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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Der Militarismus der Sozmldemokratie

Urbild, das wirkliche deutsche Heer. Auf der allgemeinen Wehrpflicht beruht
die Größe des einen, auf dein allgemeinen Wahlrecht die des andern Heers.
Bei den letzten Reichstagswahlen hatte ,,das sozialistische Deutschland" andert¬
halb Millionen Mann an die Wahlurne geschickt. Auf den Parteitagen wird
von den Führern -- es giebt genau genommen keine, weil jeder Parteiführer
einfacher "Parteisvldat" ist und bleibt -- "Heerschau" gehalten. Dort werden
wie nach einem Manöver Berichte erstattet, an die sich die Kritik schließt,
und dann wird über die einzuschlagende Kampfesweise, die "Taktik," beraten.
Die richtige Taktik macht den leitenden Geistern ähnliche Sorgen wie den
Diplomaten und Generalen die richtige Diplomatie und Strategie. Eine Haupt¬
sache ist es, daß das gewaltige Heer in möglichst kurzer Zeit "mobil gemacht"
werden kann. "Wir haben nicht nur bei der Wahl zu kämpfen, sondern stets
mobil zu sein." Um die Mannschaften durch frische Kräfte zu ergänzen, werden
neue Streiter "geworben." Alle soldatischen Tugenden werden hochgeschätzt,
besonders Disziplin, Mut und Tapferkeit, während Feigheit mit gerechter
Verachtung behandelt wird. "Ihr werdet nicht dem Gegner das Feld räumen,
ohne gekämpft zu haben. Nichtbeteiligung bei der Wahl ist die Parole der
Feigheit und gereicht einzig und allein unsern Feinden zum Vorteil." Dem
"tapfern Freiheitskämpfer," der sich rühmlich hervorgethan hat, wird kein Denk¬
mal von Stein gesetzt, aber sein Name wird "mit unvergänglichen Lettern in
die Geschichte der Partei eingetragen." Die Devise der wackern Streiter ist:
"Allzeit voran" und "Vorwärts."

Noch eine letzte "Eroberung," eine letzte Annexion fehlt der Sozialdemo-
krntie, damit der Grundstein zu dem friedlichen Weltreich der neuen Gesell¬
schaft gelegt werden könne. Die Schwierigkeiten, die es hierbei zu überwinden
gilt, sind groß, sie liegen in der räumlichen Ausdehnung, die selten durch gute
Verkehrsverbindungen ausgeglichen ist, und in der weiten Verteilung der Wohn¬
sitze der ländlichen Bevölkerung. Das Land ist die eine Säule, die die ganze
Last des alten Gebäudes zu tragen hat, das mit ihr steht und fällt. Lieb¬
knecht schrieb in seinem Agitationsbericht über seinen Besuch des Marseiller
Kongresses: "Von ganz besonderm Interesse waren für mich die Debatten des
Kongresses über die Agitation unter den Bauern. Durch die Erfahrungen von
1848 und 1871 gewitzigt, haben die französischen Arbeiter begriffen, daß eine
Minderheit, und sei sie noch so heldenmütig und thatkräftig, ihren Willen
einer feindlichen Mehrheit nicht aufzwingen kaun; sie haben begriffen, daß der
Sieg der sozialistischen Bewegung nicht möglich ist, wenn die Landbevölkerung
ihr feindlich gegenübersteht, und sie haben sich entschlossen, das Land zu er¬
obern." Wie kann die Alifklürnng in den antikollcktivistischen Schädel des
alten schwerfälligen Gewohnheitsmenschen, des Bauern, hineinpraktizirt werden?
Es ist interessant, daß sich auch diese harte Arbeit in militärische Formen
kleidet; auf das Land werden von den Städten aus Streifzüge unternommen,


Der Militarismus der Sozmldemokratie

Urbild, das wirkliche deutsche Heer. Auf der allgemeinen Wehrpflicht beruht
die Größe des einen, auf dein allgemeinen Wahlrecht die des andern Heers.
Bei den letzten Reichstagswahlen hatte ,,das sozialistische Deutschland" andert¬
halb Millionen Mann an die Wahlurne geschickt. Auf den Parteitagen wird
von den Führern — es giebt genau genommen keine, weil jeder Parteiführer
einfacher „Parteisvldat" ist und bleibt — „Heerschau" gehalten. Dort werden
wie nach einem Manöver Berichte erstattet, an die sich die Kritik schließt,
und dann wird über die einzuschlagende Kampfesweise, die „Taktik," beraten.
Die richtige Taktik macht den leitenden Geistern ähnliche Sorgen wie den
Diplomaten und Generalen die richtige Diplomatie und Strategie. Eine Haupt¬
sache ist es, daß das gewaltige Heer in möglichst kurzer Zeit „mobil gemacht"
werden kann. „Wir haben nicht nur bei der Wahl zu kämpfen, sondern stets
mobil zu sein." Um die Mannschaften durch frische Kräfte zu ergänzen, werden
neue Streiter „geworben." Alle soldatischen Tugenden werden hochgeschätzt,
besonders Disziplin, Mut und Tapferkeit, während Feigheit mit gerechter
Verachtung behandelt wird. „Ihr werdet nicht dem Gegner das Feld räumen,
ohne gekämpft zu haben. Nichtbeteiligung bei der Wahl ist die Parole der
Feigheit und gereicht einzig und allein unsern Feinden zum Vorteil." Dem
„tapfern Freiheitskämpfer," der sich rühmlich hervorgethan hat, wird kein Denk¬
mal von Stein gesetzt, aber sein Name wird „mit unvergänglichen Lettern in
die Geschichte der Partei eingetragen." Die Devise der wackern Streiter ist:
„Allzeit voran" und „Vorwärts."

