Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
tveder Kommunismus noch Kapitalismus

Während sich Grundherr" und größere Pächter nicht halten konnte", standen
sich die kleinen Landwirte, die keine oder nur wenig geduugue Arbeiter brauchten,
so ausgezeichnet wie diese; ihre Zahl mehrte sich; ihre Gütchen vergrößerten
sich; die Uevmaurie erstarkte. Kleinbauern, Lohnarbeiter (die wir uns auch
damals nicht lautlos denken dürfen) und Handarbeiter waren die Herren der
Situation. Manche große Lords verzichteten aus die Erbauung oder Ver¬
pachtung ihrer Äcker und verlegten sich ausschließlich auf Schafzucht. Wolle
war schon immer der Hauptausfuhrartikel Englands gewesen. Schon längst
hatten die italienischen Tuchweber, namentlich die ^.re,o cleälu. I-rrm zu Florenz,
ihren Bedarf an Wolle von den englischen Klöstern bezogen. Dann waren
die niederländischen Fabrikanten hinzugetreten. Die Steuer" wurden den: König
in Gestalt von Wolle entrichtet oder wenigstens, wo die Lieferung in n-nur-r
nicht angi"g, "ach Säcke" Wolle berechnet. Kein Wunder, daß sich manche
englische Lords in ihrer Bedrängnis, die mit der Blütezeit der Wollweberei
zusnmmeiificl, ausschließlich auf die Schafzucht verlegten. Der Prozeß der
allmähliche" Verdräng""g des Ackerbaus durch die Weidewirtschaft, der später
so unheilvoll wirken sollte, nahm also schon damals seinen Anfang, und es
freut uns, aus Rogers zu erfahren, daß eS doch nicht reine Bosheit und Hab¬
sucht, sondern eine wirkliche Notlage der großen Gutsbesitzer war, woraus
er erspmug, und daß anfänglich niemandes Rechte dadurch getränkt wurden.

Aber allerdings wurde an solche Kränkung gedacht. Rogers nimmt an,
daß die Juristen den Herren geraten haben mögen, das Bauerland, das ja
ursprünglich ihr Eigentum gewesen sei, einfach einzuziehen und die Bauer",
wenn überhaupt, nur als Leibeigne darauf zu lassen, statt des Pachtzinses
und Arbeitslohnes wieder die Frohnarbeite" einzuführen, gerade so wie es
zwei Jahrhunderte später die deutschen und die baltischen Junker gethan habe".
Daß dergleichen im Gange gewesen sein muß, beweisen die Forderungen im
Aufstande von 1381. Nicht eine der von den Chronisten angegebnen Ursachen,
eine neu ausgeschrielme Kopfsteuer oder die Entehrung der Tochter Wut Tylers
durch eine" Edelmann, sondern die drohende Wiedereinführung der Leibeigen¬
schaft hat "ach Rogers Ansicht diese gewaltige Volksbewegung erregt, in der
sich übrigens der vielgeschmähte Richard der Zweite, damals fünfzehn Jahre
alt, als Held und kluger Staatsmann benahm. Mit augenscheinlicher Lebens¬
gefahr ritt er allein in die Aufrührerhaufen hinein, beschwichtigte sie, versprach
alles, was sie wollten, mit dem Vorbehalt, nichts davon zu halten, und sagte
zu seiner Mutter, die ihn bei der Rückkehr am Abend beglückwünschte: "Heute
morgen hätte ich meine Krone beinahe verloren, ich habe sie aber in Wirk¬
lichkeit erst erworben." Die Forderung der Bauern lautete: "Wir wollen,
dnß ihr uns frei macht für immer: unsre Personen, unsre Erben und unser
Land, und daß wir fürderhin nicht mehr leibeigen (Komet) genannt noch dafür
gehalten werden." Keine Spur dentet auf kommunistische Schlaraffenträume,


tveder Kommunismus noch Kapitalismus

Während sich Grundherr» und größere Pächter nicht halten konnte», standen
