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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Iveder Uommmiismus noch Rapitalisinns

rechnet, daß ein kleiner Bauer mit zwanzig Acres, also etwas über dreißig
Morgen Acker (seine Wiese war im Gemeindeland einbegriffen) jährlich zwanzig
Schilling sparen konnte, die damals so viel galten wie heute zweihundertvierzig
Schilling oder Mark. Das Ersparte konnte er zum Teil auf Vergrößerung
seines Gütchens verwenden. Seine Söhne konnten mit einem kleinen Kapital
in die Stadt ziehen und es im Handel oder Gewerbe zu etwas bringen, oder
Soldaten werden und sich in den Ritterstand emporschwingen, oder in den
Kirchendienst eintreten und hohe Würden erlangen. Waren doch die königlichen
Räte, die Kanzler Geistliche; Grostvte, die Zierde der Universität Oxford in
der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts und später Bischof von Lincoln,
vom Volke verehrt als Gelehrter, als Heiliger und als Wahrer der Bolts-
rechte gegen die Anmaßungen Roms, war der Sohn eines Leibeignen. Die
eifrigem unter den Pfarrern pflegten die talentvollern ans den Dorfjungen
herauszusuchen und für die Schule vorzubereiten. Kastcumäßige Abschließung
war dem englischen Leben fremd. Der Leibeigne stieg zum Zinsbauer, der
Zinsbauer zum Freibauer empor, der Ritter sank zum Bauer herab; in der
?)eomcmry, dem Stande der größern Freibauern, fanden sich später beide zu¬
sammen. Rogers erklärt es für thöricht, wenn man jeden, der die Lichtseiten
des Mittelalters anerkennt, als Reaktionär und Lobredner der "guten alten
Zeit" verschreie. Niemand kenne besser als er den Unterschied von heute und
damals und die Lichtseiten des heutigen Zustandes, und er entwirft selbst eine
glänzende Schilderung davon; aber -- fügt er hinzu: nicht an ihren Erfolgen,
sondern nu ihren Mißerfolgen, nicht an ihren Leistungen, sondern an ihren
Versäumnissen werde unsre Zeit dereinst gemessen werden. "In unsern Gro߬
städten ist eine Masse von Armen angehäuft, die an Zahl der ganzen Bevölke¬
rung von England und Wales im dreizehnten Jahrhundert gleichkommt, eine
Masse von Armen, die verlassener leben, deren Wohnungen schmutziger sind,
deren Existenz unsichrer ist, deren Aussichten hoffnungsloser sind als die des
ärmsten Leibeignen und des gemeinsten städtischen Handwerksknechts im Mittel¬
alter. Der Arm des Gesetzes ist stark genug, sie in Unterthänigkeit zu er¬
halten, und die Gesellschaft hat von ihrer Verzweiflung nichts zu fürchten";
aber, schließt er seine Betrachtung, er lasse sich das Recht nicht nehmen, auf
ihre Lage hinzuweisen.

Werfen wir noch einen Blick ans die Gewerbe. Jedes Dorf hatte seinen
Müller -- er war Pächter des Gutsherrn --, aber mehrere Dörfer zusammen
hatten gewöhnlich nur einen Schmied, einen Wagenbauer, einen Zimmermann
oder auch zwei Zimmerleute, einen für die grobe, die eigentliche Zimmerarbeit,
und einen für die feinere, die Tischlerei. Wie überall, so sind auch in Eng¬
land alle GeWerke aus dem Gutshöfe, namentlich aus dem Klosterhöfe hervor¬
gegangen, und die genannten Handwerker, denen sich allenfalls noch ein Maurer
und ein Dachdecker zugesellten, waren ursprünglich Hofknechte. In den Städten


Iveder Uommmiismus noch Rapitalisinns

rechnet, daß ein kleiner Bauer mit zwanzig Acres, also etwas über dreißig
Morgen Acker (seine Wiese war im Gemeindeland einbegriffen) jährlich zwanzig
Schilling sparen konnte, die damals so viel galten wie heute zweihundertvierzig
Schilling oder Mark. Das Ersparte konnte er zum Teil auf Vergrößerung
seines Gütchens verwenden. Seine Söhne konnten mit einem kleinen Kapital
in die Stadt ziehen und es im Handel oder Gewerbe zu etwas bringen, oder
Soldaten werden und sich in den Ritterstand emporschwingen, oder in den
Kirchendienst eintreten und hohe Würden erlangen. Waren doch die königlichen
Räte, die Kanzler Geistliche; Grostvte, die Zierde der Universität Oxford in
der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts und später Bischof von Lincoln,
vom Volke verehrt als Gelehrter, als Heiliger und als Wahrer der Bolts-
rechte gegen die Anmaßungen Roms, war der Sohn eines Leibeignen. Die
eifrigem unter den Pfarrern pflegten die talentvollern ans den Dorfjungen
herauszusuchen und für die Schule vorzubereiten. Kastcumäßige Abschließung
war dem englischen Leben fremd. Der Leibeigne stieg zum Zinsbauer, der
Zinsbauer zum Freibauer empor, der Ritter sank zum Bauer herab; in der
?)eomcmry, dem Stande der größern Freibauern, fanden sich später beide zu¬
sammen. Rogers erklärt es für thöricht, wenn man jeden, der die Lichtseiten
des Mittelalters anerkennt, als Reaktionär und Lobredner der „guten alten
Zeit" verschreie. Niemand kenne besser als er den Unterschied von heute und
damals und die Lichtseiten des heutigen Zustandes, und er entwirft selbst eine
glänzende Schilderung davon; aber — fügt er hinzu: nicht an ihren Erfolgen,
sondern nu ihren Mißerfolgen, nicht an ihren Leistungen, sondern an ihren
Versäumnissen werde unsre Zeit dereinst gemessen werden. „In unsern Gro߬
städten ist eine Masse von Armen angehäuft, die an Zahl der ganzen Bevölke¬
rung von England und Wales im dreizehnten Jahrhundert gleichkommt, eine
Masse von Armen, die verlassener leben, deren Wohnungen schmutziger sind,
deren Existenz unsichrer ist, deren Aussichten hoffnungsloser sind als die des
ärmsten Leibeignen und des gemeinsten städtischen Handwerksknechts im Mittel¬
alter. Der Arm des Gesetzes ist stark genug, sie in Unterthänigkeit zu er¬
halten, und die Gesellschaft hat von ihrer Verzweiflung nichts zu fürchten";
aber, schließt er seine Betrachtung, er lasse sich das Recht nicht nehmen, auf
ihre Lage hinzuweisen.

