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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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und geräuchertem Fleische bestand, das Salz sehr schlecht war, und jene Hack¬
früchte und nahrhaften Wurzelgewächse unbekannt waren, deren Anbau erst im
siebzehnten Jahrhundert von den Niederlanden aus über Europa verbreitet
wurde.") Diese unzweckmäßige Winterkohl,°^) zusammen mit der grenzenlosen
Unsauberkeit, die überall herrschte und gegen die man keinen Ekel empfand,
erzeugten den Skorbut und Aufsatz; beide Übel waren endemisch. Hieraus,
sowie aus dem Mangel aller Bequemlichkeiten und namentlich guter Heizvor-
richtuugeu -- eines Kamins, der doch anch recht elend wärmt, erfreuten sich
nur die reichsten und vornehmsten -- erklärt sich die große Sterblichkeit und
die geringe Bevölkerungszunahme während des Mittelalters. Ein kleines Kind
mußte schon eine gute Natur haben, wenn es die sechs Wintermonate in der
mit Unrat und Rauch erfüllten ungedielteu einzigen Stube der Elternhütte
überdauern sollte. Die Ärmlichkeit des Hausrath, den Maugel an Bequem¬
lichkeiten und den Schmutz empfand niemand als ein Übel, weil man ja nichts
besseres kannte; saßen doch auch die Höflinge im Königsschlosse auf Stroh-
biindeln, und froren doch auch die Ritter im Winter wie die Hunde, sodaß
keine wesentliche Verschiedenheit der Lebensführung vorhanden war, die durch
Vergleichung Neid und Unzufriedenheit hätte erzeugen könne". Nur Güter,
die man kennt, aber nicht haben kann, machen lüstern und unzufrieden; iZuoti
ruttu. vuxiäo. Die Härten des Winters allerdings mögen wohl empfunden
worden sein, wie wir aus den Klagen unsrer Minuesingcr schließen können,
aber doch eben von den Menschen aller Stunde. Und Frühling und Sommer
entschädigten reichlich. Denn jedermann genoß im Landleben die schöne freie
Natur und hatte jeden Feierabend und Sonntag Zeit, seines Lebens froh zu
werden. Allerdings nur am Sonntag. Denn blauen Montag gab es nicht,
und von Festen wurden höchstens fünf außer deu Sonntagen gefeiert. Hie
und da scheint sogar nur ein einziges Wochentagsfest, jedenfalls doch Weih¬
nachten, gefeiert worden zu sein. Die Vorstellung, als ob die Leute in der
katholischen Zeit an drei von den sechs Wochentagen gefeiert hätten, trifft
wenigstens für England nicht zu; das ganze Jahr hindurch wurde gleichmäßig,
wenn anch nicht übermäßig gearbeitet. Überstunden und Sonntagsarbeit wurden
sowohl den ländlichen wie den gewerblichen Arbeitern sehr hoch bezahlt. Sonn¬
tagsarbeit im größern Umfang ist nur aus der Zeit Heinrichs des Achten be¬
kannt; dieser in allen Dingen sehr ungeduldige Herr hatte es auch mit seinen
Bauten sehr eilig. Übrigens waren die Könige die besten Kunden; sie be¬
zahlten die höchsten Arbeitslöhne, und wenn sie Arbeiter von auswärts heran¬
zogen, so gewährten sie ihnen eine anständige Reiseentschädigung. Rogers be-




A. d. R. In Leipzig gab es schon zu Luthers Zeit sog. Krätzgärten.
Bor der Nutzbarmachung der Hackfrüchte konnte in einem nördlichen Klima auch von
einer rationellen Rindviehzucht keine Rede sein; fehlte doch das jetzige gesunde Winterfutter.
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und geräuchertem Fleische bestand, das Salz sehr schlecht war, und jene Hack¬
früchte und nahrhaften Wurzelgewächse unbekannt waren, deren Anbau erst im
siebzehnten Jahrhundert von den Niederlanden aus über Europa verbreitet
wurde.") Diese unzweckmäßige Winterkohl,°^) zusammen mit der grenzenlosen
Unsauberkeit, die überall herrschte und gegen die man keinen Ekel empfand,
erzeugten den Skorbut und Aufsatz; beide Übel waren endemisch. Hieraus,
sowie aus dem Mangel aller Bequemlichkeiten und namentlich guter Heizvor-
richtuugeu — eines Kamins, der doch anch recht elend wärmt, erfreuten sich
nur die reichsten und vornehmsten — erklärt sich die große Sterblichkeit und
die geringe Bevölkerungszunahme während des Mittelalters. Ein kleines Kind
mußte schon eine gute Natur haben, wenn es die sechs Wintermonate in der
mit Unrat und Rauch erfüllten ungedielteu einzigen Stube der Elternhütte
überdauern sollte. Die Ärmlichkeit des Hausrath, den Maugel an Bequem¬
lichkeiten und den Schmutz empfand niemand als ein Übel, weil man ja nichts
besseres kannte; saßen doch auch die Höflinge im Königsschlosse auf Stroh-
biindeln, und froren doch auch die Ritter im Winter wie die Hunde, sodaß
keine wesentliche Verschiedenheit der Lebensführung vorhanden war, die durch
Vergleichung Neid und Unzufriedenheit hätte erzeugen könne». Nur Güter,
die man kennt, aber nicht haben kann, machen lüstern und unzufrieden; iZuoti
ruttu. vuxiäo. Die Härten des Winters allerdings mögen wohl empfunden
worden sein, wie wir aus den Klagen unsrer Minuesingcr schließen können,
aber doch eben von den Menschen aller Stunde. Und Frühling und Sommer
entschädigten reichlich. Denn jedermann genoß im Landleben die schöne freie
Natur und hatte jeden Feierabend und Sonntag Zeit, seines Lebens froh zu
werden. Allerdings nur am Sonntag. Denn blauen Montag gab es nicht,
und von Festen wurden höchstens fünf außer deu Sonntagen gefeiert. Hie
und da scheint sogar nur ein einziges Wochentagsfest, jedenfalls doch Weih¬
nachten, gefeiert worden zu sein. Die Vorstellung, als ob die Leute in der
katholischen Zeit an drei von den sechs Wochentagen gefeiert hätten, trifft
wenigstens für England nicht zu; das ganze Jahr hindurch wurde gleichmäßig,
wenn anch nicht übermäßig gearbeitet. Überstunden und Sonntagsarbeit wurden
sowohl den ländlichen wie den gewerblichen Arbeitern sehr hoch bezahlt. Sonn¬
tagsarbeit im größern Umfang ist nur aus der Zeit Heinrichs des Achten be¬
kannt; dieser in allen Dingen sehr ungeduldige Herr hatte es auch mit seinen
Bauten sehr eilig. Übrigens waren die Könige die besten Kunden; sie be¬
zahlten die höchsten Arbeitslöhne, und wenn sie Arbeiter von auswärts heran¬
zogen, so gewährten sie ihnen eine anständige Reiseentschädigung. Rogers be-




