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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Bibelrevision und Bibelübersetzung

diger Wesen." Am sechsten Tage entstehen nach Luthers Übersetzung: "Vieh,
Gewürm und Tiere auf Erden"; hier sind diese Tiere auf Erden genauer als
,.wilde Tiere" bestimmt. Den Menschen endlich erschafft Gott nicht "ihm zum
Bilde," sondern "nach seinem Bilde." Das alles sind Kleinigkeiten, durch die
der wesentliche Inhalt des Stückes nicht berührt wird. Aber wie ein Gemälde,
das schon vollendet zu sein scheint, durch ein paar Striche des Künstlers noch
bedeutend gewinnen kann, so hat auch unsre Erzählung durch diese Kleinig¬
keiten bedeutend an Klarheit und Schönheit gewonnen und ist dem Original
viel ähnlicher geworden.

Doch giebt es auch Stellen, deren Verständnis durch die richtige Über¬
setzung nicht bloß erleichtert, sondern eigentlich erst ermöglicht wird. Von
einiger Wichtigkeit ist die Stelle, wo Gott seinen Namen dem Mose verkündet
und erklärt (2. Mos. 3,14-15). In der Lutherbibel wird trotz der Sievision
der Name Gottes, um den es sich handelt, gar nicht genannt. Luther hat
nämlich das Wort Jahve, für das die Juden später in ihrem Gesetzeseifer
Adonai (d. i. Herr) einschoben, regelmäßig mit "der Herr" übersetzt. Infolge¬
dessen ist aus dem Texte gar nicht zu ersehen, welcher Name eigentlich dem
Mose geoffenbart und erklärt wird. Die Erklärung des nicht genannten Namens:
"Ich werde sein, der ich sein werde" ist aber auch falsch. In Kautzschs Über¬
setzung wird der Name Jahve genannt und richtig erklärt: "Ich bin, der ich
bin." Der Name bezeichnet den über alle Vergleichungen erhabnen Gott.
Auch die wichtige Stelle 5. Mos. 6, 4 ist trotz der Revision in der Lutherbibel
schwer zu verstehn. Es heißt da noch immer: "Höre, Israel, der Herr unser
Gott, ist ein einiger Herr." Richtig und verständlich ist allein die Übersetzung:
"Höre. Israel! Jahve ist unser Gott, Jahve allein!" Die herrliche Weis¬
sagung Ich. 11, die allerdings durch die Revision wenigstens teilweise ver¬
bessert worden ist, lautet bei Luther von Vers 3--5: "Und sein Riechen
wird sein in der Furcht des Herrn. Er wird nicht richten, nach dem seine
Augen sehen, noch strafen, nach dem seine Ohren hören. Sondern wird mit
Gerechtigkeit richten die Armen, und mit Gericht strafen die Elenden im Lande;
und wird mit dem Stäbe seines Mundes in die Erde schlagen und mit dem
Odem seiner Lippen den Gottlosen töten. Gerechtigkeit wird der Gurt seiner
Lenden sein, und Glaube der Gurt seiner Nieren." Wie vieles ist da dunkel!
Die richtige Übersetzung mag für sich selber sprechen: "An der Furcht Jahveh
wird er sein Wohlgefallen haben und wird nicht nach dem richten, was seine
Augen sehen, noch nach dem, was seine Ohren hören, urteilen, sondern über
die Geringen mit Gerechtigkeit richten und über die Elenden des Landes in
Geradheit urteilen und die Gewaltthätigen mit dem Stocke seines Mundes
schlagen und mit dem Hauche seiner Lippen die Gottlosen töten. Und Ge¬
rechtigkeit wird der Gurt seiner Hüften, und die Treue der Gurt seiner
Lenden sein."


Bibelrevision und Bibelübersetzung

diger Wesen." Am sechsten Tage entstehen nach Luthers Übersetzung: „Vieh,
Gewürm und Tiere auf Erden"; hier sind diese Tiere auf Erden genauer als
,.wilde Tiere" bestimmt. Den Menschen endlich erschafft Gott nicht „ihm zum
Bilde," sondern „nach seinem Bilde." Das alles sind Kleinigkeiten, durch die
der wesentliche Inhalt des Stückes nicht berührt wird. Aber wie ein Gemälde,
das schon vollendet zu sein scheint, durch ein paar Striche des Künstlers noch
bedeutend gewinnen kann, so hat auch unsre Erzählung durch diese Kleinig¬
keiten bedeutend an Klarheit und Schönheit gewonnen und ist dem Original
viel ähnlicher geworden.

