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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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legen müssen, daß sie sich in der Gesetzgebung ebenso wie in der Verwaltung
und Rechtsprechung auf derartig gesetzlich organisirte Vertretungen der großen
Interessengruppen stützen können. Selbst die lange Zeit fast bedeutungslosen und
erst in den letzten beiden Jahrzehnten zu voller Bedeutung gelangten preußischen
Handelskammern sind zu einer Zeit, wo man ihren Wert recht niedrig schätzte,
nicht aufgehoben worden; "ich muß auf das Bestehen der Handelskammern
meinerseits zu meiner Information ein Gewicht legen," erklärte 1870 der da¬
malige preußische Handelsminister im Abgeordnetenhause, "und zwar in dop¬
pelter Beziehung. Erstlich, daß die Herren berufen und durch den Jahres¬
bericht auch gewissermaßen verpflichtet sind, mir ihre Anträge, Wünsche und
Beschwerden vorzutragen. Das ist aber nur die eine Seite der Sache; ich
muß auch wissen, wen ich frugen soll, wenn ich über eine neue Angelegenheit
auch noch andre Leute hören will als bloß die Beamten. Die Beamten haben
gewiß, mit allem Respekt von ihnen zu reden, soviel Einsicht, als wünschens¬
wert ist. Aber es ist doch sehr nützlich, neben ihnen auch die zu hören, die
selber die Interessen vertreten, die selber das Gewerbe betreiben; das giebt
die Ansicht von der andern Seite, und daraus erwächst eine reifere Beurtei¬
lung. Also ich muß eine Stelle haben -- und ich lege Wert darauf --, die
ich fragen kaun, und die berufen ist zu einer Antwort."

In der Zwischenzeit hat sich die Wirksamkeit der Handelskammern, soweit
sie sich wenigstens über einen normal großen Bezirk erstrecken, so gesteigert
und so an öffentlichem Einfluß gewonnen, daß dieser Tage ihre "nicht geringe
Bedeutung" in einer offiziösen Korrespondenz hervorgehoben und gleichzeitig
in Aussicht gestellt wurde, daß eine weitere Reorganisation derselben gegen¬
wärtig lebhaft erörtert werde, und unzweifelhaft über kurz oder lang ihr Ein¬
fluß auf die Klarstellung der Bedürfnisse der ihnen zugehörenden Erwerbs¬
kreise wachsen werde. Ehe wir jedoch auf die einzelnen Reformbestrebungen
selbst eingehen, wird es gut sein, auf die ganze Bewegung, wie sie sich uus
in den letzten Jahrzehnten darstellt, einen kurzen Rückblick zu werfen.

Das Preußen unsers Jahrhnnders hat schon wiederholt Anläufe ge¬
nommen, zu einer staatlichen Ordnung der wirtschaftlichen Jntercsfenvertretungen
durchzudringen. Die durch die französische Invasion im Rheinlande geschaffenen
Handelskammern gaben den ersten Anlaß, über die Selbstvertretung kauf¬
männischer Korporationen hinausgehend von Staats wegen der Industrie und
dem Handel eine geordnete und mit öffentlichen Rechten und Pflichten aus¬
gestattete Vertretung zu geben. Durch königliche Verordnung vom 11. Februar
1848 wurde die Einrichtung der Handelskammern auch in die übrigen preu¬
ßischen Provinzen eingeführt. (Schon vier Jahre vorher war dnrch königliche
Verordnung nach französischem Muster ein "Handelsrat" und ein "Handels¬
amt" errichtet worden, die aber beide sehr unpraktisch organisirt waren und
daher fast wirkungslos gewesen sind.)


legen müssen, daß sie sich in der Gesetzgebung ebenso wie in der Verwaltung
und Rechtsprechung auf derartig gesetzlich organisirte Vertretungen der großen
Interessengruppen stützen können. Selbst die lange Zeit fast bedeutungslosen und
erst in den letzten beiden Jahrzehnten zu voller Bedeutung gelangten preußischen
Handelskammern sind zu einer Zeit, wo man ihren Wert recht niedrig schätzte,
nicht aufgehoben worden; „ich muß auf das Bestehen der Handelskammern
meinerseits zu meiner Information ein Gewicht legen," erklärte 1870 der da¬
malige preußische Handelsminister im Abgeordnetenhause, „und zwar in dop¬
pelter Beziehung. Erstlich, daß die Herren berufen und durch den Jahres¬
bericht auch gewissermaßen verpflichtet sind, mir ihre Anträge, Wünsche und
Beschwerden vorzutragen. Das ist aber nur die eine Seite der Sache; ich
muß auch wissen, wen ich frugen soll, wenn ich über eine neue Angelegenheit
auch noch andre Leute hören will als bloß die Beamten. Die Beamten haben
gewiß, mit allem Respekt von ihnen zu reden, soviel Einsicht, als wünschens¬
wert ist. Aber es ist doch sehr nützlich, neben ihnen auch die zu hören, die
selber die Interessen vertreten, die selber das Gewerbe betreiben; das giebt
die Ansicht von der andern Seite, und daraus erwächst eine reifere Beurtei¬
lung. Also ich muß eine Stelle haben — und ich lege Wert darauf —, die
ich fragen kaun, und die berufen ist zu einer Antwort."

In der Zwischenzeit hat sich die Wirksamkeit der Handelskammern, soweit
sie sich wenigstens über einen normal großen Bezirk erstrecken, so gesteigert
und so an öffentlichem Einfluß gewonnen, daß dieser Tage ihre „nicht geringe
Bedeutung" in einer offiziösen Korrespondenz hervorgehoben und gleichzeitig
in Aussicht gestellt wurde, daß eine weitere Reorganisation derselben gegen¬
wärtig lebhaft erörtert werde, und unzweifelhaft über kurz oder lang ihr Ein¬
fluß auf die Klarstellung der Bedürfnisse der ihnen zugehörenden Erwerbs¬
kreise wachsen werde. Ehe wir jedoch auf die einzelnen Reformbestrebungen
selbst eingehen, wird es gut sein, auf die ganze Bewegung, wie sie sich uus
in den letzten Jahrzehnten darstellt, einen kurzen Rückblick zu werfen.

Das Preußen unsers Jahrhnnders hat schon wiederholt Anläufe ge¬
nommen, zu einer staatlichen Ordnung der wirtschaftlichen Jntercsfenvertretungen
durchzudringen. Die durch die französische Invasion im Rheinlande geschaffenen
Handelskammern gaben den ersten Anlaß, über die Selbstvertretung kauf¬
männischer Korporationen hinausgehend von Staats wegen der Industrie und
dem Handel eine geordnete und mit öffentlichen Rechten und Pflichten aus¬
gestattete Vertretung zu geben. Durch königliche Verordnung vom 11. Februar
1848 wurde die Einrichtung der Handelskammern auch in die übrigen preu¬
ßischen Provinzen eingeführt. (Schon vier Jahre vorher war dnrch königliche
Verordnung nach französischem Muster ein „Handelsrat" und ein „Handels¬
amt" errichtet worden, die aber beide sehr unpraktisch organisirt waren und
daher fast wirkungslos gewesen sind.)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/59>, abgerufen am 23.07.2024.