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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Der Militarismus der Sozialdemokratie

gegen das Land wird ein "Guerillakrieg" geführt. Der Militarismus des
Staats zieht die Söhne der Bauern in die Stadt, in die Garnison, der Mili¬
tarismus der Sozialdemokratie geht aus der Stadt, aus seiner Garnison aufs
Land und sucht die Bauern auf ihren Dörfern auf. Die einzelnen Aushebuugs-
bezirke werden von den Agitativuskommissiouen unter die Agitatoren verteilt,
damit sich diese nicht unnötigerweise Konkurrenz machen und das Geschäft
hübsch glatt und gleichmäßig besorgt wird. Eine "Kolonne" zieht Sonntags
morgens "in aller Frühe," wenn die Hähne krähen, aus dem Stadtthor, "ohne
öffentliche Reklame," ohne daß die vielleicht zum Teil noch ihren sonnabeud-
licheu Philisterskat ansschlafenden Bürger gestört werden. Zuweilen wird
auch schon Sonnabends aufgebrochen und einen Teil der Nacht marschirt,
dann wird das einfache soldatische Nachtlager bezogen und, wenn der Tag
graut, zum Antreten kommandirt. Um Regen und Schnee, Hitze und Staub
kümmern sich die "Donnerwetters" nicht, sie haben es meist während ihrer
Militärzeit gelernt, es mit den Elementen aufzunehmen. Auf dem Marsche
muntern sie sich auf, indem sie nach allbekannten Melodien die "Schlachtlieder
des kämpfenden Proletariats" erschallen lassen. Größere Kolonnen lösen sich
in "Züge" ans, die sich verschiedne "Operationsfelder" aussuchen, um hernach
an einem vorherbestimmten Punkte wieder zusammenzutreffen "getrennt mar-
schiren, vereint schlagen!" Die in ein Dorf "einrückenden" Streiter sind reich¬
lich mit "Munition" versehen, das heißt mit Flugblättern, Zeitungen und
Agitationsschriften, womit sie die Häuser "belegen." In der Nähe eines Dorfes
wird mich zunächst eine "Vorhut" ausgesandt, um das "Terrain zu reko-
gnosziren," oder der Zug wird auch "in zwei Treffen formirt," die getrennte
Straßen einschlagen, sodaß, wenn zufällig die löbliche Gendarmerie an dem
einen Dorfende Posten gefaßt hat, das Dorf unterdessen von der andern Seite
"genommen" wird und der Feind das Nachsehen hat. Damit der gute Ruf
der Armee durch das ungeziemende Verhalten einzelner keinen Schaden leide,
wird "strenge Mannszucht gehalten," und das anständige Betragen der Ge¬
nossen, das die Dorfbewohner vielleicht infolge ganz anders lautender Schil¬
derungen, die man ihnen gemacht hatte, gar nicht erwartet hatten, trägt wesentlich
dazu bei, die Vorurteile gegen eine, wie die Erfahrung beweist, zu unrecht
verleumdete Partei zu zerstreuen; im allgemeinen wird, je greller die vorher¬
gehende Warnung gefärbt war, desto stärker auch der Rückschlag sein. Wie
soll sich der Bauer gegen Geisteskämpfer zur Wehr setzen, die ihm in der höf¬
lichsten Weise und ohne Entgelt etwas zu lesen ins Haus bringen? Unsre
Zink schwelgt in den Erfolgen der Taktik!

Wenn man solche Schlachtberichte über Sonntagsausslüge deutscher So¬
zialdemokraten liest, könnte man unwillkürlich trotz aller Verschiedenheiten an
eine englische Armee, die sich ebenfalls international nennt, aber echt britisch
ist, erinnert werden, deren geistliche Absichten mit einem auffallenden militärischen


Der Militarismus der Sozialdemokratie

gegen das Land wird ein „Guerillakrieg" geführt. Der Militarismus des
Staats zieht die Söhne der Bauern in die Stadt, in die Garnison, der Mili¬
tarismus der Sozialdemokratie geht aus der Stadt, aus seiner Garnison aufs
Land und sucht die Bauern auf ihren Dörfern auf. Die einzelnen Aushebuugs-
bezirke werden von den Agitativuskommissiouen unter die Agitatoren verteilt,
damit sich diese nicht unnötigerweise Konkurrenz machen und das Geschäft
hübsch glatt und gleichmäßig besorgt wird. Eine „Kolonne" zieht Sonntags
morgens „in aller Frühe," wenn die Hähne krähen, aus dem Stadtthor, „ohne
öffentliche Reklame," ohne daß die vielleicht zum Teil noch ihren sonnabeud-
licheu Philisterskat ansschlafenden Bürger gestört werden. Zuweilen wird
auch schon Sonnabends aufgebrochen und einen Teil der Nacht marschirt,
dann wird das einfache soldatische Nachtlager bezogen und, wenn der Tag
graut, zum Antreten kommandirt. Um Regen und Schnee, Hitze und Staub
kümmern sich die „Donnerwetters" nicht, sie haben es meist während ihrer
Militärzeit gelernt, es mit den Elementen aufzunehmen. Auf dem Marsche
muntern sie sich auf, indem sie nach allbekannten Melodien die „Schlachtlieder
des kämpfenden Proletariats" erschallen lassen. Größere Kolonnen lösen sich
in „Züge" ans, die sich verschiedne „Operationsfelder" aussuchen, um hernach
an einem vorherbestimmten Punkte wieder zusammenzutreffen „getrennt mar-
schiren, vereint schlagen!" Die in ein Dorf „einrückenden" Streiter sind reich¬
lich mit „Munition" versehen, das heißt mit Flugblättern, Zeitungen und
Agitationsschriften, womit sie die Häuser „belegen." In der Nähe eines Dorfes
wird mich zunächst eine „Vorhut" ausgesandt, um das „Terrain zu reko-
gnosziren," oder der Zug wird auch „in zwei Treffen formirt," die getrennte
Straßen einschlagen, sodaß, wenn zufällig die löbliche Gendarmerie an dem
einen Dorfende Posten gefaßt hat, das Dorf unterdessen von der andern Seite
„genommen" wird und der Feind das Nachsehen hat. Damit der gute Ruf
der Armee durch das ungeziemende Verhalten einzelner keinen Schaden leide,
wird „strenge Mannszucht gehalten," und das anständige Betragen der Ge¬
nossen, das die Dorfbewohner vielleicht infolge ganz anders lautender Schil¬
derungen, die man ihnen gemacht hatte, gar nicht erwartet hatten, trägt wesentlich
dazu bei, die Vorurteile gegen eine, wie die Erfahrung beweist, zu unrecht
verleumdete Partei zu zerstreuen; im allgemeinen wird, je greller die vorher¬
gehende Warnung gefärbt war, desto stärker auch der Rückschlag sein. Wie
soll sich der Bauer gegen Geisteskämpfer zur Wehr setzen, die ihm in der höf¬
lichsten Weise und ohne Entgelt etwas zu lesen ins Haus bringen? Unsre
Zink schwelgt in den Erfolgen der Taktik!