Doch giebt es auch Stellen, deren Verständnis durch die richtige Über¬
setzung nicht bloß erleichtert, sondern eigentlich erst ermöglicht wird. Von
einiger Wichtigkeit ist die Stelle, wo Gott seinen Namen dem Mose verkündet
und erklärt (2. Mos. 3,14-15). In der Lutherbibel wird trotz der Sievision
der Name Gottes, um den es sich handelt, gar nicht genannt. Luther hat
nämlich das Wort Jahve, für das die Juden später in ihrem Gesetzeseifer
Adonai (d. i. Herr) einschoben, regelmäßig mit „der Herr" übersetzt. Infolge¬
dessen ist aus dem Texte gar nicht zu ersehen, welcher Name eigentlich dem
Mose geoffenbart und erklärt wird. Die Erklärung des nicht genannten Namens:
„Ich werde sein, der ich sein werde" ist aber auch falsch. In Kautzschs Über¬
setzung wird der Name Jahve genannt und richtig erklärt: „Ich bin, der ich
bin." Der Name bezeichnet den über alle Vergleichungen erhabnen Gott.
Auch die wichtige Stelle 5. Mos. 6, 4 ist trotz der Revision in der Lutherbibel
schwer zu verstehn. Es heißt da noch immer: „Höre, Israel, der Herr unser
Gott, ist ein einiger Herr." Richtig und verständlich ist allein die Übersetzung:
„Höre. Israel! Jahve ist unser Gott, Jahve allein!" Die herrliche Weis¬
sagung Ich. 11, die allerdings durch die Revision wenigstens teilweise ver¬
bessert worden ist, lautet bei Luther von Vers 3—5: „Und sein Riechen
wird sein in der Furcht des Herrn. Er wird nicht richten, nach dem seine
Augen sehen, noch strafen, nach dem seine Ohren hören. Sondern wird mit
Gerechtigkeit richten die Armen, und mit Gericht strafen die Elenden im Lande;
und wird mit dem Stäbe seines Mundes in die Erde schlagen und mit dem
Odem seiner Lippen den Gottlosen töten. Gerechtigkeit wird der Gurt seiner
Lenden sein, und Glaube der Gurt seiner Nieren." Wie vieles ist da dunkel!
Die richtige Übersetzung mag für sich selber sprechen: „An der Furcht Jahveh
wird er sein Wohlgefallen haben und wird nicht nach dem richten, was seine
Augen sehen, noch nach dem, was seine Ohren hören, urteilen, sondern über
die Geringen mit Gerechtigkeit richten und über die Elenden des Landes in
Geradheit urteilen und die Gewaltthätigen mit dem Stocke seines Mundes
schlagen und mit dem Hauche seiner Lippen die Gottlosen töten. Und Ge¬
rechtigkeit wird der Gurt seiner Hüften, und die Treue der Gurt seiner
Lenden sein."


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[0327] Bibelrevision und Bibelübersetzung diger Wesen." Am sechsten Tage entstehen nach Luthers Übersetzung: „Vieh, Gewürm und Tiere auf Erden"; hier sind diese Tiere auf Erden genauer als ,.wilde Tiere" bestimmt. Den Menschen endlich erschafft Gott nicht „ihm zum Bilde," sondern „nach seinem Bilde." Das alles sind Kleinigkeiten, durch die der wesentliche Inhalt des Stückes nicht berührt wird. Aber wie ein Gemälde, das schon vollendet zu sein scheint, durch ein paar Striche des Künstlers noch bedeutend gewinnen kann, so hat auch unsre Erzählung durch diese Kleinig¬ keiten bedeutend an Klarheit und Schönheit gewonnen und ist dem Original viel ähnlicher geworden. Doch giebt es auch Stellen, deren Verständnis durch die richtige Über¬ setzung nicht bloß erleichtert, sondern eigentlich erst ermöglicht wird. Von einiger Wichtigkeit ist die Stelle, wo Gott seinen Namen dem Mose verkündet und erklärt (2. Mos. 3,14-15). In der Lutherbibel wird trotz der Sievision der Name Gottes, um den es sich handelt, gar nicht genannt. Luther hat nämlich das Wort Jahve, für das die Juden später in ihrem Gesetzeseifer Adonai (d. i. Herr) einschoben, regelmäßig mit „der Herr" übersetzt. Infolge¬ dessen ist aus dem Texte gar nicht zu ersehen, welcher Name eigentlich dem Mose geoffenbart und erklärt wird. Die Erklärung des nicht genannten Namens: „Ich werde sein, der ich sein werde" ist aber auch falsch. In Kautzschs Über¬ setzung wird der Name Jahve genannt und richtig erklärt: „Ich bin, der ich bin." Der Name bezeichnet den über alle Vergleichungen erhabnen Gott. Auch die wichtige Stelle 5. Mos. 6, 4 ist trotz der Revision in der Lutherbibel schwer zu verstehn. Es heißt da noch immer: „Höre, Israel, der Herr unser Gott, ist ein einiger Herr." Richtig und verständlich ist allein die Übersetzung: „Höre. Israel! Jahve ist unser Gott, Jahve allein!" Die herrliche Weis¬ sagung Ich. 11, die allerdings durch die Revision wenigstens teilweise ver¬ bessert worden ist, lautet bei Luther von Vers 3—5: „Und sein Riechen wird sein in der Furcht des Herrn. Er wird nicht richten, nach dem seine Augen sehen, noch strafen, nach dem seine Ohren hören. Sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen, und mit Gericht strafen die Elenden im Lande; und wird mit dem Stäbe seines Mundes in die Erde schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten. Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein, und Glaube der Gurt seiner Nieren." Wie vieles ist da dunkel! Die richtige Übersetzung mag für sich selber sprechen: „An der Furcht Jahveh wird er sein Wohlgefallen haben und wird nicht nach dem richten, was seine Augen sehen, noch nach dem, was seine Ohren hören, urteilen, sondern über die Geringen mit Gerechtigkeit richten und über die Elenden des Landes in Geradheit urteilen und die Gewaltthätigen mit dem Stocke seines Mundes schlagen und mit dem Hauche seiner Lippen die Gottlosen töten. Und Ge¬ rechtigkeit wird der Gurt seiner Hüften, und die Treue der Gurt seiner Lenden sein."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/327>, abgerufen am 20.09.2024.