Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Erinnerungen a" Lothar Bucher

Eltern wollen am 19. Abends in Wien eintreffen, sie werden die einzigen sein,
die im Palmis Palffy wohnen können.

Ich fahre übermorgen nach Schvnhnusen, wo ich bis zum 8. d. M. bleibe.
Wenn Ihre Antwort mich bis dahin, wie ich glaube, dort nicht erreichen kann,
so richten Sie dieselbe bitte nach Fiume, Villa Hoyos. Mein Vetter August
Bismcirck kommt auch von Baden nach Wien.


Mit ausgezeichuetetster HochachtungIhr ergebenster
HBismart

Die Jahre seines Ruhestandes verlebte mein Bruder in Berlin mit Unter¬
brechung durch Kuraufenthalte in Baden-Baden und Laubdach bei Koblenz, und
er begann eine Reihe von interessanten Untersuchungen über politische Kunst¬
ausdrücke zu schreiben, woraus wohl, wenn ihm längeres Leben und Muße
gegönnt gewesen waren, nach und nach eine Art politischen Wörterbuchs ge¬
worden sein würde. Früher war er, schon dnrch seine amtliche Stellung, in
ausgebreiteten geselligen Verkehr gezogen worden, den er allmählich aus Ge-
sundheitsrücksichten einschränkte. Wenn man ihn deswegen einen Misanthropen
genannt hat, so ist das mindestens Übertreibung. Abgesehn von dem Verkehr
mit unserm Bruder Arthur, einem Manne von ungewöhnlicher Gelehrsamkeit,
der seit 1862 Lehrer an der Luisenschule in Berlin war und gehaltvolle Ar¬
beiten überGellert, überMoser und Möser, über das elfte Euklidische Axiom u.s.w.
veröffentlicht hat, und nach dessen Tode, 1883, mit seiner Familie, blieb er
in verschiednen Häusern ein gerngesehner Gast, suchte auch dann und wann
(nicht "täglich," wie der Herausgeber Hehnscher Briefe ihm aufgebracht
hat) Freunde und Gesinnungsgenossen in einer Weinstube auf. Daß er nach
so vielen kränkenden Erfahrungen manchen andern Begegnungen auswich, daß
er, um nicht immer wieder Anlaß zum Gerede zu bieten, zurückhaltender wurde,
wird ihm nicht verdacht werden können. Trotz des örtlichen Leidens erhielt
er sich für seine Jahre rüstig. Noch im September 1891 wanderten wir von
Laubdach ans, wo sein Rheumatismus mit Massage und Gymnastik bekämpft
wurde, wiederholt gegen Abend über die Eisenbahnbrücke nach Horchheim am
rechten Rheinufer, wo ein guter Tropfen wächst. Bescheiden und mäßig in
seinen Lebensgewohnheiten war er von jeher gewesen. Die ausländischen hohen
Orden in feinem Nachlasse verraten kaum eine Benutzung, und daß die Stadt
Toronto in Canada, die im Jahre 1884 zur Feier ihres Bestehens einer
Anzahl Straßen neue Namen gab, auch die bisherige Carlton Avenue ihm zu
Ehren in Bucher Avenue umgetauft hat, werden aus seinem Munde wohl
wenige erfahren haben.

Vom Jahre 1890 an brachte er, wie bekannt, wieder längere Zeiten in
Friedrichsruh beim Fürsten Bismcirck zu, und es ist kein Geheimnis, daß er
dessen gesamte politische Korrespondenz geordnet und mit Regesten versehen
hat. Die Ausnutzung dieser großen und mühevollen Arbeit bleibt nun andern


Erinnerungen a» Lothar Bucher

Eltern wollen am 19. Abends in Wien eintreffen, sie werden die einzigen sein,
die im Palmis Palffy wohnen können.

Ich fahre übermorgen nach Schvnhnusen, wo ich bis zum 8. d. M. bleibe.
Wenn Ihre Antwort mich bis dahin, wie ich glaube, dort nicht erreichen kann,
so richten Sie dieselbe bitte nach Fiume, Villa Hoyos. Mein Vetter August
Bismcirck kommt auch von Baden nach Wien.


