Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Auch ein Goetheforscher

bürg geworden sei. Wohl straft ein für ihn sonst unverdächtiger Zeuge, der
alte, nichts weniger als prüde Pfarrer Schweppenhäuser von Sesenheim, den
damals Mke darüber befragte, dieses Gerücht, soweit es Goethe betrifft, voll¬
ständig Lügen, rühmt vielmehr die Delikatesse und die Großmut, mit der dieser
in "Dichtung und Wahrheit" sein eignes Betragen einer Mißdeutung (näm¬
lich dem Vorwurf der Untreue) ausgesetzt habe, während er doch zu seiner
Entschuldigung hätte andeuten können, daß Friederike seinem Andenken später
untreu geworden sei," wohl wird diese Auffassung Schweppenhäusers von
Goethes Verhalten gestützt durch die Bemerkung des vierundsiebzigjährigeu
Dichters über Nates Schilderung seiner Reise nach Sesenheim, daß durch diese
Friederikens holdes Bild "ungeachtet alles irdischem Dazwischentretens" in der
Seele ihres alten Liebhabers lieblich erneuert worden sei, wohl stimmt mit
Schweppenhänsers Andeutungen so ziemlich, was Leyser in seinem Büchlein
"Goethe in Straßbnrg" 1871 auf Grund einer (allerdings später zurückge-
nommnen) Äußerung eines Großuesfens von ihr über einen in die achtziger
Jahre des letzten Jahrhunderts fallenden LebenSroman Friederikens mitgeteilt
hat. Aber da durch alles das nicht Goethe, sondern höchstens die arme Friede¬
rike belastet wird, so kann sich Frvitzheims wissenschaftliches Gewissen, in dem
jenes ersterwähnte Gerücht von einem Sohn Goethes einen Stachel zurück¬
gelassen hat, nicht beruhigen. Daß ein solches Gerücht dnrch Goethes von
den Straßburgern natürlich mit besonderm Interesse gelesenen Bekenntnisse in
"Dichtung und Wahrheit" und einer Vermischung derselben mit jenein angeb¬
lichen spätern Lebensroman Friederikens zur Genüge erklärt wird, liegt natür¬
lich für den scharfsichtigen Kritiker viel zu nahe. Nach den Grundsätzen einer
vorurteilsloser historischen Kritik, die wesentlich darin bestehen, von den
Menschen und selbst von den großen so gering als möglich zu denken, kann
Froitzheim nicht daran glauben, daß die Liebe Friederikens und Goethes
"ohne Folgen" geblieben sei. Das Entlastungszeugnis des alten Sesenheimcr
Pfarrers Schweppenhäuser wiegt natürlich nicht schwer, da Pfarrer wohl¬
wollende und darum unzuverlässige Menschenbeurteiler zu sein pflegen. Also
müssen andre Zeugen gesucht werden, deren Aussagen glaublicher klingen!
Wohl findet Dr. Froitzheim einen ärztlichen Anouhmus aus der Verwandt¬
schaft Friederikens, der ihm auf Befragen erklärt: "Goethe hat das Mädchen
unglücklich gemacht," wohl bieten die Briefe Goethes an Salzmann, wenn sie
gehörig gepreßt und richtig gedeutet werden, und noch mehr sein ganzer Faust
dem gewiegten Kriminalisten Anzeichen seiner Schuld; aber er fühlt, daß das
alles noch nicht ausreicht, seiue Verurteilung zu erzwingen. Er braucht offne
und klare Belastungszeugen.

