Besatzung. Jahrhunderte
hindurch handelten die englischen Admiräle nach dem Befehle, t>o sink, dur»
incl ässtro/, was ihnen an schwimmendem Gut in die Hände fiele. Nur die
äußere Rechtsform hat im Laufe der Zeiten eine Änderung erfahren. Ur¬
sprünglich war zwischen Kauffahrer, Kriegsschiff und Seeräuber überhaupt
kein Unterschied; es kam eben nnr auf die Gelegenheit an. Diese Form
ist noch heute bei den chinesischen Dschonken erhalten. Diese führen ihre Ge¬
schütze und sonstige» Waffen nnter dem Vorwande, sich gegen Seeräuber
schütze» zu müssen. Können sie aber ans See ungestraft einen Schwächer»
überfallen, so erfüllen die Waffen erst ihren eigentlichen Zweck. Zu den Frei¬
beutern auf eigne Rechnung und Gesahr gehörten die Vitalienbrüder oder
Liekeiidecler, die edeln Weltumsegler Drake und Cavendish und eine fast un¬
zählbare Menge kühner Ostindienfahrer der niederländischen und der englischen
Flagge. Als die ständigen Kriegsflotten aufkamen, war die Kaperei nnr solchen
Kanffnyrern gestattet, die einen staatlichen Gewerbeschein, den Kaperbrief, er¬
langt hatten. Ohne diesen wurden die Freibeuter als Seeräuber behandelt.
Diese Art der Kaperei ist in Europa zwar durch den Pariser Vertrag von
1856 abgeschafft. Heute muß jedes zum Prisemachen berechtigte Schiff el»e
Besatzung von der Kriegsflotte haben. Aber es genügt, wem, einige vo» deu
Schiffsvffiziereu der Reserve der Marine angehören. Thatsächlich ist also die
Sache genau wie früher geblieben. Daß es die Vereinigten Staaten gar nicht
für der Mühe wert erachten, diesem fadenscheinigen Vertrage beizutreten, beweist
die berühmte Alabama.

Nicht ohne Grmid ist der streitbare Sankt Georg von Alters her der
Schutzpatron der Ritter und der Seefahrer; das Beutemachen war zu Wasser
und zu Lande ein gar ehrbares Gewerbe, bei dem es freilich ebenso wie heut¬
zutage beim Börsenspiel nicht an verbrecherische» Ausschreitungen fehlte.
Während die Raubzüge zu Lande meist einzelne betrieben, denen vo» höher»
Gewalten bald das Handwerk gelegt werden konnte, beteiligten sich an: See¬
rande meist ganze Städte, Inseln, ja ost genug ganze Staaten. Man betrachte
nur die Geschichte Frankreichs: welche große Rolle hat dort jahrhundertelang
die Kaperei, d.h. der privilegirte Seeraub, gespielt! Insbesondre verdanken
die Städte Dünkirchen, Calais, Dieppe und Saint-Malo ihre ruhmreiche Ver¬
gangenheit und ihre Blütezeiten deu wackern Freibeutern. Haben doch, wie
neuerdings nachgewiesen worden ist, die von deu Engländern, Spaniern und
Portugiesen gefürchteten Seefahrer aus Dieppe schon unter der Herrschaft


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[0373] Oer Schutz dos Pnvatoigeutmns zur See Kriegsfall die Flagge zu wechseln, und es hat Zeiten gegeben, wo dies vom kaufmännischen Standpunkte als das einträglichste befunden wurde." Mit dem Seebeuterecht hat es folgende Bewandtnis. Solange es eine Schiffahrt giebt, gilt die Regel, daß alles feindliche Gut auf See der Weg¬ nahme durch die Kriegsmacht unterworfen ist. Dieses Seebenterecht erstreckt sich auf das Schiff, auf die Ladung und auf die Besatzung. Jahrhunderte hindurch handelten die englischen Admiräle nach dem Befehle, t>o sink, dur» incl ässtro/, was ihnen an schwimmendem Gut in die Hände fiele. Nur die äußere Rechtsform hat im Laufe der Zeiten eine Änderung erfahren. Ur¬ sprünglich war zwischen Kauffahrer, Kriegsschiff und Seeräuber überhaupt kein Unterschied; es kam eben nnr auf die Gelegenheit an. Diese Form ist noch heute bei den chinesischen Dschonken erhalten. Diese führen ihre Ge¬ schütze und sonstige» Waffen nnter dem Vorwande, sich gegen Seeräuber schütze» zu müssen. Können sie aber ans See ungestraft einen Schwächer» überfallen, so erfüllen die Waffen erst ihren eigentlichen Zweck. Zu den Frei¬ beutern auf eigne Rechnung und Gesahr gehörten die Vitalienbrüder oder Liekeiidecler, die edeln Weltumsegler Drake und Cavendish und eine fast un¬ zählbare Menge kühner Ostindienfahrer der niederländischen und der englischen Flagge. Als die ständigen Kriegsflotten aufkamen, war die Kaperei nnr solchen Kanffnyrern gestattet, die einen staatlichen Gewerbeschein, den Kaperbrief, er¬ langt hatten. Ohne diesen wurden die Freibeuter als Seeräuber behandelt. Diese Art der Kaperei ist in Europa zwar durch den Pariser Vertrag von 1856 abgeschafft. Heute muß jedes zum Prisemachen berechtigte Schiff el»e Besatzung von der Kriegsflotte haben. Aber es genügt, wem, einige vo» deu Schiffsvffiziereu der Reserve der Marine angehören. Thatsächlich ist also die Sache genau wie früher geblieben. Daß es die Vereinigten Staaten gar nicht für der Mühe wert erachten, diesem fadenscheinigen Vertrage beizutreten, beweist die berühmte Alabama. Nicht ohne Grmid ist der streitbare Sankt Georg von Alters her der Schutzpatron der Ritter und der Seefahrer; das Beutemachen war zu Wasser und zu Lande ein gar ehrbares Gewerbe, bei dem es freilich ebenso wie heut¬ zutage beim Börsenspiel nicht an verbrecherische» Ausschreitungen fehlte. Während die Raubzüge zu Lande meist einzelne betrieben, denen vo» höher» Gewalten bald das Handwerk gelegt werden konnte, beteiligten sich an: See¬ rande meist ganze Städte, Inseln, ja ost genug ganze Staaten. Man betrachte nur die Geschichte Frankreichs: welche große Rolle hat dort jahrhundertelang die Kaperei, d.h. der privilegirte Seeraub, gespielt! Insbesondre verdanken die Städte Dünkirchen, Calais, Dieppe und Saint-Malo ihre ruhmreiche Ver¬ gangenheit und ihre Blütezeiten deu wackern Freibeutern. Haben doch, wie neuerdings nachgewiesen worden ist, die von deu Engländern, Spaniern und Portugiesen gefürchteten Seefahrer aus Dieppe schon unter der Herrschaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/373>, abgerufen am 28.06.2024.