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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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und ab. Seine alten Glieder zitterten aber plötzlich, und er mußte sich wieder
setzen, während er tonlos weiter sprach:

Auf den Fahrweg, wo den halb verkrüppelten Baum und den weißen
Prellstein steht, da saß die französche Prinzessin auf die bloße Erde. Sie
hielt den Kopp von den jungen Herzog in ihren Schoß, und sie küßt ihm auf
den Mund, wohl viele mal, er abers konnt da nix mehr von merken- Denn
er war tot, und sein Gesicht sah so stolz und zufrieden aus, als wenn er
sagen wollt: um bin ich mit das Leben dnrch und mit allens, was ihr mir
nicht gönnen wolltet. Nu hab ich Friede", und ihr habt keinen! Vorn aus
sein Spitzenbesatz kamen ein paar Blutstropfen, sonstens war ihn nix an¬
zusehen, und ich mußte darau deuten, daß Napolium seine Leute gut uns
Schießgewehr umgehen konnten. Denn die warens gewesen, die hier ein kleinen
Überfall gemacht hatten, und Piähr war auch totgeschossen und lag dicht bei
sein Herrn.

Mein Kammerjunker und ich standen vor die Prinzessin, und der Mond
warf son silbrigen Schein auf ihr blasses Gesicht, auf den toten Herzog und
auf uns alle. Das Fräulein hat noch garnix gesagt. Mit einmal hebt sie die
Hände ganz hoch und schreit auf deutsch: Fluch, dreimal Fluch dem Verräter!
Und mit einmal sah ich, daß mein Herr umfallen will. Ich krieg ihm noch
zu packen und geh mit ihn fort. Hinter uns her kamen nämlich Dieners und
auch ein paar Herrschaftens, und die Prinzessin war nich mehr allein. Da
bin ich denn ganz allmählich mit mein Kammerjunker die Landstraße mich die
Stadt zu gegangen, und er is gegen jeden Baum angelaufen, als wenn er
zu viel Wein getrunken hätt.

Mit einmal zieht er sein Degen und will sich totstechen, und wie ich ihn
das spitze Ding wegnehme, schreit er auf und fällt hin mit die Stirn aufn
Steinhaufen. Wie ein dunkeln Strom is das Blut ihn übers Gesicht gelaufen,
und ich Samuel mein Herrn auf und trage ihm nach Hause. Das war nich
^'icht, weil daß er ein stattliche" jungen Mann war, und was mich noch
swerer wurde, das war der pralle Mondenschein. Hell ins Gesicht schien mich
das alte Dings, und wenn ich ihm ankuckte, denn kam es mich vor, als wenn
er über mir und meinen Junker lachte, und als wenn er sagte: sowas is
schon oft dagewesen! Von die Zeit bin ich allemal vergretzt, wenn ich den
Mond ansehen muß.

Weiß Gott, die Landstraße wollt kein Ende nehmen, und die Stadt kam
gar "ich. Einmal abers hab ich doch mein Kammerjunker in sein Bett legen
können. Besinnung hat er all laug nich mehr gehabt, und aus diesen Bett in
den fremden Gasthof is er viele, viele Wochen nich herausgekommen. Er hatt
el" ganz böses Loch in die Stirn, das garnich heil werden wollt, und sonstens
war er auch noch krank. Wochenlang lag er, sagt kein Wort, kein einziges
Wort. Nur manchmal, da hob er die Häutens in die Höchte und sagte: Fluch,


und ab. Seine alten Glieder zitterten aber plötzlich, und er mußte sich wieder
setzen, während er tonlos weiter sprach:

Auf den Fahrweg, wo den halb verkrüppelten Baum und den weißen
Prellstein steht, da saß die französche Prinzessin auf die bloße Erde. Sie
hielt den Kopp von den jungen Herzog in ihren Schoß, und sie küßt ihm auf
den Mund, wohl viele mal, er abers konnt da nix mehr von merken- Denn
er war tot, und sein Gesicht sah so stolz und zufrieden aus, als wenn er
sagen wollt: um bin ich mit das Leben dnrch und mit allens, was ihr mir
nicht gönnen wolltet. Nu hab ich Friede», und ihr habt keinen! Vorn aus
sein Spitzenbesatz kamen ein paar Blutstropfen, sonstens war ihn nix an¬
zusehen, und ich mußte darau deuten, daß Napolium seine Leute gut uns
Schießgewehr umgehen konnten. Denn die warens gewesen, die hier ein kleinen
Überfall gemacht hatten, und Piähr war auch totgeschossen und lag dicht bei
sein Herrn.

Mein Kammerjunker und ich standen vor die Prinzessin, und der Mond
warf son silbrigen Schein auf ihr blasses Gesicht, auf den toten Herzog und
auf uns alle. Das Fräulein hat noch garnix gesagt. Mit einmal hebt sie die
Hände ganz hoch und schreit auf deutsch: Fluch, dreimal Fluch dem Verräter!
Und mit einmal sah ich, daß mein Herr umfallen will. Ich krieg ihm noch
zu packen und geh mit ihn fort. Hinter uns her kamen nämlich Dieners und
auch ein paar Herrschaftens, und die Prinzessin war nich mehr allein. Da
bin ich denn ganz allmählich mit mein Kammerjunker die Landstraße mich die
Stadt zu gegangen, und er is gegen jeden Baum angelaufen, als wenn er
zu viel Wein getrunken hätt.