Und der Unermüdliche findet sie! Er weiß, daß im Elsaß die Juden
nicht nur mit den geschäftlichen, sondern auch mit den Famrlienverhältnisseu
der Bauern wohl vertraut sind, und nimmt an, daß ihnen auch die Geheim-


Auch ein Goetheforscher

bürg geworden sei. Wohl straft ein für ihn sonst unverdächtiger Zeuge, der
alte, nichts weniger als prüde Pfarrer Schweppenhäuser von Sesenheim, den
damals Mke darüber befragte, dieses Gerücht, soweit es Goethe betrifft, voll¬
ständig Lügen, rühmt vielmehr die Delikatesse und die Großmut, mit der dieser
in „Dichtung und Wahrheit" sein eignes Betragen einer Mißdeutung (näm¬
lich dem Vorwurf der Untreue) ausgesetzt habe, während er doch zu seiner
Entschuldigung hätte andeuten können, daß Friederike seinem Andenken später
untreu geworden sei," wohl wird diese Auffassung Schweppenhäusers von
Goethes Verhalten gestützt durch die Bemerkung des vierundsiebzigjährigeu
Dichters über Nates Schilderung seiner Reise nach Sesenheim, daß durch diese
Friederikens holdes Bild „ungeachtet alles irdischem Dazwischentretens" in der
Seele ihres alten Liebhabers lieblich erneuert worden sei, wohl stimmt mit
Schweppenhänsers Andeutungen so ziemlich, was Leyser in seinem Büchlein
„Goethe in Straßbnrg" 1871 auf Grund einer (allerdings später zurückge-
nommnen) Äußerung eines Großuesfens von ihr über einen in die achtziger
Jahre des letzten Jahrhunderts fallenden LebenSroman Friederikens mitgeteilt
hat. Aber da durch alles das nicht Goethe, sondern höchstens die arme Friede¬
rike belastet wird, so kann sich Frvitzheims wissenschaftliches Gewissen, in dem
jenes ersterwähnte Gerücht von einem Sohn Goethes einen Stachel zurück¬
gelassen hat, nicht beruhigen. Daß ein solches Gerücht dnrch Goethes von
den Straßburgern natürlich mit besonderm Interesse gelesenen Bekenntnisse in
„Dichtung und Wahrheit" und einer Vermischung derselben mit jenein angeb¬
lichen spätern Lebensroman Friederikens zur Genüge erklärt wird, liegt natür¬
lich für den scharfsichtigen Kritiker viel zu nahe. Nach den Grundsätzen einer
vorurteilsloser historischen Kritik, die wesentlich darin bestehen, von den
Menschen und selbst von den großen so gering als möglich zu denken, kann
Froitzheim nicht daran glauben, daß die Liebe Friederikens und Goethes
„ohne Folgen" geblieben sei. Das Entlastungszeugnis des alten Sesenheimcr
Pfarrers Schweppenhäuser wiegt natürlich nicht schwer, da Pfarrer wohl¬
wollende und darum unzuverlässige Menschenbeurteiler zu sein pflegen. Also
müssen andre Zeugen gesucht werden, deren Aussagen glaublicher klingen!
Wohl findet Dr. Froitzheim einen ärztlichen Anouhmus aus der Verwandt¬
schaft Friederikens, der ihm auf Befragen erklärt: „Goethe hat das Mädchen
unglücklich gemacht," wohl bieten die Briefe Goethes an Salzmann, wenn sie
gehörig gepreßt und richtig gedeutet werden, und noch mehr sein ganzer Faust
dem gewiegten Kriminalisten Anzeichen seiner Schuld; aber er fühlt, daß das
alles noch nicht ausreicht, seiue Verurteilung zu erzwingen. Er braucht offne
und klare Belastungszeugen.

