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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Bibelrovision und Bibelübersetzung

Wie aber die wissenschaftliche Treue und Genauigkeit dieser Übersetzung
die größte Anerkennung verdient, so auch die Behandlung der deutschen Sprache.
Was die Revision wollte, aber nicht erreicht hat, eine Verdeutschung der Bibel
im Sinne Luthers, eine Bibel, die wirklich unsre Sprache redet und durchaus
verständlich ist, wird hier geboten. Ein paar Beispiele werden genügen. In
der revidirten Bibel sagt die Schlange zu Eva: "Ja, sollte Gott gesagt haben:
Ihr sollt nicht essen von allerlei Bäumen im Garten?" Der eigentliche Sinn
ist hier verwischt, es klingt, als ob die Schlange von manchen Bäumen redete.
Aber die Schlange stellt es absichtlich so dar, als ob den Menschen alle Bäume
des Gartens verboten wären. Kautzsch übersetzt: "Hat Gott wirklich gesagt:
"Ihr dürft von keinem Baume des Gartens essen"?" Über den Weissagungen
der Propheten finden wir trotz der Revision in der Lutherbibel häufig die
seltsame Überschrift: "Dies ist die Last" z. B. über Ägypten. Wer soll das
verstehen? Hier erfahren wir, was gemeint ist, wenn übersetzt wird: "Aus-
spruch über Ägypten." Wie schwer verständlich ist folgende auch durch die
Revision nicht veränderte Stelle. Gott gebietet dem Mose mit dem Pharao
zu reden. Da antwortet Mose: "Siehe, ich bin von unbeschnittenen Lippen;
wie wird mich Pharao hören?" Der Herr sprach zu Mose: "Siehe, ich habe
dich einen Gott gesetzet über Pharao, und Aaron, dein Bruder, soll dein
Prophet sein." Das ist kein Deutsch. Was unbeschnittene Lippen sind, kann
höchstens ein Jude verstehen, und wozu Mose, der doch wahrhaftig selbst ein
Prophet war, seinen Bruder als eiuen Propheten braucht, ist unverständlich.
Aber selbst de Wette hat diese Ausdrücke beibehalten. Die neue Übersetzung
wird dem Sinn des Textes wie der deutschen Sprache gerecht. Die Stelle
lautet hier: "Mose aber sprach vor Jahve: Ich bin ja unbeholfen im Reden;
wie wird der Pharao auf mich hören? Jahve aber erwiderte Mose: Ich will
dich für den Pharao soie^ zu einem Gotte machen; dein Bruder Aaron aber
soll dein Sprecher sein." Häufig wird auch in der revidirten Bibel noch der
Begriff "Seele" gebraucht, wo unser jetziger Sprachgebrauch einen andern
Ausdruck wie "Leben" oder "Person" fordert. 5. Mos. 19 ist z. B. die Rede
von einem Bluträcher, der einem andern "die Seele schlägt," ja "der ihm seine
Seele totschlägt." Einen ganz falschen Sinn hat dadurch die bekannte Stelle
I.Mos. 32, 31 erhalten, wo Jakob nach dem Gebetskampf mit Gott ausruft:
"Ich habe Gott von Angesicht gesehen, und meine Seele ist genesen." De Wette
hat übersetzt: "und meine Seele ward errettet." Ganz deutlich wird der Sinn
erst durch die Übersetzung Kantzschs: "Ich habe Gott von Angesicht zu An¬
gesicht gesehen und kam doch mit dem Leben davon." Ich. 8, 9 heißt es in
der revidirten Bibel: "Rüstet euch, und gebt doch die Flucht." Jemand
"Flucht geben" heißt ihm Raum verschaffen. Der Sinn des Textes ist aber:
"Rüstet euch nur, ihr sollt doch verzagen!"

