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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Bibelrevision und Bibelübersetzung

auf daß er zu diesen Zeiten darböte die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt."
Allerdings hat die wörtlichere Übersetzung den Vorzug, daß sie ein treueres
Bild von dem Stil des Schriftstellers giebt, und Weizsäcker ist von diesem
Gedanken bestimmt worden. Aber dieses Bild wird doch durch allzu getreue
Nachahmung verzerrt, da das Deutsche nun einmal eine andre Behandlung
fordert. Wer die Eigentümlichkeit eines Schriftstellers genau kennen lernen
will, muß ihn doch im Urtext lesen.

Für das Alte Testament war bisher de Wettes Übersetzung die beste.
Die letzte (vierte) Auflage ist beinahe vergriffen. An die Stelle dieser Über¬
setzung, die im wesentlichen noch auf dem Standpunkt von 1838 steht, soll
nun nach dem Wunsche der Verlagsbuchhandlung (ebenfalls Mohr in Frei¬
burg) eine neue Übersetzung treten. Sie wird von v. Emil Kautzsch in Ver¬
bindung mit einer Reihe andrer namhaften Gelehrten herausgegeben. Der erste
Halbhart ist 1892 erschienen.

Der Name des Herausgebers läßt von vornherein eine wissenschaftliche
Leistung ersten Ranges erwarten. In dieser Erwartung wird man auch uicht
getäuscht. Diese neue Übersetzung erstrebt, ganz im Geiste Luthers, eine rich¬
tige, dem Sinn (nicht dem Buchstaben) entsprechende Wiedergabe des Textes
in einem durchaus klaren und verständlichen Deutsch. Die Ergebnisse der Text¬
kritik und der Texterklärung der letzten fünfzig Jahre sind dabei aufs gewissen¬
hafteste berücksichtigt worden. Eine für viele jedenfalls wertvolle Zugabe
ist die Bezeichnung der verschiednen Quellen, aus denen die geschichtlichen und
prophetischen Bücher hervorgegangen sind, durch Buchstaben am Rande. Mit
den beigefügten kurzen Erklärungen ermöglichen sie einen Einblick in die Er¬
gebnisse der neusten alttestamentlichen Quellenforschung, wie sie im wesent¬
lichen durch Welthaufen bestimmt worden sind. Auf Unfehlbarkeit machen diese
Angaben selbstverständlich keinen Anspruch.

Gleich das erste Kapitel der Bibel zeigt deutlich den Unterschied zwischen
dieser Übersetzung und der Lutherbibel, auch der revidirten. Da ist es nicht
"finster auf der Tiefe," wobei mau sich von der "Tiefe" keine rechte Vorstel¬
lung machen kann, sondern "Finsternis liegt auf dem Ozean." Die Beste ist
nicht mehr ein "Unterschied" zwischen den Wassern, sondern eine "Scheide¬
wand." Am dritten Tag sammelt sich das Wasser nicht "an besondere Örter,"
sondern "an einen Ort." Nicht "Gras und Kraut," sondern "junges Grün
und samentragende Pflanzen" läßt die Erde aufgehn, und die Fruchtbäume
haben nicht den Samen "bei sich selbst," sondern sie erzeugen Früchte, "in
denen sich der Same zu ihnen befindet!" Die Lichter am Himmel, die bei
Luther "Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre geben," sind hier "Leuchten," und
"sie sollen dienen zu Merkzeichen sznr Bestimmung vonj Zeiträumen und Tagen
und Jahren/' Luther läßt das Wasser "sich erregen mit webenden und leben¬
digen Tieren"; hier heißt es: ,,es wimmle das Wasser von Gewimmel leben-


Bibelrevision und Bibelübersetzung

auf daß er zu diesen Zeiten darböte die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt."
Allerdings hat die wörtlichere Übersetzung den Vorzug, daß sie ein treueres
Bild von dem Stil des Schriftstellers giebt, und Weizsäcker ist von diesem
Gedanken bestimmt worden. Aber dieses Bild wird doch durch allzu getreue
Nachahmung verzerrt, da das Deutsche nun einmal eine andre Behandlung
fordert. Wer die Eigentümlichkeit eines Schriftstellers genau kennen lernen
will, muß ihn doch im Urtext lesen.

Für das Alte Testament war bisher de Wettes Übersetzung die beste.
Die letzte (vierte) Auflage ist beinahe vergriffen. An die Stelle dieser Über¬
setzung, die im wesentlichen noch auf dem Standpunkt von 1838 steht, soll
nun nach dem Wunsche der Verlagsbuchhandlung (ebenfalls Mohr in Frei¬
burg) eine neue Übersetzung treten. Sie wird von v. Emil Kautzsch in Ver¬
bindung mit einer Reihe andrer namhaften Gelehrten herausgegeben. Der erste
Halbhart ist 1892 erschienen.

Der Name des Herausgebers läßt von vornherein eine wissenschaftliche
Leistung ersten Ranges erwarten. In dieser Erwartung wird man auch uicht
getäuscht. Diese neue Übersetzung erstrebt, ganz im Geiste Luthers, eine rich¬
tige, dem Sinn (nicht dem Buchstaben) entsprechende Wiedergabe des Textes
in einem durchaus klaren und verständlichen Deutsch. Die Ergebnisse der Text¬
kritik und der Texterklärung der letzten fünfzig Jahre sind dabei aufs gewissen¬
hafteste berücksichtigt worden. Eine für viele jedenfalls wertvolle Zugabe
ist die Bezeichnung der verschiednen Quellen, aus denen die geschichtlichen und
prophetischen Bücher hervorgegangen sind, durch Buchstaben am Rande. Mit
den beigefügten kurzen Erklärungen ermöglichen sie einen Einblick in die Er¬
gebnisse der neusten alttestamentlichen Quellenforschung, wie sie im wesent¬
lichen durch Welthaufen bestimmt worden sind. Auf Unfehlbarkeit machen diese
Angaben selbstverständlich keinen Anspruch.

