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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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rungen nach demselben Maßstabe ablösbar sein müßten, und machte Bücher
ausdrücklich als einen namhaft, der die Begehrlichkeit des Landvolks an¬
gefacht habe.

Der Aufenthalt unter einem fremden Volke übt ans gesunde Naturen eine
Wirkung aus, die Stählung des Nationalgefühls genannt werden kann, eine
um so stärkere, je mehr mau, wie im allgemeinen der Deutsche, deren bedarf.
Zuerst wird er gewiß der altgewohnten Neigung fröhnen, das Fremde zu be¬
wundern, seine wirklichen und scheinbaren Vorzüge hervorzuheben. Aber wenn
die Ausländer, wie wir ihnen angewöhnt haben, ihre Überlegenheit in allem
und jedem geltend machen zu müssen glauben, dann empört sich das gerechte
Selbstbewußtsein und lernt ihnen ub, fest aufzutreten und die Ellbogen zu
gebrauchen. Das Gefühl, einem zerrissenen und ohnmächtigen Reiche anzu¬
gehören, machte den Deutschen übermüßig bescheiden, die Unbescheidenheit der
andern ließ ihn sich auf das Gute im Vaterlande und im eignen Stamme
besinnen und manchen Schatten weniger dunkel sehen. Deutsch gedacht hatte
mein Bruder stets, das brachte die Atmosphäre im elterlichen Hause mit sich.
Aber Deutschland war ja nnr ein geographischer Begriff. Um so dringender
mahnte es ihn, fein Deutschtum zu betonen und das Seine zur Weckung des
nationalen Egoismus beizutragen, ohne den ein Volk niemals die Achtung
andrer gewinnen wird. Dieser Zug macht sich bald in seinen Berichten
aus England bemerkbar, und wenn er ausführlich bessere dortige Einrich¬
tung bespricht, vor allem die größere Sorge für die Gesundheit und Kräf¬
tigung der Jugend rühmt, so geschieht es, um daheim zur Nachahmung auf¬
zufordern.

Daß Bücher gern manches anders gesagt, systematischer behandelt haben
würde, wenn es die Verhältnisse erlaubt Hütten, empfand er lebhaft. "Wer
hin und wieder einen Gegenstand, auf den ihn systematische Studien geführt
haben, für eine Zeitung bearbeitet, wer eine bestimmte Verbesserung in Staat
oder Gesellschaft mit Hilfe der Tagespresse durchzusetzen sucht, ja auch wer
regelmäßig die Neuigkeiten eines Ortes zu sammeln und zu melden hat, sie
alle werdeu uur eine sehr unvollkommne Borstellnng von dein Zustande jemandes
haben, der deu Stoff, den ein jeder Morgen bringt, aufzunehmen und bis
zum Abend irgendwie zu verarbeiten, ihm irgend eine Seite abzugewinnen hat,
"ur eine sehr unvollkommne Vorstellung von der Zersplitterung der Zeit und
de'r Kraft, von der eignen Unbefriedigung, worunter er zu leiden hat. Einen
Gegenstand, den er schon beherrscht, erschöpfend zu behandeln, verbieten ihm
Raum der Zeitung und die Verwöhnung des Lesers; sich über einen Gegen¬
stand, der ihm fremd ist, vollständig zu unterrichten, dazu gebricht es ihm
während der Arbeit an Zeit; und den Anregungen, die er empfängt, zu folgen,
die Lücken seines Wissens, die er entdeckt hat, auszufüllen, die weit ausein¬
ander liegenden Dinge, an die er angestreift ist, unter einen höhern Gesichts-


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rungen nach demselben Maßstabe ablösbar sein müßten, und machte Bücher
ausdrücklich als einen namhaft, der die Begehrlichkeit des Landvolks an¬
gefacht habe.

Der Aufenthalt unter einem fremden Volke übt ans gesunde Naturen eine
Wirkung aus, die Stählung des Nationalgefühls genannt werden kann, eine
um so stärkere, je mehr mau, wie im allgemeinen der Deutsche, deren bedarf.
Zuerst wird er gewiß der altgewohnten Neigung fröhnen, das Fremde zu be¬
wundern, seine wirklichen und scheinbaren Vorzüge hervorzuheben. Aber wenn
die Ausländer, wie wir ihnen angewöhnt haben, ihre Überlegenheit in allem
und jedem geltend machen zu müssen glauben, dann empört sich das gerechte
Selbstbewußtsein und lernt ihnen ub, fest aufzutreten und die Ellbogen zu
gebrauchen. Das Gefühl, einem zerrissenen und ohnmächtigen Reiche anzu¬
gehören, machte den Deutschen übermüßig bescheiden, die Unbescheidenheit der
andern ließ ihn sich auf das Gute im Vaterlande und im eignen Stamme
besinnen und manchen Schatten weniger dunkel sehen. Deutsch gedacht hatte
mein Bruder stets, das brachte die Atmosphäre im elterlichen Hause mit sich.
Aber Deutschland war ja nnr ein geographischer Begriff. Um so dringender
mahnte es ihn, fein Deutschtum zu betonen und das Seine zur Weckung des
nationalen Egoismus beizutragen, ohne den ein Volk niemals die Achtung
andrer gewinnen wird. Dieser Zug macht sich bald in seinen Berichten
aus England bemerkbar, und wenn er ausführlich bessere dortige Einrich¬
tung bespricht, vor allem die größere Sorge für die Gesundheit und Kräf¬
tigung der Jugend rühmt, so geschieht es, um daheim zur Nachahmung auf¬
zufordern.

Daß Bücher gern manches anders gesagt, systematischer behandelt haben
würde, wenn es die Verhältnisse erlaubt Hütten, empfand er lebhaft. „Wer
hin und wieder einen Gegenstand, auf den ihn systematische Studien geführt
haben, für eine Zeitung bearbeitet, wer eine bestimmte Verbesserung in Staat
oder Gesellschaft mit Hilfe der Tagespresse durchzusetzen sucht, ja auch wer
regelmäßig die Neuigkeiten eines Ortes zu sammeln und zu melden hat, sie
alle werdeu uur eine sehr unvollkommne Borstellnng von dein Zustande jemandes
haben, der deu Stoff, den ein jeder Morgen bringt, aufzunehmen und bis
zum Abend irgendwie zu verarbeiten, ihm irgend eine Seite abzugewinnen hat,
»ur eine sehr unvollkommne Vorstellung von der Zersplitterung der Zeit und
de'r Kraft, von der eignen Unbefriedigung, worunter er zu leiden hat. Einen
Gegenstand, den er schon beherrscht, erschöpfend zu behandeln, verbieten ihm
Raum der Zeitung und die Verwöhnung des Lesers; sich über einen Gegen¬
stand, der ihm fremd ist, vollständig zu unterrichten, dazu gebricht es ihm
während der Arbeit an Zeit; und den Anregungen, die er empfängt, zu folgen,
die Lücken seines Wissens, die er entdeckt hat, auszufüllen, die weit ausein¬
ander liegenden Dinge, an die er angestreift ist, unter einen höhern Gesichts-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/583>, abgerufen am 23.07.2024.