Von einer guten Bibelübersetzung verlangen wir aber nicht bloß eine ge-


Bibelrovision und Bibelübersetzung

Wie aber die wissenschaftliche Treue und Genauigkeit dieser Übersetzung
die größte Anerkennung verdient, so auch die Behandlung der deutschen Sprache.
Was die Revision wollte, aber nicht erreicht hat, eine Verdeutschung der Bibel
im Sinne Luthers, eine Bibel, die wirklich unsre Sprache redet und durchaus
verständlich ist, wird hier geboten. Ein paar Beispiele werden genügen. In
der revidirten Bibel sagt die Schlange zu Eva: „Ja, sollte Gott gesagt haben:
Ihr sollt nicht essen von allerlei Bäumen im Garten?" Der eigentliche Sinn
ist hier verwischt, es klingt, als ob die Schlange von manchen Bäumen redete.
Aber die Schlange stellt es absichtlich so dar, als ob den Menschen alle Bäume
des Gartens verboten wären. Kautzsch übersetzt: „Hat Gott wirklich gesagt:
»Ihr dürft von keinem Baume des Gartens essen«?" Über den Weissagungen
der Propheten finden wir trotz der Revision in der Lutherbibel häufig die
seltsame Überschrift: „Dies ist die Last" z. B. über Ägypten. Wer soll das
verstehen? Hier erfahren wir, was gemeint ist, wenn übersetzt wird: „Aus-
spruch über Ägypten." Wie schwer verständlich ist folgende auch durch die
Revision nicht veränderte Stelle. Gott gebietet dem Mose mit dem Pharao
zu reden. Da antwortet Mose: „Siehe, ich bin von unbeschnittenen Lippen;
wie wird mich Pharao hören?" Der Herr sprach zu Mose: „Siehe, ich habe
dich einen Gott gesetzet über Pharao, und Aaron, dein Bruder, soll dein
Prophet sein." Das ist kein Deutsch. Was unbeschnittene Lippen sind, kann
höchstens ein Jude verstehen, und wozu Mose, der doch wahrhaftig selbst ein
Prophet war, seinen Bruder als eiuen Propheten braucht, ist unverständlich.
Aber selbst de Wette hat diese Ausdrücke beibehalten. Die neue Übersetzung
wird dem Sinn des Textes wie der deutschen Sprache gerecht. Die Stelle
lautet hier: „Mose aber sprach vor Jahve: Ich bin ja unbeholfen im Reden;
wie wird der Pharao auf mich hören? Jahve aber erwiderte Mose: Ich will
dich für den Pharao soie^ zu einem Gotte machen; dein Bruder Aaron aber
soll dein Sprecher sein." Häufig wird auch in der revidirten Bibel noch der
Begriff „Seele" gebraucht, wo unser jetziger Sprachgebrauch einen andern
Ausdruck wie „Leben" oder „Person" fordert. 5. Mos. 19 ist z. B. die Rede
von einem Bluträcher, der einem andern „die Seele schlägt," ja „der ihm seine
Seele totschlägt." Einen ganz falschen Sinn hat dadurch die bekannte Stelle
I.Mos. 32, 31 erhalten, wo Jakob nach dem Gebetskampf mit Gott ausruft:
„Ich habe Gott von Angesicht gesehen, und meine Seele ist genesen." De Wette
hat übersetzt: „und meine Seele ward errettet." Ganz deutlich wird der Sinn
erst durch die Übersetzung Kantzschs: „Ich habe Gott von Angesicht zu An¬
gesicht gesehen und kam doch mit dem Leben davon." Ich. 8, 9 heißt es in
der revidirten Bibel: „Rüstet euch, und gebt doch die Flucht." Jemand
„Flucht geben" heißt ihm Raum verschaffen. Der Sinn des Textes ist aber:
„Rüstet euch nur, ihr sollt doch verzagen!"

Von einer guten Bibelübersetzung verlangen wir aber nicht bloß eine ge-


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[0328] Bibelrovision und Bibelübersetzung Wie aber die wissenschaftliche Treue und Genauigkeit dieser Übersetzung die größte Anerkennung verdient, so auch die Behandlung der deutschen Sprache. Was die Revision wollte, aber nicht erreicht hat, eine Verdeutschung der Bibel im Sinne Luthers, eine Bibel, die wirklich unsre Sprache redet und durchaus verständlich ist, wird hier geboten. Ein paar Beispiele werden genügen. In der revidirten Bibel sagt die Schlange zu Eva: „Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allerlei Bäumen im Garten?" Der eigentliche Sinn ist hier verwischt, es klingt, als ob die Schlange von manchen Bäumen redete. Aber die Schlange stellt es absichtlich so dar, als ob den Menschen alle Bäume des Gartens verboten wären. Kautzsch übersetzt: „Hat Gott wirklich gesagt: »Ihr dürft von keinem Baume des Gartens essen«?" Über den Weissagungen der Propheten finden wir trotz der Revision in der Lutherbibel häufig die seltsame Überschrift: „Dies ist die Last" z. B. über Ägypten. Wer soll das verstehen? Hier erfahren wir, was gemeint ist, wenn übersetzt wird: „Aus- spruch über Ägypten." Wie schwer verständlich ist folgende auch durch die Revision nicht veränderte Stelle. Gott gebietet dem Mose mit dem Pharao zu reden. Da antwortet Mose: „Siehe, ich bin von unbeschnittenen Lippen; wie wird mich Pharao hören?" Der Herr sprach zu Mose: „Siehe, ich habe dich einen Gott gesetzet über Pharao, und Aaron, dein Bruder, soll dein Prophet sein." Das ist kein Deutsch. Was unbeschnittene Lippen sind, kann höchstens ein Jude verstehen, und wozu Mose, der doch wahrhaftig selbst ein Prophet war, seinen Bruder als eiuen Propheten braucht, ist unverständlich. Aber selbst de Wette hat diese Ausdrücke beibehalten. Die neue Übersetzung wird dem Sinn des Textes wie der deutschen Sprache gerecht. Die Stelle lautet hier: „Mose aber sprach vor Jahve: Ich bin ja unbeholfen im Reden; wie wird der Pharao auf mich hören? Jahve aber erwiderte Mose: Ich will dich für den Pharao soie^ zu einem Gotte machen; dein Bruder Aaron aber soll dein Sprecher sein." Häufig wird auch in der revidirten Bibel noch der Begriff „Seele" gebraucht, wo unser jetziger Sprachgebrauch einen andern Ausdruck wie „Leben" oder „Person" fordert. 5. Mos. 19 ist z. B. die Rede von einem Bluträcher, der einem andern „die Seele schlägt," ja „der ihm seine Seele totschlägt." Einen ganz falschen Sinn hat dadurch die bekannte Stelle I.Mos. 32, 31 erhalten, wo Jakob nach dem Gebetskampf mit Gott ausruft: „Ich habe Gott von Angesicht gesehen, und meine Seele ist genesen." De Wette hat übersetzt: „und meine Seele ward errettet." Ganz deutlich wird der Sinn erst durch die Übersetzung Kantzschs: „Ich habe Gott von Angesicht zu An¬ gesicht gesehen und kam doch mit dem Leben davon." Ich. 8, 9 heißt es in der revidirten Bibel: „Rüstet euch, und gebt doch die Flucht." Jemand „Flucht geben" heißt ihm Raum verschaffen. Der Sinn des Textes ist aber: „Rüstet euch nur, ihr sollt doch verzagen!" Von einer guten Bibelübersetzung verlangen wir aber nicht bloß eine ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/328>, abgerufen am 01.09.2024.