sich die kleinen Landwirte, die keine oder nur wenig geduugue Arbeiter brauchten,
so ausgezeichnet wie diese; ihre Zahl mehrte sich; ihre Gütchen vergrößerten
sich; die Uevmaurie erstarkte. Kleinbauern, Lohnarbeiter (die wir uns auch
damals nicht lautlos denken dürfen) und Handarbeiter waren die Herren der
Situation. Manche große Lords verzichteten aus die Erbauung oder Ver¬
pachtung ihrer Äcker und verlegten sich ausschließlich auf Schafzucht. Wolle
war schon immer der Hauptausfuhrartikel Englands gewesen. Schon längst
hatten die italienischen Tuchweber, namentlich die ^.re,o cleälu. I-rrm zu Florenz,
ihren Bedarf an Wolle von den englischen Klöstern bezogen. Dann waren
die niederländischen Fabrikanten hinzugetreten. Die Steuer» wurden den: König
in Gestalt von Wolle entrichtet oder wenigstens, wo die Lieferung in n-nur-r
nicht angi»g, »ach Säcke» Wolle berechnet. Kein Wunder, daß sich manche
englische Lords in ihrer Bedrängnis, die mit der Blütezeit der Wollweberei
zusnmmeiificl, ausschließlich auf die Schafzucht verlegten. Der Prozeß der
allmähliche» Verdräng»»g des Ackerbaus durch die Weidewirtschaft, der später
so unheilvoll wirken sollte, nahm also schon damals seinen Anfang, und es
freut uns, aus Rogers zu erfahren, daß eS doch nicht reine Bosheit und Hab¬
sucht, sondern eine wirkliche Notlage der großen Gutsbesitzer war, woraus
er erspmug, und daß anfänglich niemandes Rechte dadurch getränkt wurden.

Aber allerdings wurde an solche Kränkung gedacht. Rogers nimmt an,
daß die Juristen den Herren geraten haben mögen, das Bauerland, das ja
ursprünglich ihr Eigentum gewesen sei, einfach einzuziehen und die Bauer»,
wenn überhaupt, nur als Leibeigne darauf zu lassen, statt des Pachtzinses
und Arbeitslohnes wieder die Frohnarbeite» einzuführen, gerade so wie es
zwei Jahrhunderte später die deutschen und die baltischen Junker gethan habe».
Daß dergleichen im Gange gewesen sein muß, beweisen die Forderungen im
Aufstande von 1381. Nicht eine der von den Chronisten angegebnen Ursachen,
eine neu ausgeschrielme Kopfsteuer oder die Entehrung der Tochter Wut Tylers
durch eine» Edelmann, sondern die drohende Wiedereinführung der Leibeigen¬
schaft hat »ach Rogers Ansicht diese gewaltige Volksbewegung erregt, in der
sich übrigens der vielgeschmähte Richard der Zweite, damals fünfzehn Jahre
alt, als Held und kluger Staatsmann benahm. Mit augenscheinlicher Lebens¬
gefahr ritt er allein in die Aufrührerhaufen hinein, beschwichtigte sie, versprach
alles, was sie wollten, mit dem Vorbehalt, nichts davon zu halten, und sagte
zu seiner Mutter, die ihn bei der Rückkehr am Abend beglückwünschte: „Heute
morgen hätte ich meine Krone beinahe verloren, ich habe sie aber in Wirk¬
lichkeit erst erworben." Die Forderung der Bauern lautete: „Wir wollen,
dnß ihr uns frei macht für immer: unsre Personen, unsre Erben und unser
Land, und daß wir fürderhin nicht mehr leibeigen (Komet) genannt noch dafür
gehalten werden." Keine Spur dentet auf kommunistische Schlaraffenträume,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0531" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213645"/>
          <fw type="header" place="top"> tveder Kommunismus noch Kapitalismus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1633" prev="#ID_1632"> Während sich Grundherr» und größere Pächter nicht halten konnte», standen<lb/>
