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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Gin amerikanischer Sozialist

gemalt Wüsche man für diese nur eine Menge kleiner Privattyrannen ein, deren
Herrschaft weit drückender sei. Auch hebt er in diesem zweiten Buche mit
großem Nachdruck die Unentbehrlichkeit der Autorität hervor und erklärt den
Gehorsam für die Wurzel aller Tugenden. Er beruft sich auf die eigne Er¬
fahrung der Arbeiter, deren Autvritätsbedürfuis so stark sei, daß sie ihren frei
gewählten Führern blindlings folgten. Das ist es^ was dem Buche einen
konservativen Anstrich giebt. Aus dem Umstände jedoch, daß sich Gronlund
nicht veranlaßt gefühlt hat, in der neuesten Ausgabe des ersten Buches, die
zugleich mit dem zweiten erschienen ist, die oben angeführte Stelle zu ändern,
darf man wohl schließen, daß wir es hier nicht mit einer Bekehrung, sondern
nur mit der Beleuchtung desselben Grundgedankens von der andern Seite zu
thun haben. Auch in dem spätern Werke meint er. daß sich die Regierung
nicht sowohl auf die Personen als auf die Dinge zu erstrecke habe, und
waS er von der Autorität sagt, das soll nur von der wahren Autorität
gelten; eine solche aber -- der Verfasser hat sein Baterland vor Augen --
existire zur Zeit nicht, da überall Unfähige und Unwürdige an der Spitze
stünden, und diesen unechten Autoritäten zu gehorchen sei unsittlich. Übrigens
betont er wiederholt, daß an die Stelle der Über- und Unterordnung die
gegenseitige Abhängigkeit (IntörclspLuclönoe) gleichberechtigter zu treten habe.

Aber nicht die Versorgung jedes einzelnen mit allen materiellen Gütern,
sondern die Verwirklichung der Moralität wird die Hnnptfrucht der organi-
sirten Gesellschaft sein. Moralität erklärt Grvuluud uuter Zurückweisung aller
individualistischen und utilitarischen Systeme als das bewußte Zusammenwirken
der Menschen zur Herstellung allgemeiner Brüderlichkeit und an einer andern
Stelle als die bewußte Mitarbeit am Plane Gottes. Beide Erklärungen sind
richtig. Irrig jedoch ist seine Ansicht, daß der Mensch den Plan Gottes zu
erkennen vermöge und, um moralisch sein zu könne", erkennen müsse. Auch
wir leben zwar der Überzeugung und Hoffnung, daß wir den Plan Gottes
fördern, indem wir nach unserm Gewissen handeln, und zwar in andrer Weise
als die Bösen, die ihn ebenfalls fördern, wider Willen, weil sie müssen. Aber
sichre Kenntnis haben wir weder von diesem Plane, noch von der Art und
Weise, wie unser Handeln in ihn eingreift. Gronlund ist überzeugt, daß nach
Gottes Willen alle Menschen schon hier ans Erden zu der gleichen Höhe sitt¬
licher Vollkommenheit gelangen sollen, und zwar auf der Grundlage eines
sozialistischen Gemeinwesens; eben dieses sei "unsre Bestimmung." Die idea¬
listischen Verfechter des gegeuwürtigcu Zustandes dagegen glauben, daß Über-
und Unterordnung Gottes Wille sei, und daß der höhere oder geringere Sitt¬
lichkeitsgrad, sür den jeder befähigt ist, nur innerhalb einer auf dem Privat¬
eigentum beruhenden, den Verschiednem verschiedne und wechselvolle Lose
bereitenden Gesellschaftsordnung erreichbar sei. Die Christen alten Stils end¬
lich -- von Pessimisten und Atheisten nicht zu reden -- glauben nach dem


Gin amerikanischer Sozialist

gemalt Wüsche man für diese nur eine Menge kleiner Privattyrannen ein, deren
Herrschaft weit drückender sei. Auch hebt er in diesem zweiten Buche mit
großem Nachdruck die Unentbehrlichkeit der Autorität hervor und erklärt den
Gehorsam für die Wurzel aller Tugenden. Er beruft sich auf die eigne Er¬
fahrung der Arbeiter, deren Autvritätsbedürfuis so stark sei, daß sie ihren frei
gewählten Führern blindlings folgten. Das ist es^ was dem Buche einen
konservativen Anstrich giebt. Aus dem Umstände jedoch, daß sich Gronlund
nicht veranlaßt gefühlt hat, in der neuesten Ausgabe des ersten Buches, die
zugleich mit dem zweiten erschienen ist, die oben angeführte Stelle zu ändern,
darf man wohl schließen, daß wir es hier nicht mit einer Bekehrung, sondern
nur mit der Beleuchtung desselben Grundgedankens von der andern Seite zu
thun haben. Auch in dem spätern Werke meint er. daß sich die Regierung
nicht sowohl auf die Personen als auf die Dinge zu erstrecke habe, und
waS er von der Autorität sagt, das soll nur von der wahren Autorität
gelten; eine solche aber — der Verfasser hat sein Baterland vor Augen —
existire zur Zeit nicht, da überall Unfähige und Unwürdige an der Spitze
stünden, und diesen unechten Autoritäten zu gehorchen sei unsittlich. Übrigens
betont er wiederholt, daß an die Stelle der Über- und Unterordnung die
gegenseitige Abhängigkeit (IntörclspLuclönoe) gleichberechtigter zu treten habe.

Aber nicht die Versorgung jedes einzelnen mit allen materiellen Gütern,
sondern die Verwirklichung der Moralität wird die Hnnptfrucht der organi-
sirten Gesellschaft sein. Moralität erklärt Grvuluud uuter Zurückweisung aller
individualistischen und utilitarischen Systeme als das bewußte Zusammenwirken
der Menschen zur Herstellung allgemeiner Brüderlichkeit und an einer andern
Stelle als die bewußte Mitarbeit am Plane Gottes. Beide Erklärungen sind
richtig. Irrig jedoch ist seine Ansicht, daß der Mensch den Plan Gottes zu
erkennen vermöge und, um moralisch sein zu könne», erkennen müsse. Auch
wir leben zwar der Überzeugung und Hoffnung, daß wir den Plan Gottes
fördern, indem wir nach unserm Gewissen handeln, und zwar in andrer Weise
als die Bösen, die ihn ebenfalls fördern, wider Willen, weil sie müssen. Aber
sichre Kenntnis haben wir weder von diesem Plane, noch von der Art und
Weise, wie unser Handeln in ihn eingreift. Gronlund ist überzeugt, daß nach
Gottes Willen alle Menschen schon hier ans Erden zu der gleichen Höhe sitt¬
licher Vollkommenheit gelangen sollen, und zwar auf der Grundlage eines
sozialistischen Gemeinwesens; eben dieses sei „unsre Bestimmung." Die idea¬
listischen Verfechter des gegeuwürtigcu Zustandes dagegen glauben, daß Über-
und Unterordnung Gottes Wille sei, und daß der höhere oder geringere Sitt¬
lichkeitsgrad, sür den jeder befähigt ist, nur innerhalb einer auf dem Privat¬
eigentum beruhenden, den Verschiednem verschiedne und wechselvolle Lose
bereitenden Gesellschaftsordnung erreichbar sei. Die Christen alten Stils end¬
lich — von Pessimisten und Atheisten nicht zu reden — glauben nach dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/78>, abgerufen am 25.08.2024.