Wenn man solche Schlachtberichte über Sonntagsausslüge deutscher So¬
zialdemokraten liest, könnte man unwillkürlich trotz aller Verschiedenheiten an
eine englische Armee, die sich ebenfalls international nennt, aber echt britisch
ist, erinnert werden, deren geistliche Absichten mit einem auffallenden militärischen


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[0411] Der Militarismus der Sozialdemokratie gegen das Land wird ein „Guerillakrieg" geführt. Der Militarismus des Staats zieht die Söhne der Bauern in die Stadt, in die Garnison, der Mili¬ tarismus der Sozialdemokratie geht aus der Stadt, aus seiner Garnison aufs Land und sucht die Bauern auf ihren Dörfern auf. Die einzelnen Aushebuugs- bezirke werden von den Agitativuskommissiouen unter die Agitatoren verteilt, damit sich diese nicht unnötigerweise Konkurrenz machen und das Geschäft hübsch glatt und gleichmäßig besorgt wird. Eine „Kolonne" zieht Sonntags morgens „in aller Frühe," wenn die Hähne krähen, aus dem Stadtthor, „ohne öffentliche Reklame," ohne daß die vielleicht zum Teil noch ihren sonnabeud- licheu Philisterskat ansschlafenden Bürger gestört werden. Zuweilen wird auch schon Sonnabends aufgebrochen und einen Teil der Nacht marschirt, dann wird das einfache soldatische Nachtlager bezogen und, wenn der Tag graut, zum Antreten kommandirt. Um Regen und Schnee, Hitze und Staub kümmern sich die „Donnerwetters" nicht, sie haben es meist während ihrer Militärzeit gelernt, es mit den Elementen aufzunehmen. Auf dem Marsche muntern sie sich auf, indem sie nach allbekannten Melodien die „Schlachtlieder des kämpfenden Proletariats" erschallen lassen. Größere Kolonnen lösen sich in „Züge" ans, die sich verschiedne „Operationsfelder" aussuchen, um hernach an einem vorherbestimmten Punkte wieder zusammenzutreffen „getrennt mar- schiren, vereint schlagen!" Die in ein Dorf „einrückenden" Streiter sind reich¬ lich mit „Munition" versehen, das heißt mit Flugblättern, Zeitungen und Agitationsschriften, womit sie die Häuser „belegen." In der Nähe eines Dorfes wird mich zunächst eine „Vorhut" ausgesandt, um das „Terrain zu reko- gnosziren," oder der Zug wird auch „in zwei Treffen formirt," die getrennte Straßen einschlagen, sodaß, wenn zufällig die löbliche Gendarmerie an dem einen Dorfende Posten gefaßt hat, das Dorf unterdessen von der andern Seite „genommen" wird und der Feind das Nachsehen hat. Damit der gute Ruf der Armee durch das ungeziemende Verhalten einzelner keinen Schaden leide, wird „strenge Mannszucht gehalten," und das anständige Betragen der Ge¬ nossen, das die Dorfbewohner vielleicht infolge ganz anders lautender Schil¬ derungen, die man ihnen gemacht hatte, gar nicht erwartet hatten, trägt wesentlich dazu bei, die Vorurteile gegen eine, wie die Erfahrung beweist, zu unrecht verleumdete Partei zu zerstreuen; im allgemeinen wird, je greller die vorher¬ gehende Warnung gefärbt war, desto stärker auch der Rückschlag sein. Wie soll sich der Bauer gegen Geisteskämpfer zur Wehr setzen, die ihm in der höf¬ lichsten Weise und ohne Entgelt etwas zu lesen ins Haus bringen? Unsre Zink schwelgt in den Erfolgen der Taktik! Wenn man solche Schlachtberichte über Sonntagsausslüge deutscher So¬ zialdemokraten liest, könnte man unwillkürlich trotz aller Verschiedenheiten an eine englische Armee, die sich ebenfalls international nennt, aber echt britisch ist, erinnert werden, deren geistliche Absichten mit einem auffallenden militärischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/411>, abgerufen am 22.12.2024.