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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Mozarts Bild nach hundert Jahren

Kaum einem der mir bekannten Operntexte gegenüber ist die Unterschei¬
dung zwischen dem Stoffe selbst und seiner zum Operntexte zugeschnittnen Ge¬
stalt so notwendig, aber auch so leicht wie gegenüber dem wunderlichen Text
der Zauberflöte. Nur muß man, um zu der richtigen Unterscheidung zu ge¬
langen, die zufällige Komplikation aus dem Spiele lassen, daß Schikaneder
während der Bearbeitung die ihm ursprünglich vorliegende Handlung willkür¬
lich veränderte. In ihr war Sarastro der mächtige Zauberer und Herrscher
im Reiche der Nacht; die ihrer Tochter beraubte Mutter und der von ihr ge¬
rettete Königssohn Tamino standen ihm als Vertreter des Lichts, des guten
Prinzips gegenüber. Mit einer höfischen Verbeugung vor Kaiser Joseph dem
Zweiten, seinem aufgeklärten Absolutismus und seinem Freimaurertum stutzte
Schikaneder den bösen Unhold Sarastro zu dem "göttlichen Weisen" der Oper
zurecht, in dessen Gestalt die Züge des ägyptischen Jsispriesters mit denen des
Großmeisters einer modernen Freimaurerloge zu einem barocken Gesamtbilde
zusammenfließen. Sollte dann wenigstens der Grundgedanke der Fabel, der
Sieg des Lichts über die Finsternis, die brutale Umformuugsprozedur über¬
leben, so mußte notwendig die hilfesuchende Mutter die umgekehrte Verwand¬
lung in die rachefinneude Nachtgöttin durchmachen. Das Mechanische der ganzen
Operation tritt stellenweise in auffallenden Widersprüchen zu Tage. Daß Tamino
der Königin der Nacht gegenüber sowohl sein Gelübde wie die Pflicht der
Dankbarkeit für seine Lebensrettung verletzt, wird ebenso wenig gerechtfertigt,
wie die gewaltthätige Entführung Pamineus durch Sarastro und feine Weige¬
rung, sie der Mutter zurückzugeben.

Sehen wir aber von der willkürlichen Umgestaltung des Textes durch
Schikaneder ab, so gewinnen wir als reinen Vergleichsgegenstand ein tief¬
sinniges Märchen einerseits und seine Einkleidung in die seichten Verse eines
mittelmäßigen Litteraten der Aufklärungsperiode andrerseits. So verstanden,
erscheint dann in der That die Unterscheidung zwischen der Fabel und dem
Libretto ebenso leicht wie notwendig. Die von dem Libretto der Fabel entlehnten
Charaktere sind durchaus in den allgemeinen Umrissen gehalten und mit den
phantastischen Zuthaten ausgestattet, die dem Märchen eigentümlich sind. Der
zur Befreiung einer geraubten Schönen ausziehende Königssohn und der im
Walde hausende weltfremde Vogelfänger mit der Lockpfeife, selbst ein Mittel¬
ding zwischen Vogel und Mensch, beide umgeben von bösen und guten Genien,
die plötzlich erscheinen und verschwinden, im Hintergründe der männliche und
der weibliche Zauberer, die als freundliche und feindliche Schicksalsmächte den
Helden in ihren Kreis zu ziehen suchen -- sie alle sind uns von unsrer Kind¬
heit her bekannte Gestalten. Die Bedeutung dieses in den verschiedensten Ver¬
kleidungen wiederkehrenden Mürchenvorwnrfs ist längst gewürdigt. Wir sehen
das Spiegelbild des Menschenlebens in der Kindesseele des Volks. Das Märchen
setzt die in unserm Innern streitenden Kräfte, deren Auseinandersetzung unter


Mozarts Bild nach hundert Jahren

Kaum einem der mir bekannten Operntexte gegenüber ist die Unterschei¬
dung zwischen dem Stoffe selbst und seiner zum Operntexte zugeschnittnen Ge¬
stalt so notwendig, aber auch so leicht wie gegenüber dem wunderlichen Text
der Zauberflöte. Nur muß man, um zu der richtigen Unterscheidung zu ge¬
langen, die zufällige Komplikation aus dem Spiele lassen, daß Schikaneder
während der Bearbeitung die ihm ursprünglich vorliegende Handlung willkür¬
lich veränderte. In ihr war Sarastro der mächtige Zauberer und Herrscher
im Reiche der Nacht; die ihrer Tochter beraubte Mutter und der von ihr ge¬
rettete Königssohn Tamino standen ihm als Vertreter des Lichts, des guten
Prinzips gegenüber. Mit einer höfischen Verbeugung vor Kaiser Joseph dem
Zweiten, seinem aufgeklärten Absolutismus und seinem Freimaurertum stutzte
Schikaneder den bösen Unhold Sarastro zu dem „göttlichen Weisen" der Oper
zurecht, in dessen Gestalt die Züge des ägyptischen Jsispriesters mit denen des
Großmeisters einer modernen Freimaurerloge zu einem barocken Gesamtbilde
zusammenfließen. Sollte dann wenigstens der Grundgedanke der Fabel, der
Sieg des Lichts über die Finsternis, die brutale Umformuugsprozedur über¬
leben, so mußte notwendig die hilfesuchende Mutter die umgekehrte Verwand¬
lung in die rachefinneude Nachtgöttin durchmachen. Das Mechanische der ganzen
Operation tritt stellenweise in auffallenden Widersprüchen zu Tage. Daß Tamino
der Königin der Nacht gegenüber sowohl sein Gelübde wie die Pflicht der
Dankbarkeit für seine Lebensrettung verletzt, wird ebenso wenig gerechtfertigt,
wie die gewaltthätige Entführung Pamineus durch Sarastro und feine Weige¬
rung, sie der Mutter zurückzugeben.