sich die kleinen Landwirte, die keine oder nur wenig geduugue Arbeiter brauchten,<lb/>
so ausgezeichnet wie diese; ihre Zahl mehrte sich; ihre Gütchen vergrößerten<lb/>
sich; die Uevmaurie erstarkte. Kleinbauern, Lohnarbeiter (die wir uns auch<lb/>
damals nicht lautlos denken dürfen) und Handarbeiter waren die Herren der<lb/>
Situation. Manche große Lords verzichteten aus die Erbauung oder Ver¬<lb/>
pachtung ihrer Äcker und verlegten sich ausschließlich auf Schafzucht. Wolle<lb/>
war schon immer der Hauptausfuhrartikel Englands gewesen. Schon längst<lb/>
hatten die italienischen Tuchweber, namentlich die ^.re,o cleälu. I-rrm zu Florenz,<lb/>
ihren Bedarf an Wolle von den englischen Klöstern bezogen. Dann waren<lb/>
die niederländischen Fabrikanten hinzugetreten. Die Steuer» wurden den: König<lb/>
in Gestalt von Wolle entrichtet oder wenigstens, wo die Lieferung in n-nur-r<lb/>
nicht angi»g, »ach Säcke» Wolle berechnet. Kein Wunder, daß sich manche<lb/>
englische Lords in ihrer Bedrängnis, die mit der Blütezeit der Wollweberei<lb/>
zusnmmeiificl, ausschließlich auf die Schafzucht verlegten. Der Prozeß der<lb/>
allmähliche» Verdräng»»g des Ackerbaus durch die Weidewirtschaft, der später<lb/>
so unheilvoll wirken sollte, nahm also schon damals seinen Anfang, und es<lb/>
freut uns, aus Rogers zu erfahren, daß eS doch nicht reine Bosheit und Hab¬<lb/>
sucht, sondern eine wirkliche Notlage der großen Gutsbesitzer war, woraus<lb/>
er erspmug, und daß anfänglich niemandes Rechte dadurch getränkt wurden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1634" next="#ID_1635"> Aber allerdings wurde an solche Kränkung gedacht. Rogers nimmt an,<lb/>
daß die Juristen den Herren geraten haben mögen, das Bauerland, das ja<lb/>
ursprünglich ihr Eigentum gewesen sei, einfach einzuziehen und die Bauer»,<lb/>
wenn überhaupt, nur als Leibeigne darauf zu lassen, statt des Pachtzinses<lb/>
und Arbeitslohnes wieder die Frohnarbeite» einzuführen, gerade so wie es<lb/>
zwei Jahrhunderte später die deutschen und die baltischen Junker gethan habe».<lb/>
Daß dergleichen im Gange gewesen sein muß, beweisen die Forderungen im<lb/>
Aufstande von 1381. Nicht eine der von den Chronisten angegebnen Ursachen,<lb/>
eine neu ausgeschrielme Kopfsteuer oder die Entehrung der Tochter Wut Tylers<lb/>
durch eine» Edelmann, sondern die drohende Wiedereinführung der Leibeigen¬<lb/>
schaft hat »ach Rogers Ansicht diese gewaltige Volksbewegung erregt, in der<lb/>
sich übrigens der vielgeschmähte Richard der Zweite, damals fünfzehn Jahre<lb/>
alt, als Held und kluger Staatsmann benahm. Mit augenscheinlicher Lebens¬<lb/>
gefahr ritt er allein in die Aufrührerhaufen hinein, beschwichtigte sie, versprach<lb/>
alles, was sie wollten, mit dem Vorbehalt, nichts davon zu halten, und sagte<lb/>
zu seiner Mutter, die ihn bei der Rückkehr am Abend beglückwünschte: &#x201E;Heute<lb/>
morgen hätte ich meine Krone beinahe verloren, ich habe sie aber in Wirk¬<lb/>
lichkeit erst erworben." Die Forderung der Bauern lautete: &#x201E;Wir wollen,<lb/>
dnß ihr uns frei macht für immer: unsre Personen, unsre Erben und unser<lb/>
Land, und daß wir fürderhin nicht mehr leibeigen (Komet) genannt noch dafür<lb/>
