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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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nisse der Pfarrhäuser nicht unbekannt bleiben. Nun hat sich bereits vor mehr
als fünfzig Jahren ein Elsässer Jude, der 1811 in Schirrhofen bei Sesenheim
geborene, heute noch in Paris lebende Alexander Weilt in der "Zeitung für
die elegante Welt" zum Verhör über den Fall Brion-Goethe gemeldet- Als
nämlich im Jahre 1840 mehrere Aufsätze über Friederike, darunter aus Nates
Nachlaß seine "Wallfahrt nach Sesenheim" vom Jahre 1822, erschienen
waren, da hielt Weilt, damals ein angehender Schriftsteller und Nachahmer
Heines, die Gelegenheit für günstig, einen pikanten Artikel über dasselbe
Thema vom Stapel zu lassen, wozu er sich als geborner Schirrhofer genügend
ermächtigt fühlte. Er wußte zwar offenbar darüber nichts zuverlässiges, Pfarrer
Schweppenhüuser, bei dem er Erkundigungen einzog, wollte "von der Goethischen
Geschichte nichts wissen," aber Weilt hatte eine Schwester Florette, die täglich
nach Sesenheim kam, der schrieb er, sie solle sich nach Friederikens Liebes¬
erlebnissen "bei allen Frau Basen" in Sesenheim erkundigen. Florette, die
dem Vater schon seit zehn Jahren im Geschäft zur Seite stand, war auch
gern bereit, dem schriftstellernden Bruder geschäftlich zu dienen, und tischte
ihm in kräftiger, bäuerisch gewürzter Zubereitung auf, was sie von Dorfklntsch
über die seit dreiundfünfzig Jahren aus Sesenheim fortgezogne und feit sieben¬
undzwanzig Jahren verstorbne Friederike auftreiben konnte. Es ist in der
Hauptsache dasselbe, was Schweppenhäuser Näke über ein (lauge nach Goethes
Entfernung bestehendes) Verhältnis Friederikens zu einem katholischen Pfarrer
Reinhold erzählt hatte, und ist vielleicht sogar einzig auf diese Quelle zurück¬
zuführen. Übrigens berichtet auch Florette: "Von dem Goethe weiß man nicht
viel, als daß sie sich geliebt haben." Weilt aber war cynisch genug,
den Brief seines Blümchens im Wortlaute der Welt mitzuteilen und dies
jüdisch-bäurische Gericht noch durch ein paar Zuthaten eigner Zubereitung
Pikanter zu machen, wovon die wichtigste die ist: "Täuschen mich meine Er¬
kundigungen nicht, so bekam Friederike von Goethe etwas mehr als Gedichte.
Sicher ist, daß es in Sesenheim noch viele Leute giebt, die behaupten, Friede¬
rike habe von ihrem ersten Geliebten ein Kind gehabt, das gestorben ist."

Hatte diese schriftstellerische Leistung Wents vom Jahre 1840 bisher
für nichts weiter gegolten als für einen kecken novellistischen Versuch in der
Manier Heines, so gewann sie für unsern auf der Suche nach Belastungs-
zmgnissen gegen Goethe begriffnen or. Froitzheim die Bedeutung einer Offen¬
barung. Weilt wird ihm eine so wichtige Person, daß er tief bedauert,
daß ein solcher Mann, seit 1870 Deutschland politisch entfremdet, in Paris
lebt. Trotzdem machte er sofort den Versuch, da er ihn nicht ans Herz drücken
kann, wenigstens in Briefverkehr mit ihm zu treten, und ist glücklich, als der
alte Herr die Gnade hat, seinem deutschen Bewundrer französisch zu ant¬
worten. Dieses Schreiben, das Froitzheim seiner Wichtigkeit wegen seinen
Lesern in französischem Wortlaut und in deutscher Übersetzung mitteilt, ent


Grenzboten IV 1892 55

nisse der Pfarrhäuser nicht unbekannt bleiben. Nun hat sich bereits vor mehr
als fünfzig Jahren ein Elsässer Jude, der 1811 in Schirrhofen bei Sesenheim
geborene, heute noch in Paris lebende Alexander Weilt in der „Zeitung für
die elegante Welt" zum Verhör über den Fall Brion-Goethe gemeldet- Als
nämlich im Jahre 1840 mehrere Aufsätze über Friederike, darunter aus Nates
Nachlaß seine „Wallfahrt nach Sesenheim" vom Jahre 1822, erschienen
waren, da hielt Weilt, damals ein angehender Schriftsteller und Nachahmer
Heines, die Gelegenheit für günstig, einen pikanten Artikel über dasselbe
Thema vom Stapel zu lassen, wozu er sich als geborner Schirrhofer genügend
ermächtigt fühlte. Er wußte zwar offenbar darüber nichts zuverlässiges, Pfarrer
Schweppenhüuser, bei dem er Erkundigungen einzog, wollte „von der Goethischen
Geschichte nichts wissen," aber Weilt hatte eine Schwester Florette, die täglich
nach Sesenheim kam, der schrieb er, sie solle sich nach Friederikens Liebes¬
erlebnissen „bei allen Frau Basen" in Sesenheim erkundigen. Florette, die
dem Vater schon seit zehn Jahren im Geschäft zur Seite stand, war auch
gern bereit, dem schriftstellernden Bruder geschäftlich zu dienen, und tischte
ihm in kräftiger, bäuerisch gewürzter Zubereitung auf, was sie von Dorfklntsch
über die seit dreiundfünfzig Jahren aus Sesenheim fortgezogne und feit sieben¬
undzwanzig Jahren verstorbne Friederike auftreiben konnte. Es ist in der
Hauptsache dasselbe, was Schweppenhäuser Näke über ein (lauge nach Goethes
Entfernung bestehendes) Verhältnis Friederikens zu einem katholischen Pfarrer
Reinhold erzählt hatte, und ist vielleicht sogar einzig auf diese Quelle zurück¬
zuführen. Übrigens berichtet auch Florette: „Von dem Goethe weiß man nicht
viel, als daß sie sich geliebt haben." Weilt aber war cynisch genug,
den Brief seines Blümchens im Wortlaute der Welt mitzuteilen und dies
jüdisch-bäurische Gericht noch durch ein paar Zuthaten eigner Zubereitung
Pikanter zu machen, wovon die wichtigste die ist: „Täuschen mich meine Er¬
kundigungen nicht, so bekam Friederike von Goethe etwas mehr als Gedichte.
Sicher ist, daß es in Sesenheim noch viele Leute giebt, die behaupten, Friede¬
rike habe von ihrem ersten Geliebten ein Kind gehabt, das gestorben ist."