Sehen wir aber von der willkürlichen Umgestaltung des Textes durch
Schikaneder ab, so gewinnen wir als reinen Vergleichsgegenstand ein tief¬
sinniges Märchen einerseits und seine Einkleidung in die seichten Verse eines
mittelmäßigen Litteraten der Aufklärungsperiode andrerseits. So verstanden,
erscheint dann in der That die Unterscheidung zwischen der Fabel und dem
Libretto ebenso leicht wie notwendig. Die von dem Libretto der Fabel entlehnten
Charaktere sind durchaus in den allgemeinen Umrissen gehalten und mit den
phantastischen Zuthaten ausgestattet, die dem Märchen eigentümlich sind. Der
zur Befreiung einer geraubten Schönen ausziehende Königssohn und der im
Walde hausende weltfremde Vogelfänger mit der Lockpfeife, selbst ein Mittel¬
ding zwischen Vogel und Mensch, beide umgeben von bösen und guten Genien,
die plötzlich erscheinen und verschwinden, im Hintergründe der männliche und
der weibliche Zauberer, die als freundliche und feindliche Schicksalsmächte den
Helden in ihren Kreis zu ziehen suchen — sie alle sind uns von unsrer Kind¬
heit her bekannte Gestalten. Die Bedeutung dieses in den verschiedensten Ver¬
kleidungen wiederkehrenden Mürchenvorwnrfs ist längst gewürdigt. Wir sehen
das Spiegelbild des Menschenlebens in der Kindesseele des Volks. Das Märchen
setzt die in unserm Innern streitenden Kräfte, deren Auseinandersetzung unter


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[0345] Mozarts Bild nach hundert Jahren Kaum einem der mir bekannten Operntexte gegenüber ist die Unterschei¬ dung zwischen dem Stoffe selbst und seiner zum Operntexte zugeschnittnen Ge¬ stalt so notwendig, aber auch so leicht wie gegenüber dem wunderlichen Text der Zauberflöte. Nur muß man, um zu der richtigen Unterscheidung zu ge¬ langen, die zufällige Komplikation aus dem Spiele lassen, daß Schikaneder während der Bearbeitung die ihm ursprünglich vorliegende Handlung willkür¬ lich veränderte. In ihr war Sarastro der mächtige Zauberer und Herrscher im Reiche der Nacht; die ihrer Tochter beraubte Mutter und der von ihr ge¬ rettete Königssohn Tamino standen ihm als Vertreter des Lichts, des guten Prinzips gegenüber. Mit einer höfischen Verbeugung vor Kaiser Joseph dem Zweiten, seinem aufgeklärten Absolutismus und seinem Freimaurertum stutzte Schikaneder den bösen Unhold Sarastro zu dem „göttlichen Weisen" der Oper zurecht, in dessen Gestalt die Züge des ägyptischen Jsispriesters mit denen des Großmeisters einer modernen Freimaurerloge zu einem barocken Gesamtbilde zusammenfließen. Sollte dann wenigstens der Grundgedanke der Fabel, der Sieg des Lichts über die Finsternis, die brutale Umformuugsprozedur über¬ leben, so mußte notwendig die hilfesuchende Mutter die umgekehrte Verwand¬ lung in die rachefinneude Nachtgöttin durchmachen. Das Mechanische der ganzen Operation tritt stellenweise in auffallenden Widersprüchen zu Tage. Daß Tamino der Königin der Nacht gegenüber sowohl sein Gelübde wie die Pflicht der Dankbarkeit für seine Lebensrettung verletzt, wird ebenso wenig gerechtfertigt, wie die gewaltthätige Entführung Pamineus durch Sarastro und feine Weige¬ rung, sie der Mutter zurückzugeben. Sehen wir aber von der willkürlichen Umgestaltung des Textes durch Schikaneder ab, so gewinnen wir als reinen Vergleichsgegenstand ein tief¬ sinniges Märchen einerseits und seine Einkleidung in die seichten Verse eines mittelmäßigen Litteraten der Aufklärungsperiode andrerseits. So verstanden, erscheint dann in der That die Unterscheidung zwischen der Fabel und dem Libretto ebenso leicht wie notwendig. Die von dem Libretto der Fabel entlehnten Charaktere sind durchaus in den allgemeinen Umrissen gehalten und mit den phantastischen Zuthaten ausgestattet, die dem Märchen eigentümlich sind. Der zur Befreiung einer geraubten Schönen ausziehende Königssohn und der im Walde hausende weltfremde Vogelfänger mit der Lockpfeife, selbst ein Mittel¬ ding zwischen Vogel und Mensch, beide umgeben von bösen und guten Genien, die plötzlich erscheinen und verschwinden, im Hintergründe der männliche und der weibliche Zauberer, die als freundliche und feindliche Schicksalsmächte den Helden in ihren Kreis zu ziehen suchen — sie alle sind uns von unsrer Kind¬ heit her bekannte Gestalten. Die Bedeutung dieses in den verschiedensten Ver¬ kleidungen wiederkehrenden Mürchenvorwnrfs ist längst gewürdigt. Wir sehen das Spiegelbild des Menschenlebens in der Kindesseele des Volks. Das Märchen setzt die in unserm Innern streitenden Kräfte, deren Auseinandersetzung unter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/345>, abgerufen am 28.09.2024.