Und der Unermüdliche findet sie! Er weiß, daß im Elsaß die Juden
nicht nur mit den geschäftlichen, sondern auch mit den Famrlienverhältnisseu
der Bauern wohl vertraut sind, und nimmt an, daß ihnen auch die Geheim-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0440" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213554"/>
          <fw type="header" place="top"> Auch ein Goetheforscher</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1327" prev="#ID_1326"> bürg geworden sei. Wohl straft ein für ihn sonst unverdächtiger Zeuge, der<lb/>
alte, nichts weniger als prüde Pfarrer Schweppenhäuser von Sesenheim, den<lb/>
damals Mke darüber befragte, dieses Gerücht, soweit es Goethe betrifft, voll¬<lb/>
ständig Lügen, rühmt vielmehr die Delikatesse und die Großmut, mit der dieser<lb/>
in &#x201E;Dichtung und Wahrheit" sein eignes Betragen einer Mißdeutung (näm¬<lb/>
lich dem Vorwurf der Untreue) ausgesetzt habe, während er doch zu seiner<lb/>
Entschuldigung hätte andeuten können, daß Friederike seinem Andenken später<lb/>
untreu geworden sei," wohl wird diese Auffassung Schweppenhäusers von<lb/>
Goethes Verhalten gestützt durch die Bemerkung des vierundsiebzigjährigeu<lb/>
Dichters über Nates Schilderung seiner Reise nach Sesenheim, daß durch diese<lb/>
Friederikens holdes Bild &#x201E;ungeachtet alles irdischem Dazwischentretens" in der<lb/>
Seele ihres alten Liebhabers lieblich erneuert worden sei, wohl stimmt mit<lb/>
Schweppenhänsers Andeutungen so ziemlich, was Leyser in seinem Büchlein<lb/>
&#x201E;Goethe in Straßbnrg" 1871 auf Grund einer (allerdings später zurückge-<lb/>
nommnen) Äußerung eines Großuesfens von ihr über einen in die achtziger<lb/>
Jahre des letzten Jahrhunderts fallenden LebenSroman Friederikens mitgeteilt<lb/>
hat. Aber da durch alles das nicht Goethe, sondern höchstens die arme Friede¬<lb/>
rike belastet wird, so kann sich Frvitzheims wissenschaftliches Gewissen, in dem<lb/>
jenes ersterwähnte Gerücht von einem Sohn Goethes einen Stachel zurück¬<lb/>
gelassen hat, nicht beruhigen. Daß ein solches Gerücht dnrch Goethes von<lb/>
den Straßburgern natürlich mit besonderm Interesse gelesenen Bekenntnisse in<lb/>
&#x201E;Dichtung und Wahrheit" und einer Vermischung derselben mit jenein angeb¬<lb/>
lichen spätern Lebensroman Friederikens zur Genüge erklärt wird, liegt natür¬<lb/>
lich für den scharfsichtigen Kritiker viel zu nahe. Nach den Grundsätzen einer<lb/>
vorurteilsloser historischen Kritik, die wesentlich darin bestehen, von den<lb/>
Menschen und selbst von den großen so gering als möglich zu denken, kann<lb/>
Froitzheim nicht daran glauben, daß die Liebe Friederikens und Goethes<lb/>
&#x201E;ohne Folgen" geblieben sei. Das Entlastungszeugnis des alten Sesenheimcr<lb/>
Pfarrers Schweppenhäuser wiegt natürlich nicht schwer, da Pfarrer wohl¬<lb/>
wollende und darum unzuverlässige Menschenbeurteiler zu sein pflegen. Also<lb/>
müssen andre Zeugen gesucht werden, deren Aussagen glaublicher klingen!<lb/>
Wohl findet Dr. Froitzheim einen ärztlichen Anouhmus aus der Verwandt¬<lb/>
schaft Friederikens, der ihm auf Befragen erklärt: &#x201E;Goethe hat das Mädchen<lb/>
unglücklich gemacht," wohl bieten die Briefe Goethes an Salzmann, wenn sie<lb/>
gehörig gepreßt und richtig gedeutet werden, und noch mehr sein ganzer Faust<lb/>
dem gewiegten Kriminalisten Anzeichen seiner Schuld; aber er fühlt, daß das<lb/>
alles noch nicht ausreicht, seiue Verurteilung zu erzwingen. Er braucht offne<lb/>