Hatte diese schriftstellerische Leistung Wents vom Jahre 1840 bisher
für nichts weiter gegolten als für einen kecken novellistischen Versuch in der
Manier Heines, so gewann sie für unsern auf der Suche nach Belastungs-
zmgnissen gegen Goethe begriffnen or. Froitzheim die Bedeutung einer Offen¬
barung. Weilt wird ihm eine so wichtige Person, daß er tief bedauert,
daß ein solcher Mann, seit 1870 Deutschland politisch entfremdet, in Paris
lebt. Trotzdem machte er sofort den Versuch, da er ihn nicht ans Herz drücken
kann, wenigstens in Briefverkehr mit ihm zu treten, und ist glücklich, als der
alte Herr die Gnade hat, seinem deutschen Bewundrer französisch zu ant¬
worten. Dieses Schreiben, das Froitzheim seiner Wichtigkeit wegen seinen
Lesern in französischem Wortlaut und in deutscher Übersetzung mitteilt, ent


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[0441] nisse der Pfarrhäuser nicht unbekannt bleiben. Nun hat sich bereits vor mehr als fünfzig Jahren ein Elsässer Jude, der 1811 in Schirrhofen bei Sesenheim geborene, heute noch in Paris lebende Alexander Weilt in der „Zeitung für die elegante Welt" zum Verhör über den Fall Brion-Goethe gemeldet- Als nämlich im Jahre 1840 mehrere Aufsätze über Friederike, darunter aus Nates Nachlaß seine „Wallfahrt nach Sesenheim" vom Jahre 1822, erschienen waren, da hielt Weilt, damals ein angehender Schriftsteller und Nachahmer Heines, die Gelegenheit für günstig, einen pikanten Artikel über dasselbe Thema vom Stapel zu lassen, wozu er sich als geborner Schirrhofer genügend ermächtigt fühlte. Er wußte zwar offenbar darüber nichts zuverlässiges, Pfarrer Schweppenhüuser, bei dem er Erkundigungen einzog, wollte „von der Goethischen Geschichte nichts wissen," aber Weilt hatte eine Schwester Florette, die täglich nach Sesenheim kam, der schrieb er, sie solle sich nach Friederikens Liebes¬ erlebnissen „bei allen Frau Basen" in Sesenheim erkundigen. Florette, die dem Vater schon seit zehn Jahren im Geschäft zur Seite stand, war auch gern bereit, dem schriftstellernden Bruder geschäftlich zu dienen, und tischte ihm in kräftiger, bäuerisch gewürzter Zubereitung auf, was sie von Dorfklntsch über die seit dreiundfünfzig Jahren aus Sesenheim fortgezogne und feit sieben¬ undzwanzig Jahren verstorbne Friederike auftreiben konnte. Es ist in der Hauptsache dasselbe, was Schweppenhäuser Näke über ein (lauge nach Goethes Entfernung bestehendes) Verhältnis Friederikens zu einem katholischen Pfarrer Reinhold erzählt hatte, und ist vielleicht sogar einzig auf diese Quelle zurück¬ zuführen. Übrigens berichtet auch Florette: „Von dem Goethe weiß man nicht viel, als daß sie sich geliebt haben." Weilt aber war cynisch genug, den Brief seines Blümchens im Wortlaute der Welt mitzuteilen und dies jüdisch-bäurische Gericht noch durch ein paar Zuthaten eigner Zubereitung Pikanter zu machen, wovon die wichtigste die ist: „Täuschen mich meine Er¬ kundigungen nicht, so bekam Friederike von Goethe etwas mehr als Gedichte. Sicher ist, daß es in Sesenheim noch viele Leute giebt, die behaupten, Friede¬ rike habe von ihrem ersten Geliebten ein Kind gehabt, das gestorben ist." Hatte diese schriftstellerische Leistung Wents vom Jahre 1840 bisher für nichts weiter gegolten als für einen kecken novellistischen Versuch in der Manier Heines, so gewann sie für unsern auf der Suche nach Belastungs- zmgnissen gegen Goethe begriffnen or. Froitzheim die Bedeutung einer Offen¬ barung. Weilt wird ihm eine so wichtige Person, daß er tief bedauert, daß ein solcher Mann, seit 1870 Deutschland politisch entfremdet, in Paris lebt. Trotzdem machte er sofort den Versuch, da er ihn nicht ans Herz drücken kann, wenigstens in Briefverkehr mit ihm zu treten, und ist glücklich, als der alte Herr die Gnade hat, seinem deutschen Bewundrer französisch zu ant¬ worten. Dieses Schreiben, das Froitzheim seiner Wichtigkeit wegen seinen Lesern in französischem Wortlaut und in deutscher Übersetzung mitteilt, ent Grenzboten IV 1892 55

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/441>, abgerufen am 23.07.2024.