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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Erinnerungen an Lothar Bücher

unbekümmert darum, daß "thun" als Hilfszeitwort in der Schriftsprache nicht
mehr gebräuchlich ist, fortfuhr: "Nur brausen that der Hellespont nicht, thut
er wohl nie." Und es ist schwerlich ein Zufall, daß sich solche Anwandlungen
am häufigsten einstellen, wenn das Meer in Sicht oder doch nahe ist. Nicht
der Kuhreigen allein rührt das Heimweh auf, der frische Hauch des Salz¬
wassers kann dieselbe Wirkung äußern. Um so begreiflicher ist es, daß in den
Skizzen von Ausflügen, weg aus dem verräucherten Hänsermeere, an die öst¬
liche oder südliche Küste Englands, leicht Anklänge an ältere und neuere eng¬
lische Humoristen vorkommen.

Ans der Zeit des Interims verdient ein Schriftstück Erwähnung, weil
sich in ihm Verhältnisse abspiegeln, die sich im Laufe von dreißig Jahren
vollständig geändert haben, und weil es zugleich einen Beitrag zur Charakte¬
ristik der so viel besprochnen Stellung Buchers zu deu wirtschaftlichen Par¬
teien jener Tage liefert. Bei der Schillerfeier in Leipzig im Jahre 1861 hatte
er die Festrede gehalten und dazu die Spuren juristischer Studien in Schillers
Dichtungen als Thema gewählt. Der Bortrag beschäftigte sich vorzüglich mit
Wilhelm Tell und gipfelte "i den ersten Worten des ans dem nulli ge¬
schworn"! Eides. Anderthalb Jahre darauf erhielt er abermals von Leipzig
ans eine Einladung zu einem Vortrage, diesmal von dem deutschen Arbeiter¬
verein. Schutzes und Lassalles Anhänger standen einander aufs schroffste
gegenüber, Bücher hatte dazu seine Stellung genommen und erklärte sich be¬
reit, die Überzeugung zu vertreten, "daß die Lehre der Manchesterschnle, der
Staat habe nur für die persönliche Sicherheit zu sorgen und alles andre gehn
zu lassen, vor der Wissenschaft, vor der Geschichte und vor der Praxis nicht
bestehe." Umstände verschiedner Art ließen ihn später einer andern Form der
Mitteilung den Vorzug geben, und er schrieb dem Komitee einen Brief, dessen
Anfang (nach dem Entwürfe) hier folgt. "Für den Vortrag, den ich Ihnen
zugesagt, hatte ich nach einem Gegenstande gesucht, der zur Lösung der von
den deutschen Arbeitern mit so großer Lebhaftigkeit verhandelten Frage bei¬
trüge und sich doch behandeln ließe, ohne direkt auf dieselbe einzugehen. Durch
jenes glaubte ich Ihren Wünschen entgegenzukommen, mit diesem folgte ich
meiner eignen Neigung- Wer mischt sich gern in einen Streit, in dem er
nicht mit ganzer Seele für eine Seite Partei nehmen kann? Und wenn die
Frage so gestellt ist, wie sie jetzt zu stehen scheint, ob Assoziationen, mit den
eignen Kräften der Arbeiter gegründet, genügen, um den Arbeiterstand zu dein
Zustande materiellen und geistigen Wohlseins zu führen, welchen die Demo¬
kratie für alle, much für die Gleichgiltigen, fordert, oder ob die Arbeiter jetzt
eine Agitation für das ungemeine Stimmrecht beginnen solle", so würde ich


Grenzboten IV 1892 73
Erinnerungen an Lothar Bücher

unbekümmert darum, daß „thun" als Hilfszeitwort in der Schriftsprache nicht
mehr gebräuchlich ist, fortfuhr: „Nur brausen that der Hellespont nicht, thut
er wohl nie." Und es ist schwerlich ein Zufall, daß sich solche Anwandlungen
am häufigsten einstellen, wenn das Meer in Sicht oder doch nahe ist. Nicht
der Kuhreigen allein rührt das Heimweh auf, der frische Hauch des Salz¬
wassers kann dieselbe Wirkung äußern. Um so begreiflicher ist es, daß in den
Skizzen von Ausflügen, weg aus dem verräucherten Hänsermeere, an die öst¬
liche oder südliche Küste Englands, leicht Anklänge an ältere und neuere eng¬
lische Humoristen vorkommen.

