Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reformen auf dem Gebiete der Interessenvertretungen

rend sich der Verein seine Aufgaben selbst stellt und sich gewöhnlich auf Fach¬
anregungen beschränkt, sind die Aufgaben und die Geschäftsführung einer
Kammer staatlich geregelt. 3. Während der Verein abhängig ist von den
Beitrügen seiner Mitglieder, ist die Kanuner ermächtigt, ihre Kosten durch An¬
lage auf alle ihre Standesgenossen zu verteilen.

Aus dieser Verschiedenheit in der Organisation ergiebt sich von selbst die
verschiedenartige Bedeutung und Wirksamkeit beider Jnteressenvereinigungeu.
Die Wirksamkeit einer Kammer ist ungleich gewichtiger und einflußreicher, weil
die Kammer alle Interessenten einer Gruppe umfaßt, in ihrem Bestände von
den Interessen einer einflußreichen Minderheit nicht abhängig ist, in ihren
Verhandlungen das Urteil der Öffentlichkeit zu bestehen, bestimmte staat¬
liche und öffentliche Aufgaben zu erfüllen und in ihren Mitteln sich nicht
auf freiwillige Leistungen zu beschränken hat und durchweg eine halbbehörd¬
liche Stellung zwischen der Staatsgewalt selbst und der großen Gruppe
der Berufsgenossen einnimmt. Auf der andern Seite finden wir bei den
freien Vereinigungen bisweilen eine freiere Bewegung und häufig eine durch
keine Rücksichten gehemmte Verfechtung von Berufsinteressen. Da, wo Kam¬
mern und Bereine neben einander bestehen, kann man beobachten, daß die
Kammern mehr die amtlichen und entscheidenden öffentlichen Aufgaben, die
Vereine mehr die eigentlichen Zwecke der Fachanregung und der Geselligkeit
verfolgen. Beide brauchen somit keineswegs einander auszuschließen, sondern
sie ergänzen und fördern einander. Aus diesem Grunde ist es für die betei¬
ligten Kreise nie recht verstündlich gewesen, wenn berufsmäßige Politiker aus
dieser rein sachlichen Frage eine Parteifrage zu machen versucht und die freien
Vereinigungen als Organe eines liberalen, die Kammern als Organe eines
konservativ-reaktionären Staatswesens betrachtet haben. Die Erfahrung hat im
Gegenteil bewiesen, daß die Handelskammern mehr zur Freihandels-, die freien
landwirtschaftlichen und Jndustrievereiue mehr zur Schutzzollpolitik neigen.
In der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 14. Januar 1870
sagte der Abgeordnete Becker, er gebe zu, daß freie Vereinigungen ein mäch¬
tiges Mittel seien, Interessen zu vertreten; er halte es aber doch für sehr
zweifelhaft, ob dabei eine Vertretung herauskomme, in der verschiedne Inter¬
essen mit einander ausgeglichen und versöhnt und die Hähern Gesichtspunkte
gefunden würden. Jede Interessenvertretung dränge zu einer Spezialisirung
der Vertretung und zu einem schärfern Aussprechen des Egoismus. Diese
Äußerung zeigt am besten die Bedeutung, die die Kammern für den Staat
als solchen haben. Da sie eine Mannigfaltigkeit von Interessen umfassen, so
gleichen sich in ihnen die Interessen soweit aus, daß wenigstens das unberech¬
tigte Maß von Sonderinteresfen nicht mehr die allgemeinen Interessen be¬
herrschen kann.

Aus dem Gesagten ergiebt sich, daß die Staatsregierungen Wert darauf


Reformen auf dem Gebiete der Interessenvertretungen

rend sich der Verein seine Aufgaben selbst stellt und sich gewöhnlich auf Fach¬
anregungen beschränkt, sind die Aufgaben und die Geschäftsführung einer
Kammer staatlich geregelt. 3. Während der Verein abhängig ist von den
Beitrügen seiner Mitglieder, ist die Kanuner ermächtigt, ihre Kosten durch An¬
lage auf alle ihre Standesgenossen zu verteilen.