gehalten werden."  Keine Spur dentet auf kommunistische Schlaraffenträume,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0531] tveder Kommunismus noch Kapitalismus Während sich Grundherr» und größere Pächter nicht halten konnte», standen sich die kleinen Landwirte, die keine oder nur wenig geduugue Arbeiter brauchten, so ausgezeichnet wie diese; ihre Zahl mehrte sich; ihre Gütchen vergrößerten sich; die Uevmaurie erstarkte. Kleinbauern, Lohnarbeiter (die wir uns auch damals nicht lautlos denken dürfen) und Handarbeiter waren die Herren der Situation. Manche große Lords verzichteten aus die Erbauung oder Ver¬ pachtung ihrer Äcker und verlegten sich ausschließlich auf Schafzucht. Wolle war schon immer der Hauptausfuhrartikel Englands gewesen. Schon längst hatten die italienischen Tuchweber, namentlich die ^.re,o cleälu. I-rrm zu Florenz, ihren Bedarf an Wolle von den englischen Klöstern bezogen. Dann waren die niederländischen Fabrikanten hinzugetreten. Die Steuer» wurden den: König in Gestalt von Wolle entrichtet oder wenigstens, wo die Lieferung in n-nur-r nicht angi»g, »ach Säcke» Wolle berechnet. Kein Wunder, daß sich manche englische Lords in ihrer Bedrängnis, die mit der Blütezeit der Wollweberei zusnmmeiificl, ausschließlich auf die Schafzucht verlegten. Der Prozeß der allmähliche» Verdräng»»g des Ackerbaus durch die Weidewirtschaft, der später so unheilvoll wirken sollte, nahm also schon damals seinen Anfang, und es freut uns, aus Rogers zu erfahren, daß eS doch nicht reine Bosheit und Hab¬ sucht, sondern eine wirkliche Notlage der großen Gutsbesitzer war, woraus er erspmug, und daß anfänglich niemandes Rechte dadurch getränkt wurden. Aber allerdings wurde an solche Kränkung gedacht. Rogers nimmt an, daß die Juristen den Herren geraten haben mögen, das Bauerland, das ja ursprünglich ihr Eigentum gewesen sei, einfach einzuziehen und die Bauer», wenn überhaupt, nur als Leibeigne darauf zu lassen, statt des Pachtzinses und Arbeitslohnes wieder die Frohnarbeite» einzuführen, gerade so wie es zwei Jahrhunderte später die deutschen und die baltischen Junker gethan habe». Daß dergleichen im Gange gewesen sein muß, beweisen die Forderungen im Aufstande von 1381. Nicht eine der von den Chronisten angegebnen Ursachen, eine neu ausgeschrielme Kopfsteuer oder die Entehrung der Tochter Wut Tylers durch eine» Edelmann, sondern die drohende Wiedereinführung der Leibeigen¬ schaft hat »ach Rogers Ansicht diese gewaltige Volksbewegung erregt, in der sich übrigens der vielgeschmähte Richard der Zweite, damals fünfzehn Jahre alt, als Held und kluger Staatsmann benahm. Mit augenscheinlicher Lebens¬ gefahr ritt er allein in die Aufrührerhaufen hinein, beschwichtigte sie, versprach alles, was sie wollten, mit dem Vorbehalt, nichts davon zu halten, und sagte zu seiner Mutter, die ihn bei der Rückkehr am Abend beglückwünschte: „Heute morgen hätte ich meine Krone beinahe verloren, ich habe sie aber in Wirk¬ lichkeit erst erworben." Die Forderung der Bauern lautete: „Wir wollen, dnß ihr uns frei macht für immer: unsre Personen, unsre Erben und unser Land, und daß wir fürderhin nicht mehr leibeigen (Komet) genannt noch dafür gehalten werden." Keine Spur dentet auf kommunistische Schlaraffenträume,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/531
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/531>, abgerufen am 23.07.2024.