Mit einmal zieht er sein Degen und will sich totstechen, und wie ich ihn
das spitze Ding wegnehme, schreit er auf und fällt hin mit die Stirn aufn
Steinhaufen. Wie ein dunkeln Strom is das Blut ihn übers Gesicht gelaufen,
und ich Samuel mein Herrn auf und trage ihm nach Hause. Das war nich
^'icht, weil daß er ein stattliche» jungen Mann war, und was mich noch
swerer wurde, das war der pralle Mondenschein. Hell ins Gesicht schien mich
das alte Dings, und wenn ich ihm ankuckte, denn kam es mich vor, als wenn
er über mir und meinen Junker lachte, und als wenn er sagte: sowas is
schon oft dagewesen! Von die Zeit bin ich allemal vergretzt, wenn ich den
Mond ansehen muß.

Weiß Gott, die Landstraße wollt kein Ende nehmen, und die Stadt kam
gar »ich. Einmal abers hab ich doch mein Kammerjunker in sein Bett legen
können. Besinnung hat er all laug nich mehr gehabt, und aus diesen Bett in
den fremden Gasthof is er viele, viele Wochen nich herausgekommen. Er hatt
el» ganz böses Loch in die Stirn, das garnich heil werden wollt, und sonstens
war er auch noch krank. Wochenlang lag er, sagt kein Wort, kein einziges
Wort. Nur manchmal, da hob er die Häutens in die Höchte und sagte: Fluch,


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[0603] und ab. Seine alten Glieder zitterten aber plötzlich, und er mußte sich wieder setzen, während er tonlos weiter sprach: Auf den Fahrweg, wo den halb verkrüppelten Baum und den weißen Prellstein steht, da saß die französche Prinzessin auf die bloße Erde. Sie hielt den Kopp von den jungen Herzog in ihren Schoß, und sie küßt ihm auf den Mund, wohl viele mal, er abers konnt da nix mehr von merken- Denn er war tot, und sein Gesicht sah so stolz und zufrieden aus, als wenn er sagen wollt: um bin ich mit das Leben dnrch und mit allens, was ihr mir nicht gönnen wolltet. Nu hab ich Friede», und ihr habt keinen! Vorn aus sein Spitzenbesatz kamen ein paar Blutstropfen, sonstens war ihn nix an¬ zusehen, und ich mußte darau deuten, daß Napolium seine Leute gut uns Schießgewehr umgehen konnten. Denn die warens gewesen, die hier ein kleinen Überfall gemacht hatten, und Piähr war auch totgeschossen und lag dicht bei sein Herrn. Mein Kammerjunker und ich standen vor die Prinzessin, und der Mond warf son silbrigen Schein auf ihr blasses Gesicht, auf den toten Herzog und auf uns alle. Das Fräulein hat noch garnix gesagt. Mit einmal hebt sie die Hände ganz hoch und schreit auf deutsch: Fluch, dreimal Fluch dem Verräter! Und mit einmal sah ich, daß mein Herr umfallen will. Ich krieg ihm noch zu packen und geh mit ihn fort. Hinter uns her kamen nämlich Dieners und auch ein paar Herrschaftens, und die Prinzessin war nich mehr allein. Da bin ich denn ganz allmählich mit mein Kammerjunker die Landstraße mich die Stadt zu gegangen, und er is gegen jeden Baum angelaufen, als wenn er zu viel Wein getrunken hätt. Mit einmal zieht er sein Degen und will sich totstechen, und wie ich ihn das spitze Ding wegnehme, schreit er auf und fällt hin mit die Stirn aufn Steinhaufen. Wie ein dunkeln Strom is das Blut ihn übers Gesicht gelaufen, und ich Samuel mein Herrn auf und trage ihm nach Hause. Das war nich ^'icht, weil daß er ein stattliche» jungen Mann war, und was mich noch swerer wurde, das war der pralle Mondenschein. Hell ins Gesicht schien mich das alte Dings, und wenn ich ihm ankuckte, denn kam es mich vor, als wenn er über mir und meinen Junker lachte, und als wenn er sagte: sowas is schon oft dagewesen! Von die Zeit bin ich allemal vergretzt, wenn ich den Mond ansehen muß. Weiß Gott, die Landstraße wollt kein Ende nehmen, und die Stadt kam gar »ich. Einmal abers hab ich doch mein Kammerjunker in sein Bett legen können. Besinnung hat er all laug nich mehr gehabt, und aus diesen Bett in den fremden Gasthof is er viele, viele Wochen nich herausgekommen. Er hatt el» ganz böses Loch in die Stirn, das garnich heil werden wollt, und sonstens war er auch noch krank. Wochenlang lag er, sagt kein Wort, kein einziges Wort. Nur manchmal, da hob er die Häutens in die Höchte und sagte: Fluch,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/603>, abgerufen am 23.07.2024.