Aus dieser Verschiedenheit in der Organisation ergiebt sich von selbst die
verschiedenartige Bedeutung und Wirksamkeit beider Jnteressenvereinigungeu.
Die Wirksamkeit einer Kammer ist ungleich gewichtiger und einflußreicher, weil
die Kammer alle Interessenten einer Gruppe umfaßt, in ihrem Bestände von
den Interessen einer einflußreichen Minderheit nicht abhängig ist, in ihren
Verhandlungen das Urteil der Öffentlichkeit zu bestehen, bestimmte staat¬
liche und öffentliche Aufgaben zu erfüllen und in ihren Mitteln sich nicht
auf freiwillige Leistungen zu beschränken hat und durchweg eine halbbehörd¬
liche Stellung zwischen der Staatsgewalt selbst und der großen Gruppe
der Berufsgenossen einnimmt. Auf der andern Seite finden wir bei den
freien Vereinigungen bisweilen eine freiere Bewegung und häufig eine durch
keine Rücksichten gehemmte Verfechtung von Berufsinteressen. Da, wo Kam¬
mern und Bereine neben einander bestehen, kann man beobachten, daß die
Kammern mehr die amtlichen und entscheidenden öffentlichen Aufgaben, die
Vereine mehr die eigentlichen Zwecke der Fachanregung und der Geselligkeit
verfolgen. Beide brauchen somit keineswegs einander auszuschließen, sondern
sie ergänzen und fördern einander. Aus diesem Grunde ist es für die betei¬
ligten Kreise nie recht verstündlich gewesen, wenn berufsmäßige Politiker aus
dieser rein sachlichen Frage eine Parteifrage zu machen versucht und die freien
Vereinigungen als Organe eines liberalen, die Kammern als Organe eines
konservativ-reaktionären Staatswesens betrachtet haben. Die Erfahrung hat im
Gegenteil bewiesen, daß die Handelskammern mehr zur Freihandels-, die freien
landwirtschaftlichen und Jndustrievereiue mehr zur Schutzzollpolitik neigen.
In der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 14. Januar 1870
sagte der Abgeordnete Becker, er gebe zu, daß freie Vereinigungen ein mäch¬
tiges Mittel seien, Interessen zu vertreten; er halte es aber doch für sehr
zweifelhaft, ob dabei eine Vertretung herauskomme, in der verschiedne Inter¬
essen mit einander ausgeglichen und versöhnt und die Hähern Gesichtspunkte
gefunden würden. Jede Interessenvertretung dränge zu einer Spezialisirung
der Vertretung und zu einem schärfern Aussprechen des Egoismus. Diese
Äußerung zeigt am besten die Bedeutung, die die Kammern für den Staat
als solchen haben. Da sie eine Mannigfaltigkeit von Interessen umfassen, so
gleichen sich in ihnen die Interessen soweit aus, daß wenigstens das unberech¬
tigte Maß von Sonderinteresfen nicht mehr die allgemeinen Interessen be¬
herrschen kann.