Mit ausgezeichuetetster HochachtungIhr ergebenster
HBismart

Die Jahre seines Ruhestandes verlebte mein Bruder in Berlin mit Unter¬
brechung durch Kuraufenthalte in Baden-Baden und Laubdach bei Koblenz, und
er begann eine Reihe von interessanten Untersuchungen über politische Kunst¬
ausdrücke zu schreiben, woraus wohl, wenn ihm längeres Leben und Muße
gegönnt gewesen waren, nach und nach eine Art politischen Wörterbuchs ge¬
worden sein würde. Früher war er, schon dnrch seine amtliche Stellung, in
ausgebreiteten geselligen Verkehr gezogen worden, den er allmählich aus Ge-
sundheitsrücksichten einschränkte. Wenn man ihn deswegen einen Misanthropen
genannt hat, so ist das mindestens Übertreibung. Abgesehn von dem Verkehr
mit unserm Bruder Arthur, einem Manne von ungewöhnlicher Gelehrsamkeit,
der seit 1862 Lehrer an der Luisenschule in Berlin war und gehaltvolle Ar¬
beiten überGellert, überMoser und Möser, über das elfte Euklidische Axiom u.s.w.
veröffentlicht hat, und nach dessen Tode, 1883, mit seiner Familie, blieb er
in verschiednen Häusern ein gerngesehner Gast, suchte auch dann und wann
(nicht „täglich," wie der Herausgeber Hehnscher Briefe ihm aufgebracht
hat) Freunde und Gesinnungsgenossen in einer Weinstube auf. Daß er nach
so vielen kränkenden Erfahrungen manchen andern Begegnungen auswich, daß
er, um nicht immer wieder Anlaß zum Gerede zu bieten, zurückhaltender wurde,
wird ihm nicht verdacht werden können. Trotz des örtlichen Leidens erhielt
er sich für seine Jahre rüstig. Noch im September 1891 wanderten wir von
Laubdach ans, wo sein Rheumatismus mit Massage und Gymnastik bekämpft
wurde, wiederholt gegen Abend über die Eisenbahnbrücke nach Horchheim am
rechten Rheinufer, wo ein guter Tropfen wächst. Bescheiden und mäßig in
seinen Lebensgewohnheiten war er von jeher gewesen. Die ausländischen hohen
Orden in feinem Nachlasse verraten kaum eine Benutzung, und daß die Stadt
Toronto in Canada, die im Jahre 1884 zur Feier ihres Bestehens einer
Anzahl Straßen neue Namen gab, auch die bisherige Carlton Avenue ihm zu
Ehren in Bucher Avenue umgetauft hat, werden aus seinem Munde wohl
wenige erfahren haben.