A. d. R. In Leipzig gab es schon zu Luthers Zeit sog. Krätzgärten.
Bor der Nutzbarmachung der Hackfrüchte konnte in einem nördlichen Klima auch von
einer rationellen Rindviehzucht keine Rede sein; fehlte doch das jetzige gesunde Winterfutter.
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[0526] tveder Aominnnisinus noch Uapitalisnnis und geräuchertem Fleische bestand, das Salz sehr schlecht war, und jene Hack¬ früchte und nahrhaften Wurzelgewächse unbekannt waren, deren Anbau erst im siebzehnten Jahrhundert von den Niederlanden aus über Europa verbreitet wurde.") Diese unzweckmäßige Winterkohl,°^) zusammen mit der grenzenlosen Unsauberkeit, die überall herrschte und gegen die man keinen Ekel empfand, erzeugten den Skorbut und Aufsatz; beide Übel waren endemisch. Hieraus, sowie aus dem Mangel aller Bequemlichkeiten und namentlich guter Heizvor- richtuugeu — eines Kamins, der doch anch recht elend wärmt, erfreuten sich nur die reichsten und vornehmsten — erklärt sich die große Sterblichkeit und die geringe Bevölkerungszunahme während des Mittelalters. Ein kleines Kind mußte schon eine gute Natur haben, wenn es die sechs Wintermonate in der mit Unrat und Rauch erfüllten ungedielteu einzigen Stube der Elternhütte überdauern sollte. Die Ärmlichkeit des Hausrath, den Maugel an Bequem¬ lichkeiten und den Schmutz empfand niemand als ein Übel, weil man ja nichts besseres kannte; saßen doch auch die Höflinge im Königsschlosse auf Stroh- biindeln, und froren doch auch die Ritter im Winter wie die Hunde, sodaß keine wesentliche Verschiedenheit der Lebensführung vorhanden war, die durch Vergleichung Neid und Unzufriedenheit hätte erzeugen könne». Nur Güter, die man kennt, aber nicht haben kann, machen lüstern und unzufrieden; iZuoti ruttu. vuxiäo. Die Härten des Winters allerdings mögen wohl empfunden worden sein, wie wir aus den Klagen unsrer Minuesingcr schließen können, aber doch eben von den Menschen aller Stunde. Und Frühling und Sommer entschädigten reichlich. Denn jedermann genoß im Landleben die schöne freie Natur und hatte jeden Feierabend und Sonntag Zeit, seines Lebens froh zu werden. Allerdings nur am Sonntag. Denn blauen Montag gab es nicht, und von Festen wurden höchstens fünf außer deu Sonntagen gefeiert. Hie und da scheint sogar nur ein einziges Wochentagsfest, jedenfalls doch Weih¬ nachten, gefeiert worden zu sein. Die Vorstellung, als ob die Leute in der katholischen Zeit an drei von den sechs Wochentagen gefeiert hätten, trifft wenigstens für England nicht zu; das ganze Jahr hindurch wurde gleichmäßig, wenn anch nicht übermäßig gearbeitet. Überstunden und Sonntagsarbeit wurden sowohl den ländlichen wie den gewerblichen Arbeitern sehr hoch bezahlt. Sonn¬ tagsarbeit im größern Umfang ist nur aus der Zeit Heinrichs des Achten be¬ kannt; dieser in allen Dingen sehr ungeduldige Herr hatte es auch mit seinen Bauten sehr eilig. Übrigens waren die Könige die besten Kunden; sie be¬ zahlten die höchsten Arbeitslöhne, und wenn sie Arbeiter von auswärts heran¬ zogen, so gewährten sie ihnen eine anständige Reiseentschädigung. Rogers be- A. d. R. In Leipzig gab es schon zu Luthers Zeit sog. Krätzgärten. Bor der Nutzbarmachung der Hackfrüchte konnte in einem nördlichen Klima auch von einer rationellen Rindviehzucht keine Rede sein; fehlte doch das jetzige gesunde Winterfutter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/526>, abgerufen am 22.12.2024.