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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Lin amerikanischer Sozialist

zwar ein höherer, denn nur niedre Organismen entbehren des Zentralorgans.
Die Zentralisierung der Gewerbe ist für Gronlund keineswegs gleichbedeutend
mit Anhäufung der Menschen an einzelnen Orten. Im Gegenteil, er erwartet,
daß sich die Großstädte auflösen werden, nachdem sie ihre Aufgabe, den sozia¬
listischen Gedanken auszubilden, erfüllt haben, und daß das Volk in gleich¬
mäßig über das Land zerstreuten Dörfern und kleinen Städten wohnen werde,
die bei der gleichmäßigen Verteilung des Wohlstands und der Bildung mit
allen Kulturgütern ausgerüstet sein würden, sodaß die Anziehungskraft auf¬
hören werde, die jetzt die Hauptstädte ans die Bewohner der Provinz aus¬
üben. Sehr richtig bemerkt er, daß wie der Mensch den Boden, so auch der
Boden den Menschen brauche, daß daher der Mensch auf dem Boden, der
ihm seine Nahrung spendet, auch wohnen müsse. Das Gerippe für die ge¬
nossenschaftliche Organisation des Staates dürften die jetzigen Gewerkvereine
abgeben.

In der Auffassung des Staats weicht das spätere Buch einigermaßen
von dem ersten ub. Im LoinuiomviZiMi sagt der Verfasser: "Der Genossen¬
schaftsstaat wird die ganze Bevölkerung in die Gesellschaft eingliedern. Er
wird die Klassen zerstören, und mit den Klassen wird alles Regieren (ruls)
aufhören. Das organisirte Volk bedarf keiner Negierung; was es braucht,
das ist Verwaltung, gute Verwaltung. Diese wird man haben, wenn man
jedermann auf den richtigen Platz stellt. Das ist die Bedeutung des Wortes
Demokratie; das Wort will sagen: Verwaltung durch den Geeignetsten" (d/
ello LoinpetLut). Zu der Hoffnung, daß mau dahin gelangen werde, hält er
sich für berechtigt durch die Wahrnehmung, die er gemacht zu haben glaubt,
daß die Arbeiter unbedingtes Vertrauen zum Sachkundigen und nicht die ge¬
ringste Neigung haben, sich in dessen Arbeit einzumischen; haben sie einem,
den sie für tauglich halten, eine Verrichtung übertragen, so lassen sie ihn un¬
gestört bei der Arbeit. So ganz unbegründet scheint uns diese Ansicht nicht
zu sein; jedenfalls aber müssen wir ihm darin Recht geben, daß parlamenta¬
rische Negierung so viel bedeute wie Verwaltung durch deu Unfähigen, Sach-
unkundigen und Unzuständigen; das Hineinreden eines jeden in alles und
namentlich in Dinge, die er am wenigsten versteht, gehört zu deu Haupteigen-
tümlichkeiteu des Parlamentarismus. Dies also ist Grvnluuds Auffassung des
Staats im LommonnöiMi. In Our vestw^ hingegen erklärt er den Satz
sür falsch, daß der am wenigsten regierte Staat der am besten regierte sei.
Nicht gerade, sagt er, "daß ich den am meisten regierten Staat für den best¬
regierten erklären möchte. Ich meine nur, daß die Philosophen liberaler Rich¬
tung blind sind gegen die Thatsache, daß wir heutzutage mindestens ebensoviel
regiert werden wie in frühern Zeiten, und daß das immer so bleiben lvird.
Eine Gesellschaft kann nicht bestehen ohne Regierung, und je entwickelter sie
ist, desto mehr Regierung braucht sie." Durch die Vernichtung der Zentral-


Lin amerikanischer Sozialist

zwar ein höherer, denn nur niedre Organismen entbehren des Zentralorgans.
Die Zentralisierung der Gewerbe ist für Gronlund keineswegs gleichbedeutend
mit Anhäufung der Menschen an einzelnen Orten. Im Gegenteil, er erwartet,
daß sich die Großstädte auflösen werden, nachdem sie ihre Aufgabe, den sozia¬
listischen Gedanken auszubilden, erfüllt haben, und daß das Volk in gleich¬
mäßig über das Land zerstreuten Dörfern und kleinen Städten wohnen werde,
die bei der gleichmäßigen Verteilung des Wohlstands und der Bildung mit
allen Kulturgütern ausgerüstet sein würden, sodaß die Anziehungskraft auf¬
hören werde, die jetzt die Hauptstädte ans die Bewohner der Provinz aus¬
üben. Sehr richtig bemerkt er, daß wie der Mensch den Boden, so auch der
Boden den Menschen brauche, daß daher der Mensch auf dem Boden, der
ihm seine Nahrung spendet, auch wohnen müsse. Das Gerippe für die ge¬
nossenschaftliche Organisation des Staates dürften die jetzigen Gewerkvereine
abgeben.

In der Auffassung des Staats weicht das spätere Buch einigermaßen
von dem ersten ub. Im LoinuiomviZiMi sagt der Verfasser: „Der Genossen¬
schaftsstaat wird die ganze Bevölkerung in die Gesellschaft eingliedern. Er
wird die Klassen zerstören, und mit den Klassen wird alles Regieren (ruls)
aufhören. Das organisirte Volk bedarf keiner Negierung; was es braucht,
das ist Verwaltung, gute Verwaltung. Diese wird man haben, wenn man
jedermann auf den richtigen Platz stellt. Das ist die Bedeutung des Wortes
Demokratie; das Wort will sagen: Verwaltung durch den Geeignetsten" (d/
ello LoinpetLut). Zu der Hoffnung, daß mau dahin gelangen werde, hält er
sich für berechtigt durch die Wahrnehmung, die er gemacht zu haben glaubt,
daß die Arbeiter unbedingtes Vertrauen zum Sachkundigen und nicht die ge¬
ringste Neigung haben, sich in dessen Arbeit einzumischen; haben sie einem,
den sie für tauglich halten, eine Verrichtung übertragen, so lassen sie ihn un¬
gestört bei der Arbeit. So ganz unbegründet scheint uns diese Ansicht nicht
zu sein; jedenfalls aber müssen wir ihm darin Recht geben, daß parlamenta¬
rische Negierung so viel bedeute wie Verwaltung durch deu Unfähigen, Sach-
unkundigen und Unzuständigen; das Hineinreden eines jeden in alles und
namentlich in Dinge, die er am wenigsten versteht, gehört zu deu Haupteigen-
tümlichkeiteu des Parlamentarismus. Dies also ist Grvnluuds Auffassung des
Staats im LommonnöiMi. In Our vestw^ hingegen erklärt er den Satz
sür falsch, daß der am wenigsten regierte Staat der am besten regierte sei.
Nicht gerade, sagt er, „daß ich den am meisten regierten Staat für den best¬
regierten erklären möchte. Ich meine nur, daß die Philosophen liberaler Rich¬
tung blind sind gegen die Thatsache, daß wir heutzutage mindestens ebensoviel
regiert werden wie in frühern Zeiten, und daß das immer so bleiben lvird.
Eine Gesellschaft kann nicht bestehen ohne Regierung, und je entwickelter sie
ist, desto mehr Regierung braucht sie." Durch die Vernichtung der Zentral-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/77>, abgerufen am 22.12.2024.