Vom Jahre 1890 an brachte er, wie bekannt, wieder längere Zeiten in
Friedrichsruh beim Fürsten Bismcirck zu, und es ist kein Geheimnis, daß er
dessen gesamte politische Korrespondenz geordnet und mit Regesten versehen
hat. Die Ausnutzung dieser großen und mühevollen Arbeit bleibt nun andern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0483" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213597"/>
          <fw type="header" place="top"> Erinnerungen a» Lothar Bucher</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1446" prev="#ID_1445"> Eltern wollen am 19. Abends in Wien eintreffen, sie werden die einzigen sein,<lb/>
die im Palmis Palffy wohnen können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1447"> Ich fahre übermorgen nach Schvnhnusen, wo ich bis zum 8. d. M. bleibe.<lb/>
Wenn Ihre Antwort mich bis dahin, wie ich glaube, dort nicht erreichen kann,<lb/>
so richten Sie dieselbe bitte nach Fiume, Villa Hoyos. Mein Vetter August<lb/>
Bismcirck kommt auch von Baden nach Wien.</p><lb/>
          <note type="closer"> Mit ausgezeichuetetster HochachtungIhr ergebenster</note><lb/>
          <note type="bibl"> HBismart</note><lb/>
          <p xml:id="ID_1448"> Die Jahre seines Ruhestandes verlebte mein Bruder in Berlin mit Unter¬<lb/>
brechung durch Kuraufenthalte in Baden-Baden und Laubdach bei Koblenz, und<lb/>
er begann eine Reihe von interessanten Untersuchungen über politische Kunst¬<lb/>
ausdrücke zu schreiben, woraus wohl, wenn ihm längeres Leben und Muße<lb/>
gegönnt gewesen waren, nach und nach eine Art politischen Wörterbuchs ge¬<lb/>
worden sein würde. Früher war er, schon dnrch seine amtliche Stellung, in<lb/>
ausgebreiteten geselligen Verkehr gezogen worden, den er allmählich aus Ge-<lb/>
sundheitsrücksichten einschränkte. Wenn man ihn deswegen einen Misanthropen<lb/>
genannt hat, so ist das mindestens Übertreibung. Abgesehn von dem Verkehr<lb/>
mit unserm Bruder Arthur, einem Manne von ungewöhnlicher Gelehrsamkeit,<lb/>
der seit 1862 Lehrer an der Luisenschule in Berlin war und gehaltvolle Ar¬<lb/>
beiten überGellert, überMoser und Möser, über das elfte Euklidische Axiom u.s.w.<lb/>
veröffentlicht hat, und nach dessen Tode, 1883, mit seiner Familie, blieb er<lb/>
in verschiednen Häusern ein gerngesehner Gast, suchte auch dann und wann<lb/>
(nicht &#x201E;täglich," wie der Herausgeber Hehnscher Briefe ihm aufgebracht<lb/>
hat) Freunde und Gesinnungsgenossen in einer Weinstube auf. Daß er nach<lb/>
so vielen kränkenden Erfahrungen manchen andern Begegnungen auswich, daß<lb/>
er, um nicht immer wieder Anlaß zum Gerede zu bieten, zurückhaltender wurde,<lb/>
wird ihm nicht verdacht werden können. Trotz des örtlichen Leidens erhielt<lb/>
er sich für seine Jahre rüstig. Noch im September 1891 wanderten wir von<lb/>
Laubdach ans, wo sein Rheumatismus mit Massage und Gymnastik bekämpft<lb/>
wurde, wiederholt gegen Abend über die Eisenbahnbrücke nach Horchheim am<lb/>
rechten Rheinufer, wo ein guter Tropfen wächst. Bescheiden und mäßig in<lb/>
seinen Lebensgewohnheiten war er von jeher gewesen. Die ausländischen hohen<lb/>
Orden in feinem Nachlasse verraten kaum eine Benutzung, und daß die Stadt<lb/>
Toronto in Canada, die im Jahre 1884 zur Feier ihres Bestehens einer<lb/>
Anzahl Straßen neue Namen gab, auch die bisherige Carlton Avenue ihm zu<lb/>
Ehren in Bucher Avenue umgetauft hat, werden aus seinem Munde wohl<lb/>
wenige erfahren haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1449" next="#ID_1450"> Vom Jahre 1890 an brachte er, wie bekannt, wieder längere Zeiten in<lb/>
Friedrichsruh beim Fürsten Bismcirck zu, und es ist kein Geheimnis, daß er<lb/>
dessen gesamte politische Korrespondenz geordnet und mit Regesten versehen<lb/>
hat. Die Ausnutzung dieser großen und mühevollen Arbeit bleibt nun andern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0483] Erinnerungen a» Lothar Bucher Eltern wollen am 19. Abends in Wien eintreffen, sie werden die einzigen sein, die im Palmis Palffy wohnen können. Ich fahre übermorgen nach Schvnhnusen, wo ich bis zum 8. d. M. bleibe. Wenn Ihre Antwort mich bis dahin, wie ich glaube, dort nicht erreichen kann, so richten Sie dieselbe bitte nach Fiume, Villa Hoyos. Mein Vetter August Bismcirck kommt auch von Baden nach Wien. Mit ausgezeichuetetster HochachtungIhr ergebenster HBismart Die Jahre seines Ruhestandes verlebte mein Bruder in Berlin mit Unter¬ brechung durch Kuraufenthalte in Baden-Baden und Laubdach bei Koblenz, und er begann eine Reihe von interessanten Untersuchungen über politische Kunst¬ ausdrücke zu schreiben, woraus wohl, wenn ihm längeres Leben und Muße gegönnt gewesen waren, nach und nach eine Art politischen Wörterbuchs ge¬ worden sein würde. Früher war er, schon dnrch seine amtliche Stellung, in ausgebreiteten geselligen Verkehr gezogen worden, den er allmählich aus Ge- sundheitsrücksichten einschränkte. Wenn man ihn deswegen einen Misanthropen genannt hat, so ist das mindestens Übertreibung. Abgesehn von dem Verkehr mit unserm Bruder Arthur, einem Manne von ungewöhnlicher Gelehrsamkeit, der seit 1862 Lehrer an der Luisenschule in Berlin war und gehaltvolle Ar¬ beiten überGellert, überMoser und Möser, über das elfte Euklidische Axiom u.s.w. veröffentlicht hat, und nach dessen Tode, 1883, mit seiner Familie, blieb er in verschiednen Häusern ein gerngesehner Gast, suchte auch dann und wann (nicht „täglich," wie der Herausgeber Hehnscher Briefe ihm aufgebracht hat) Freunde und Gesinnungsgenossen in einer Weinstube auf. Daß er nach so vielen kränkenden Erfahrungen manchen andern Begegnungen auswich, daß er, um nicht immer wieder Anlaß zum Gerede zu bieten, zurückhaltender wurde, wird ihm nicht verdacht werden können. Trotz des örtlichen Leidens erhielt er sich für seine Jahre rüstig. Noch im September 1891 wanderten wir von Laubdach ans, wo sein Rheumatismus mit Massage und Gymnastik bekämpft wurde, wiederholt gegen Abend über die Eisenbahnbrücke nach Horchheim am rechten Rheinufer, wo ein guter Tropfen wächst. Bescheiden und mäßig in seinen Lebensgewohnheiten war er von jeher gewesen. Die ausländischen hohen Orden in feinem Nachlasse verraten kaum eine Benutzung, und daß die Stadt Toronto in Canada, die im Jahre 1884 zur Feier ihres Bestehens einer Anzahl Straßen neue Namen gab, auch die bisherige Carlton Avenue ihm zu Ehren in Bucher Avenue umgetauft hat, werden aus seinem Munde wohl wenige erfahren haben. Vom Jahre 1890 an brachte er, wie bekannt, wieder längere Zeiten in Friedrichsruh beim Fürsten Bismcirck zu, und es ist kein Geheimnis, daß er dessen gesamte politische Korrespondenz geordnet und mit Regesten versehen hat. Die Ausnutzung dieser großen und mühevollen Arbeit bleibt nun andern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/483
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/483>, abgerufen am 22.12.2024.