Werfen wir noch einen Blick ans die Gewerbe. Jedes Dorf hatte seinen
Müller — er war Pächter des Gutsherrn —, aber mehrere Dörfer zusammen
hatten gewöhnlich nur einen Schmied, einen Wagenbauer, einen Zimmermann
oder auch zwei Zimmerleute, einen für die grobe, die eigentliche Zimmerarbeit,
und einen für die feinere, die Tischlerei. Wie überall, so sind auch in Eng¬
land alle GeWerke aus dem Gutshöfe, namentlich aus dem Klosterhöfe hervor¬
gegangen, und die genannten Handwerker, denen sich allenfalls noch ein Maurer
und ein Dachdecker zugesellten, waren ursprünglich Hofknechte. In den Städten


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[0527] Iveder Uommmiismus noch Rapitalisinns rechnet, daß ein kleiner Bauer mit zwanzig Acres, also etwas über dreißig Morgen Acker (seine Wiese war im Gemeindeland einbegriffen) jährlich zwanzig Schilling sparen konnte, die damals so viel galten wie heute zweihundertvierzig Schilling oder Mark. Das Ersparte konnte er zum Teil auf Vergrößerung seines Gütchens verwenden. Seine Söhne konnten mit einem kleinen Kapital in die Stadt ziehen und es im Handel oder Gewerbe zu etwas bringen, oder Soldaten werden und sich in den Ritterstand emporschwingen, oder in den Kirchendienst eintreten und hohe Würden erlangen. Waren doch die königlichen Räte, die Kanzler Geistliche; Grostvte, die Zierde der Universität Oxford in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts und später Bischof von Lincoln, vom Volke verehrt als Gelehrter, als Heiliger und als Wahrer der Bolts- rechte gegen die Anmaßungen Roms, war der Sohn eines Leibeignen. Die eifrigem unter den Pfarrern pflegten die talentvollern ans den Dorfjungen herauszusuchen und für die Schule vorzubereiten. Kastcumäßige Abschließung war dem englischen Leben fremd. Der Leibeigne stieg zum Zinsbauer, der Zinsbauer zum Freibauer empor, der Ritter sank zum Bauer herab; in der ?)eomcmry, dem Stande der größern Freibauern, fanden sich später beide zu¬ sammen. Rogers erklärt es für thöricht, wenn man jeden, der die Lichtseiten des Mittelalters anerkennt, als Reaktionär und Lobredner der „guten alten Zeit" verschreie. Niemand kenne besser als er den Unterschied von heute und damals und die Lichtseiten des heutigen Zustandes, und er entwirft selbst eine glänzende Schilderung davon; aber — fügt er hinzu: nicht an ihren Erfolgen, sondern nu ihren Mißerfolgen, nicht an ihren Leistungen, sondern an ihren Versäumnissen werde unsre Zeit dereinst gemessen werden. „In unsern Gro߬ städten ist eine Masse von Armen angehäuft, die an Zahl der ganzen Bevölke¬ rung von England und Wales im dreizehnten Jahrhundert gleichkommt, eine Masse von Armen, die verlassener leben, deren Wohnungen schmutziger sind, deren Existenz unsichrer ist, deren Aussichten hoffnungsloser sind als die des ärmsten Leibeignen und des gemeinsten städtischen Handwerksknechts im Mittel¬ alter. Der Arm des Gesetzes ist stark genug, sie in Unterthänigkeit zu er¬ halten, und die Gesellschaft hat von ihrer Verzweiflung nichts zu fürchten"; aber, schließt er seine Betrachtung, er lasse sich das Recht nicht nehmen, auf ihre Lage hinzuweisen. Werfen wir noch einen Blick ans die Gewerbe. Jedes Dorf hatte seinen Müller — er war Pächter des Gutsherrn —, aber mehrere Dörfer zusammen hatten gewöhnlich nur einen Schmied, einen Wagenbauer, einen Zimmermann oder auch zwei Zimmerleute, einen für die grobe, die eigentliche Zimmerarbeit, und einen für die feinere, die Tischlerei. Wie überall, so sind auch in Eng¬ land alle GeWerke aus dem Gutshöfe, namentlich aus dem Klosterhöfe hervor¬ gegangen, und die genannten Handwerker, denen sich allenfalls noch ein Maurer und ein Dachdecker zugesellten, waren ursprünglich Hofknechte. In den Städten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/527>, abgerufen am 22.12.2024.