Ans der Zeit des Interims verdient ein Schriftstück Erwähnung, weil
sich in ihm Verhältnisse abspiegeln, die sich im Laufe von dreißig Jahren
vollständig geändert haben, und weil es zugleich einen Beitrag zur Charakte¬
ristik der so viel besprochnen Stellung Buchers zu deu wirtschaftlichen Par¬
teien jener Tage liefert. Bei der Schillerfeier in Leipzig im Jahre 1861 hatte
er die Festrede gehalten und dazu die Spuren juristischer Studien in Schillers
Dichtungen als Thema gewählt. Der Bortrag beschäftigte sich vorzüglich mit
Wilhelm Tell und gipfelte »i den ersten Worten des ans dem nulli ge¬
schworn«! Eides. Anderthalb Jahre darauf erhielt er abermals von Leipzig
ans eine Einladung zu einem Vortrage, diesmal von dem deutschen Arbeiter¬
verein. Schutzes und Lassalles Anhänger standen einander aufs schroffste
gegenüber, Bücher hatte dazu seine Stellung genommen und erklärte sich be¬
reit, die Überzeugung zu vertreten, „daß die Lehre der Manchesterschnle, der
Staat habe nur für die persönliche Sicherheit zu sorgen und alles andre gehn
zu lassen, vor der Wissenschaft, vor der Geschichte und vor der Praxis nicht
bestehe." Umstände verschiedner Art ließen ihn später einer andern Form der
Mitteilung den Vorzug geben, und er schrieb dem Komitee einen Brief, dessen
Anfang (nach dem Entwürfe) hier folgt. „Für den Vortrag, den ich Ihnen
zugesagt, hatte ich nach einem Gegenstande gesucht, der zur Lösung der von
den deutschen Arbeitern mit so großer Lebhaftigkeit verhandelten Frage bei¬
trüge und sich doch behandeln ließe, ohne direkt auf dieselbe einzugehen. Durch
jenes glaubte ich Ihren Wünschen entgegenzukommen, mit diesem folgte ich
meiner eignen Neigung- Wer mischt sich gern in einen Streit, in dem er
nicht mit ganzer Seele für eine Seite Partei nehmen kann? Und wenn die
Frage so gestellt ist, wie sie jetzt zu stehen scheint, ob Assoziationen, mit den
eignen Kräften der Arbeiter gegründet, genügen, um den Arbeiterstand zu dein
Zustande materiellen und geistigen Wohlseins zu führen, welchen die Demo¬
kratie für alle, much für die Gleichgiltigen, fordert, oder ob die Arbeiter jetzt
eine Agitation für das ungemeine Stimmrecht beginnen solle», so würde ich


Grenzboten IV 1892 73
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[0585] Erinnerungen an Lothar Bücher unbekümmert darum, daß „thun" als Hilfszeitwort in der Schriftsprache nicht mehr gebräuchlich ist, fortfuhr: „Nur brausen that der Hellespont nicht, thut er wohl nie." Und es ist schwerlich ein Zufall, daß sich solche Anwandlungen am häufigsten einstellen, wenn das Meer in Sicht oder doch nahe ist. Nicht der Kuhreigen allein rührt das Heimweh auf, der frische Hauch des Salz¬ wassers kann dieselbe Wirkung äußern. Um so begreiflicher ist es, daß in den Skizzen von Ausflügen, weg aus dem verräucherten Hänsermeere, an die öst¬ liche oder südliche Küste Englands, leicht Anklänge an ältere und neuere eng¬ lische Humoristen vorkommen. Ans der Zeit des Interims verdient ein Schriftstück Erwähnung, weil sich in ihm Verhältnisse abspiegeln, die sich im Laufe von dreißig Jahren vollständig geändert haben, und weil es zugleich einen Beitrag zur Charakte¬ ristik der so viel besprochnen Stellung Buchers zu deu wirtschaftlichen Par¬ teien jener Tage liefert. Bei der Schillerfeier in Leipzig im Jahre 1861 hatte er die Festrede gehalten und dazu die Spuren juristischer Studien in Schillers Dichtungen als Thema gewählt. Der Bortrag beschäftigte sich vorzüglich mit Wilhelm Tell und gipfelte »i den ersten Worten des ans dem nulli ge¬ schworn«! Eides. Anderthalb Jahre darauf erhielt er abermals von Leipzig ans eine Einladung zu einem Vortrage, diesmal von dem deutschen Arbeiter¬ verein. Schutzes und Lassalles Anhänger standen einander aufs schroffste gegenüber, Bücher hatte dazu seine Stellung genommen und erklärte sich be¬ reit, die Überzeugung zu vertreten, „daß die Lehre der Manchesterschnle, der Staat habe nur für die persönliche Sicherheit zu sorgen und alles andre gehn zu lassen, vor der Wissenschaft, vor der Geschichte und vor der Praxis nicht bestehe." Umstände verschiedner Art ließen ihn später einer andern Form der Mitteilung den Vorzug geben, und er schrieb dem Komitee einen Brief, dessen Anfang (nach dem Entwürfe) hier folgt. „Für den Vortrag, den ich Ihnen zugesagt, hatte ich nach einem Gegenstande gesucht, der zur Lösung der von den deutschen Arbeitern mit so großer Lebhaftigkeit verhandelten Frage bei¬ trüge und sich doch behandeln ließe, ohne direkt auf dieselbe einzugehen. Durch jenes glaubte ich Ihren Wünschen entgegenzukommen, mit diesem folgte ich meiner eignen Neigung- Wer mischt sich gern in einen Streit, in dem er nicht mit ganzer Seele für eine Seite Partei nehmen kann? Und wenn die Frage so gestellt ist, wie sie jetzt zu stehen scheint, ob Assoziationen, mit den eignen Kräften der Arbeiter gegründet, genügen, um den Arbeiterstand zu dein Zustande materiellen und geistigen Wohlseins zu führen, welchen die Demo¬ kratie für alle, much für die Gleichgiltigen, fordert, oder ob die Arbeiter jetzt eine Agitation für das ungemeine Stimmrecht beginnen solle», so würde ich Grenzboten IV 1892 73

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/585>, abgerufen am 23.07.2024.