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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Erinnerungen an Lothar Bucher

Punkt zu bringen, die krüde Masse, die im Laufe des Jahres unter seine
Feder gekommen, zu klären, dazu will die ersehnte Muße sich niemals ein¬
stellen."

Diese Betrachtungen drängten sich dein Schriftsteller auf, als er 1L6^
auf seiue zwölfjährige Thätigkeit in England zurückblickte. Auch er hatte er¬
fahren müssen, daß, wie jedes Handwerk, das Zeitungsschreiber erlernt sein
will -- bekanntlich glauben viele, dies und das Regieren brauche mau nur
zu versuchen, um es zu können. In seinen ersten Aufsätzen war noch der
Kcunmcrredner zu erkennen. Er ist aber nicht der einzige, dein die Schulung,
jeden Augenblick in Bereitschaft zu sein, den Stoff nicht nach Bequemlichkeit
in sich verarbeiten, Stimmung, Inspiration abwarten zu können, später in einer
staatsmännischen Laufbahn von. Nutzen gewesen ist. Auch er mußte erfahren,
daß das Publikum für die Arbeit des Politikers wenig Gedächtnis zu habe"!
pflegt. Er hatte sich redlich bemüht, die Begriffe klären, den Gesichtskreis
erweitern zu helfen, man erwartete mit Spannung das bekannte Quadrat in
der Nativnalzeitung, die, wie ein Berliner in den fünfziger Jahren behauptete,
nur wegen dieser Beiträge gelesen werde, und ähnliche Äußerungen habe ich
in Süddeutschland vernommen. Lange vor dem Ausbruche des Krieges von
1859 war er in der Lage gewesen, auf dessen Vorbereitung aufmerksam zu
machen. Er gehörte gewiß in weiten Kreisen zu den populärste" Persönlich¬
keiten. Aber in Erinnerung geblieben waren eigentlich doch nur die Aufsätze
ans Zeiten der Erholung von der steten, aufreibenden Arbeit, die Früchte seiner
Fußwanderungen und Reisen, die humoristischen Skizzen ans dem englischen
Leben. Als er von Bisinnrck gerufen wurde, wollten dessen Feinde in ihm
nur einen "Feuilletonisten" sehn.

Auch der Verfasser eines sehr freundlich gehaltenen Aussatzes über ihn in
einer neuen Wochenschrift scheint ihn hauptsächlich vou dieser einen Seite zu
kennen, da er ihn als Schriftsteller von Heine, Jean Paul und Sterne "ab¬
stammen" läßt. Deren Einfluß braucht mau keineswegs zu leugnen. Vor
fünfzig Jahren hatte man noch Geduld, Jean Paul zu lesen, Heine spült in
der ganzen Generation, und gewiß ist Bucher in den britischen Humoristen,
nicht bloß Sterne, einem verwandten Zuge begegnet. Aber den Humor ihnen
zu entlehnen, hatte er nicht nötig. Wer Stilgefühl hat, wird überhaupt den
Niedersachsen in ihm nicht verkennen; darauf kam auch Fritz Reuter vor zwei-
undzwanzig Jahren mir gegenüber zu sprechen. Das gilt ebenso von der Art
seines Humors, wie von seiner Vorliebe für bezeichnende mundartliche Aus¬
drücke und Wendungen. So freute es ihn sichtlich, daß das Wort "Pulten"
(es bezeichnet ausgestvchne Bodenstücke, die mit dem Wurzelwerk des Heide¬
krautes gleichsam verfilzt sind) durch die Stein-Hardenbergsche Gesetzgebung
legitimirt worden ist. So fiel es auf, daß er auf der Fahrt nach Konstan-
tinopel, als er sich der Verse aus "Hero und Leander" erinnerte:


Erinnerungen an Lothar Bucher

Punkt zu bringen, die krüde Masse, die im Laufe des Jahres unter seine
Feder gekommen, zu klären, dazu will die ersehnte Muße sich niemals ein¬
stellen."

Diese Betrachtungen drängten sich dein Schriftsteller auf, als er 1L6^
auf seiue zwölfjährige Thätigkeit in England zurückblickte. Auch er hatte er¬
fahren müssen, daß, wie jedes Handwerk, das Zeitungsschreiber erlernt sein
will — bekanntlich glauben viele, dies und das Regieren brauche mau nur
zu versuchen, um es zu können. In seinen ersten Aufsätzen war noch der
Kcunmcrredner zu erkennen. Er ist aber nicht der einzige, dein die Schulung,
jeden Augenblick in Bereitschaft zu sein, den Stoff nicht nach Bequemlichkeit
in sich verarbeiten, Stimmung, Inspiration abwarten zu können, später in einer
staatsmännischen Laufbahn von. Nutzen gewesen ist. Auch er mußte erfahren,
daß das Publikum für die Arbeit des Politikers wenig Gedächtnis zu habe»!
pflegt. Er hatte sich redlich bemüht, die Begriffe klären, den Gesichtskreis
erweitern zu helfen, man erwartete mit Spannung das bekannte Quadrat in
der Nativnalzeitung, die, wie ein Berliner in den fünfziger Jahren behauptete,
nur wegen dieser Beiträge gelesen werde, und ähnliche Äußerungen habe ich
in Süddeutschland vernommen. Lange vor dem Ausbruche des Krieges von
1859 war er in der Lage gewesen, auf dessen Vorbereitung aufmerksam zu
machen. Er gehörte gewiß in weiten Kreisen zu den populärste» Persönlich¬
keiten. Aber in Erinnerung geblieben waren eigentlich doch nur die Aufsätze
ans Zeiten der Erholung von der steten, aufreibenden Arbeit, die Früchte seiner
Fußwanderungen und Reisen, die humoristischen Skizzen ans dem englischen
Leben. Als er von Bisinnrck gerufen wurde, wollten dessen Feinde in ihm
nur einen „Feuilletonisten" sehn.