und klare Belastungszeugen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1328" next="#ID_1329"> Und der Unermüdliche findet sie! Er weiß, daß im Elsaß die Juden<lb/>
nicht nur mit den geschäftlichen, sondern auch mit den Famrlienverhältnisseu<lb/>
der Bauern wohl vertraut sind, und nimmt an, daß ihnen auch die Geheim-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0440] Auch ein Goetheforscher bürg geworden sei. Wohl straft ein für ihn sonst unverdächtiger Zeuge, der alte, nichts weniger als prüde Pfarrer Schweppenhäuser von Sesenheim, den damals Mke darüber befragte, dieses Gerücht, soweit es Goethe betrifft, voll¬ ständig Lügen, rühmt vielmehr die Delikatesse und die Großmut, mit der dieser in „Dichtung und Wahrheit" sein eignes Betragen einer Mißdeutung (näm¬ lich dem Vorwurf der Untreue) ausgesetzt habe, während er doch zu seiner Entschuldigung hätte andeuten können, daß Friederike seinem Andenken später untreu geworden sei," wohl wird diese Auffassung Schweppenhäusers von Goethes Verhalten gestützt durch die Bemerkung des vierundsiebzigjährigeu Dichters über Nates Schilderung seiner Reise nach Sesenheim, daß durch diese Friederikens holdes Bild „ungeachtet alles irdischem Dazwischentretens" in der Seele ihres alten Liebhabers lieblich erneuert worden sei, wohl stimmt mit Schweppenhänsers Andeutungen so ziemlich, was Leyser in seinem Büchlein „Goethe in Straßbnrg" 1871 auf Grund einer (allerdings später zurückge- nommnen) Äußerung eines Großuesfens von ihr über einen in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts fallenden LebenSroman Friederikens mitgeteilt hat. Aber da durch alles das nicht Goethe, sondern höchstens die arme Friede¬ rike belastet wird, so kann sich Frvitzheims wissenschaftliches Gewissen, in dem jenes ersterwähnte Gerücht von einem Sohn Goethes einen Stachel zurück¬ gelassen hat, nicht beruhigen. Daß ein solches Gerücht dnrch Goethes von den Straßburgern natürlich mit besonderm Interesse gelesenen Bekenntnisse in „Dichtung und Wahrheit" und einer Vermischung derselben mit jenein angeb¬ lichen spätern Lebensroman Friederikens zur Genüge erklärt wird, liegt natür¬ lich für den scharfsichtigen Kritiker viel zu nahe. Nach den Grundsätzen einer vorurteilsloser historischen Kritik, die wesentlich darin bestehen, von den Menschen und selbst von den großen so gering als möglich zu denken, kann Froitzheim nicht daran glauben, daß die Liebe Friederikens und Goethes „ohne Folgen" geblieben sei. Das Entlastungszeugnis des alten Sesenheimcr Pfarrers Schweppenhäuser wiegt natürlich nicht schwer, da Pfarrer wohl¬ wollende und darum unzuverlässige Menschenbeurteiler zu sein pflegen. Also müssen andre Zeugen gesucht werden, deren Aussagen glaublicher klingen! Wohl findet Dr. Froitzheim einen ärztlichen Anouhmus aus der Verwandt¬ schaft Friederikens, der ihm auf Befragen erklärt: „Goethe hat das Mädchen unglücklich gemacht," wohl bieten die Briefe Goethes an Salzmann, wenn sie gehörig gepreßt und richtig gedeutet werden, und noch mehr sein ganzer Faust dem gewiegten Kriminalisten Anzeichen seiner Schuld; aber er fühlt, daß das alles noch nicht ausreicht, seiue Verurteilung zu erzwingen. Er braucht offne und klare Belastungszeugen. Und der Unermüdliche findet sie! Er weiß, daß im Elsaß die Juden nicht nur mit den geschäftlichen, sondern auch mit den Famrlienverhältnisseu der Bauern wohl vertraut sind, und nimmt an, daß ihnen auch die Geheim-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/440
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/440>, abgerufen am 22.12.2024.