Aus dem Gesagten ergiebt sich, daß die Staatsregierungen Wert darauf


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0058" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213172"/>
          <fw type="header" place="top"> Reformen auf dem Gebiete der Interessenvertretungen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_149" prev="#ID_148"> rend sich der Verein seine Aufgaben selbst stellt und sich gewöhnlich auf Fach¬<lb/>
anregungen beschränkt, sind die Aufgaben und die Geschäftsführung einer<lb/>
Kammer staatlich geregelt. 3. Während der Verein abhängig ist von den<lb/>
Beitrügen seiner Mitglieder, ist die Kanuner ermächtigt, ihre Kosten durch An¬<lb/>
lage auf alle ihre Standesgenossen zu verteilen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_150"> Aus dieser Verschiedenheit in der Organisation ergiebt sich von selbst die<lb/>
verschiedenartige Bedeutung und Wirksamkeit beider Jnteressenvereinigungeu.<lb/>
Die Wirksamkeit einer Kammer ist ungleich gewichtiger und einflußreicher, weil<lb/>
die Kammer alle Interessenten einer Gruppe umfaßt, in ihrem Bestände von<lb/>
den Interessen einer einflußreichen Minderheit nicht abhängig ist, in ihren<lb/>
Verhandlungen das Urteil der Öffentlichkeit zu bestehen, bestimmte staat¬<lb/>
liche und öffentliche Aufgaben zu erfüllen und in ihren Mitteln sich nicht<lb/>
auf freiwillige Leistungen zu beschränken hat und durchweg eine halbbehörd¬<lb/>
liche Stellung zwischen der Staatsgewalt selbst und der großen Gruppe<lb/>
der Berufsgenossen einnimmt. Auf der andern Seite finden wir bei den<lb/>
freien Vereinigungen bisweilen eine freiere Bewegung und häufig eine durch<lb/>
keine Rücksichten gehemmte Verfechtung von Berufsinteressen. Da, wo Kam¬<lb/>
mern und Bereine neben einander bestehen, kann man beobachten, daß die<lb/>
Kammern mehr die amtlichen und entscheidenden öffentlichen Aufgaben, die<lb/>
Vereine mehr die eigentlichen Zwecke der Fachanregung und der Geselligkeit<lb/>
verfolgen. Beide brauchen somit keineswegs einander auszuschließen, sondern<lb/>
sie ergänzen und fördern einander. Aus diesem Grunde ist es für die betei¬<lb/>
ligten Kreise nie recht verstündlich gewesen, wenn berufsmäßige Politiker aus<lb/>
dieser rein sachlichen Frage eine Parteifrage zu machen versucht und die freien<lb/>
Vereinigungen als Organe eines liberalen, die Kammern als Organe eines<lb/>
konservativ-reaktionären Staatswesens betrachtet haben. Die Erfahrung hat im<lb/>
Gegenteil bewiesen, daß die Handelskammern mehr zur Freihandels-, die freien<lb/>
landwirtschaftlichen und Jndustrievereiue mehr zur Schutzzollpolitik neigen.<lb/>
In der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 14. Januar 1870<lb/>
sagte der Abgeordnete Becker, er gebe zu, daß freie Vereinigungen ein mäch¬<lb/>
tiges Mittel seien, Interessen zu vertreten; er halte es aber doch für sehr<lb/>
zweifelhaft, ob dabei eine Vertretung herauskomme, in der verschiedne Inter¬<lb/>
essen mit einander ausgeglichen und versöhnt und die Hähern Gesichtspunkte<lb/>
gefunden würden. Jede Interessenvertretung dränge zu einer Spezialisirung<lb/>
der Vertretung und zu einem schärfern Aussprechen des Egoismus. Diese<lb/>
Äußerung zeigt am besten die Bedeutung, die die Kammern für den Staat<lb/>
als solchen haben. Da sie eine Mannigfaltigkeit von Interessen umfassen, so<lb/>
gleichen sich in ihnen die Interessen soweit aus, daß wenigstens das unberech¬<lb/>
tigte Maß von Sonderinteresfen nicht mehr die allgemeinen Interessen be¬<lb/>
herrschen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_151" next="#ID_152"> Aus dem Gesagten ergiebt sich, daß die Staatsregierungen Wert darauf</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0058] Reformen auf dem Gebiete der Interessenvertretungen rend sich der Verein seine Aufgaben selbst stellt und sich gewöhnlich auf Fach¬ anregungen beschränkt, sind die Aufgaben und die Geschäftsführung einer Kammer staatlich geregelt. 3. Während der Verein abhängig ist von den Beitrügen seiner Mitglieder, ist die Kanuner ermächtigt, ihre Kosten durch An¬ lage auf alle ihre Standesgenossen zu verteilen. Aus dieser Verschiedenheit in der Organisation ergiebt sich von selbst die verschiedenartige Bedeutung und Wirksamkeit beider Jnteressenvereinigungeu. Die Wirksamkeit einer Kammer ist ungleich gewichtiger und einflußreicher, weil die Kammer alle Interessenten einer Gruppe umfaßt, in ihrem Bestände von den Interessen einer einflußreichen Minderheit nicht abhängig ist, in ihren Verhandlungen das Urteil der Öffentlichkeit zu bestehen, bestimmte staat¬ liche und öffentliche Aufgaben zu erfüllen und in ihren Mitteln sich nicht auf freiwillige Leistungen zu beschränken hat und durchweg eine halbbehörd¬ liche Stellung zwischen der Staatsgewalt selbst und der großen Gruppe der Berufsgenossen einnimmt. Auf der andern Seite finden wir bei den freien Vereinigungen bisweilen eine freiere Bewegung und häufig eine durch keine Rücksichten gehemmte Verfechtung von Berufsinteressen. Da, wo Kam¬ mern und Bereine neben einander bestehen, kann man beobachten, daß die Kammern mehr die amtlichen und entscheidenden öffentlichen Aufgaben, die Vereine mehr die eigentlichen Zwecke der Fachanregung und der Geselligkeit verfolgen. Beide brauchen somit keineswegs einander auszuschließen, sondern sie ergänzen und fördern einander. Aus diesem Grunde ist es für die betei¬ ligten Kreise nie recht verstündlich gewesen, wenn berufsmäßige Politiker aus dieser rein sachlichen Frage eine Parteifrage zu machen versucht und die freien Vereinigungen als Organe eines liberalen, die Kammern als Organe eines konservativ-reaktionären Staatswesens betrachtet haben. Die Erfahrung hat im Gegenteil bewiesen, daß die Handelskammern mehr zur Freihandels-, die freien landwirtschaftlichen und Jndustrievereiue mehr zur Schutzzollpolitik neigen. In der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 14. Januar 1870 sagte der Abgeordnete Becker, er gebe zu, daß freie Vereinigungen ein mäch¬ tiges Mittel seien, Interessen zu vertreten; er halte es aber doch für sehr zweifelhaft, ob dabei eine Vertretung herauskomme, in der verschiedne Inter¬ essen mit einander ausgeglichen und versöhnt und die Hähern Gesichtspunkte gefunden würden. Jede Interessenvertretung dränge zu einer Spezialisirung der Vertretung und zu einem schärfern Aussprechen des Egoismus. Diese Äußerung zeigt am besten die Bedeutung, die die Kammern für den Staat als solchen haben. Da sie eine Mannigfaltigkeit von Interessen umfassen, so gleichen sich in ihnen die Interessen soweit aus, daß wenigstens das unberech¬ tigte Maß von Sonderinteresfen nicht mehr die allgemeinen Interessen be¬ herrschen kann. Aus dem Gesagten ergiebt sich, daß die Staatsregierungen Wert darauf

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/58
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/58>, abgerufen am 23.07.2024.