Auch der Verfasser eines sehr freundlich gehaltenen Aussatzes über ihn in
einer neuen Wochenschrift scheint ihn hauptsächlich vou dieser einen Seite zu
kennen, da er ihn als Schriftsteller von Heine, Jean Paul und Sterne „ab¬
stammen" läßt. Deren Einfluß braucht mau keineswegs zu leugnen. Vor
fünfzig Jahren hatte man noch Geduld, Jean Paul zu lesen, Heine spült in
der ganzen Generation, und gewiß ist Bucher in den britischen Humoristen,
nicht bloß Sterne, einem verwandten Zuge begegnet. Aber den Humor ihnen
zu entlehnen, hatte er nicht nötig. Wer Stilgefühl hat, wird überhaupt den
Niedersachsen in ihm nicht verkennen; darauf kam auch Fritz Reuter vor zwei-
undzwanzig Jahren mir gegenüber zu sprechen. Das gilt ebenso von der Art
seines Humors, wie von seiner Vorliebe für bezeichnende mundartliche Aus¬
drücke und Wendungen. So freute es ihn sichtlich, daß das Wort „Pulten"
(es bezeichnet ausgestvchne Bodenstücke, die mit dem Wurzelwerk des Heide¬
krautes gleichsam verfilzt sind) durch die Stein-Hardenbergsche Gesetzgebung
legitimirt worden ist. So fiel es auf, daß er auf der Fahrt nach Konstan-
tinopel, als er sich der Verse aus „Hero und Leander" erinnerte:


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[0584] Erinnerungen an Lothar Bucher Punkt zu bringen, die krüde Masse, die im Laufe des Jahres unter seine Feder gekommen, zu klären, dazu will die ersehnte Muße sich niemals ein¬ stellen." Diese Betrachtungen drängten sich dein Schriftsteller auf, als er 1L6^ auf seiue zwölfjährige Thätigkeit in England zurückblickte. Auch er hatte er¬ fahren müssen, daß, wie jedes Handwerk, das Zeitungsschreiber erlernt sein will — bekanntlich glauben viele, dies und das Regieren brauche mau nur zu versuchen, um es zu können. In seinen ersten Aufsätzen war noch der Kcunmcrredner zu erkennen. Er ist aber nicht der einzige, dein die Schulung, jeden Augenblick in Bereitschaft zu sein, den Stoff nicht nach Bequemlichkeit in sich verarbeiten, Stimmung, Inspiration abwarten zu können, später in einer staatsmännischen Laufbahn von. Nutzen gewesen ist. Auch er mußte erfahren, daß das Publikum für die Arbeit des Politikers wenig Gedächtnis zu habe»! pflegt. Er hatte sich redlich bemüht, die Begriffe klären, den Gesichtskreis erweitern zu helfen, man erwartete mit Spannung das bekannte Quadrat in der Nativnalzeitung, die, wie ein Berliner in den fünfziger Jahren behauptete, nur wegen dieser Beiträge gelesen werde, und ähnliche Äußerungen habe ich in Süddeutschland vernommen. Lange vor dem Ausbruche des Krieges von 1859 war er in der Lage gewesen, auf dessen Vorbereitung aufmerksam zu machen. Er gehörte gewiß in weiten Kreisen zu den populärste» Persönlich¬ keiten. Aber in Erinnerung geblieben waren eigentlich doch nur die Aufsätze ans Zeiten der Erholung von der steten, aufreibenden Arbeit, die Früchte seiner Fußwanderungen und Reisen, die humoristischen Skizzen ans dem englischen Leben. Als er von Bisinnrck gerufen wurde, wollten dessen Feinde in ihm nur einen „Feuilletonisten" sehn. Auch der Verfasser eines sehr freundlich gehaltenen Aussatzes über ihn in einer neuen Wochenschrift scheint ihn hauptsächlich vou dieser einen Seite zu kennen, da er ihn als Schriftsteller von Heine, Jean Paul und Sterne „ab¬ stammen" läßt. Deren Einfluß braucht mau keineswegs zu leugnen. Vor fünfzig Jahren hatte man noch Geduld, Jean Paul zu lesen, Heine spült in der ganzen Generation, und gewiß ist Bucher in den britischen Humoristen, nicht bloß Sterne, einem verwandten Zuge begegnet. Aber den Humor ihnen zu entlehnen, hatte er nicht nötig. Wer Stilgefühl hat, wird überhaupt den Niedersachsen in ihm nicht verkennen; darauf kam auch Fritz Reuter vor zwei- undzwanzig Jahren mir gegenüber zu sprechen. Das gilt ebenso von der Art seines Humors, wie von seiner Vorliebe für bezeichnende mundartliche Aus¬ drücke und Wendungen. So freute es ihn sichtlich, daß das Wort „Pulten" (es bezeichnet ausgestvchne Bodenstücke, die mit dem Wurzelwerk des Heide¬ krautes gleichsam verfilzt sind) durch die Stein-Hardenbergsche Gesetzgebung legitimirt worden ist. So fiel es auf, daß er auf der Fahrt nach Konstan- tinopel, als er sich der Verse aus „Hero und Leander" erinnerte:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/584>, abgerufen am 23.07.2024.