Gleich das erste Kapitel der Bibel zeigt deutlich den Unterschied zwischen
dieser Übersetzung und der Lutherbibel, auch der revidirten. Da ist es nicht
„finster auf der Tiefe," wobei mau sich von der „Tiefe" keine rechte Vorstel¬
lung machen kann, sondern „Finsternis liegt auf dem Ozean." Die Beste ist
nicht mehr ein „Unterschied" zwischen den Wassern, sondern eine „Scheide¬
wand." Am dritten Tag sammelt sich das Wasser nicht „an besondere Örter,"
sondern „an einen Ort." Nicht „Gras und Kraut," sondern „junges Grün
und samentragende Pflanzen" läßt die Erde aufgehn, und die Fruchtbäume
haben nicht den Samen „bei sich selbst," sondern sie erzeugen Früchte, „in
denen sich der Same zu ihnen befindet!" Die Lichter am Himmel, die bei
Luther „Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre geben," sind hier „Leuchten," und
„sie sollen dienen zu Merkzeichen sznr Bestimmung vonj Zeiträumen und Tagen
und Jahren/' Luther läßt das Wasser „sich erregen mit webenden und leben¬
digen Tieren"; hier heißt es: ,,es wimmle das Wasser von Gewimmel leben-


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[0326] Bibelrevision und Bibelübersetzung auf daß er zu diesen Zeiten darböte die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt." Allerdings hat die wörtlichere Übersetzung den Vorzug, daß sie ein treueres Bild von dem Stil des Schriftstellers giebt, und Weizsäcker ist von diesem Gedanken bestimmt worden. Aber dieses Bild wird doch durch allzu getreue Nachahmung verzerrt, da das Deutsche nun einmal eine andre Behandlung fordert. Wer die Eigentümlichkeit eines Schriftstellers genau kennen lernen will, muß ihn doch im Urtext lesen. Für das Alte Testament war bisher de Wettes Übersetzung die beste. Die letzte (vierte) Auflage ist beinahe vergriffen. An die Stelle dieser Über¬ setzung, die im wesentlichen noch auf dem Standpunkt von 1838 steht, soll nun nach dem Wunsche der Verlagsbuchhandlung (ebenfalls Mohr in Frei¬ burg) eine neue Übersetzung treten. Sie wird von v. Emil Kautzsch in Ver¬ bindung mit einer Reihe andrer namhaften Gelehrten herausgegeben. Der erste Halbhart ist 1892 erschienen. Der Name des Herausgebers läßt von vornherein eine wissenschaftliche Leistung ersten Ranges erwarten. In dieser Erwartung wird man auch uicht getäuscht. Diese neue Übersetzung erstrebt, ganz im Geiste Luthers, eine rich¬ tige, dem Sinn (nicht dem Buchstaben) entsprechende Wiedergabe des Textes in einem durchaus klaren und verständlichen Deutsch. Die Ergebnisse der Text¬ kritik und der Texterklärung der letzten fünfzig Jahre sind dabei aufs gewissen¬ hafteste berücksichtigt worden. Eine für viele jedenfalls wertvolle Zugabe ist die Bezeichnung der verschiednen Quellen, aus denen die geschichtlichen und prophetischen Bücher hervorgegangen sind, durch Buchstaben am Rande. Mit den beigefügten kurzen Erklärungen ermöglichen sie einen Einblick in die Er¬ gebnisse der neusten alttestamentlichen Quellenforschung, wie sie im wesent¬ lichen durch Welthaufen bestimmt worden sind. Auf Unfehlbarkeit machen diese Angaben selbstverständlich keinen Anspruch. Gleich das erste Kapitel der Bibel zeigt deutlich den Unterschied zwischen dieser Übersetzung und der Lutherbibel, auch der revidirten. Da ist es nicht „finster auf der Tiefe," wobei mau sich von der „Tiefe" keine rechte Vorstel¬ lung machen kann, sondern „Finsternis liegt auf dem Ozean." Die Beste ist nicht mehr ein „Unterschied" zwischen den Wassern, sondern eine „Scheide¬ wand." Am dritten Tag sammelt sich das Wasser nicht „an besondere Örter," sondern „an einen Ort." Nicht „Gras und Kraut," sondern „junges Grün und samentragende Pflanzen" läßt die Erde aufgehn, und die Fruchtbäume haben nicht den Samen „bei sich selbst," sondern sie erzeugen Früchte, „in denen sich der Same zu ihnen befindet!" Die Lichter am Himmel, die bei Luther „Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre geben," sind hier „Leuchten," und „sie sollen dienen zu Merkzeichen sznr Bestimmung vonj Zeiträumen und Tagen und Jahren/' Luther läßt das Wasser „sich erregen mit webenden und leben¬ digen Tieren"; hier heißt es: ,,es wimmle das Wasser von Gewimmel leben-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/326>, abgerufen am 20.09.2024.