Noch eine letzte „Eroberung," eine letzte Annexion fehlt der Sozialdemo-
krntie, damit der Grundstein zu dem friedlichen Weltreich der neuen Gesell¬
schaft gelegt werden könne. Die Schwierigkeiten, die es hierbei zu überwinden
gilt, sind groß, sie liegen in der räumlichen Ausdehnung, die selten durch gute
Verkehrsverbindungen ausgeglichen ist, und in der weiten Verteilung der Wohn¬
sitze der ländlichen Bevölkerung. Das Land ist die eine Säule, die die ganze
Last des alten Gebäudes zu tragen hat, das mit ihr steht und fällt. Lieb¬
knecht schrieb in seinem Agitationsbericht über seinen Besuch des Marseiller
Kongresses: „Von ganz besonderm Interesse waren für mich die Debatten des
Kongresses über die Agitation unter den Bauern. Durch die Erfahrungen von
1848 und 1871 gewitzigt, haben die französischen Arbeiter begriffen, daß eine
Minderheit, und sei sie noch so heldenmütig und thatkräftig, ihren Willen
einer feindlichen Mehrheit nicht aufzwingen kaun; sie haben begriffen, daß der
Sieg der sozialistischen Bewegung nicht möglich ist, wenn die Landbevölkerung
ihr feindlich gegenübersteht, und sie haben sich entschlossen, das Land zu er¬
obern." Wie kann die Alifklürnng in den antikollcktivistischen Schädel des
alten schwerfälligen Gewohnheitsmenschen, des Bauern, hineinpraktizirt werden?
Es ist interessant, daß sich auch diese harte Arbeit in militärische Formen
kleidet; auf das Land werden von den Städten aus Streifzüge unternommen,


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[0410] Der Militarismus der Sozmldemokratie Urbild, das wirkliche deutsche Heer. Auf der allgemeinen Wehrpflicht beruht die Größe des einen, auf dein allgemeinen Wahlrecht die des andern Heers. Bei den letzten Reichstagswahlen hatte ,,das sozialistische Deutschland" andert¬ halb Millionen Mann an die Wahlurne geschickt. Auf den Parteitagen wird von den Führern — es giebt genau genommen keine, weil jeder Parteiführer einfacher „Parteisvldat" ist und bleibt — „Heerschau" gehalten. Dort werden wie nach einem Manöver Berichte erstattet, an die sich die Kritik schließt, und dann wird über die einzuschlagende Kampfesweise, die „Taktik," beraten. Die richtige Taktik macht den leitenden Geistern ähnliche Sorgen wie den Diplomaten und Generalen die richtige Diplomatie und Strategie. Eine Haupt¬ sache ist es, daß das gewaltige Heer in möglichst kurzer Zeit „mobil gemacht" werden kann. „Wir haben nicht nur bei der Wahl zu kämpfen, sondern stets mobil zu sein." Um die Mannschaften durch frische Kräfte zu ergänzen, werden neue Streiter „geworben." Alle soldatischen Tugenden werden hochgeschätzt, besonders Disziplin, Mut und Tapferkeit, während Feigheit mit gerechter Verachtung behandelt wird. „Ihr werdet nicht dem Gegner das Feld räumen, ohne gekämpft zu haben. Nichtbeteiligung bei der Wahl ist die Parole der Feigheit und gereicht einzig und allein unsern Feinden zum Vorteil." Dem „tapfern Freiheitskämpfer," der sich rühmlich hervorgethan hat, wird kein Denk¬ mal von Stein gesetzt, aber sein Name wird „mit unvergänglichen Lettern in die Geschichte der Partei eingetragen." Die Devise der wackern Streiter ist: „Allzeit voran" und „Vorwärts." Noch eine letzte „Eroberung," eine letzte Annexion fehlt der Sozialdemo- krntie, damit der Grundstein zu dem friedlichen Weltreich der neuen Gesell¬ schaft gelegt werden könne. Die Schwierigkeiten, die es hierbei zu überwinden gilt, sind groß, sie liegen in der räumlichen Ausdehnung, die selten durch gute Verkehrsverbindungen ausgeglichen ist, und in der weiten Verteilung der Wohn¬ sitze der ländlichen Bevölkerung. Das Land ist die eine Säule, die die ganze Last des alten Gebäudes zu tragen hat, das mit ihr steht und fällt. Lieb¬ knecht schrieb in seinem Agitationsbericht über seinen Besuch des Marseiller Kongresses: „Von ganz besonderm Interesse waren für mich die Debatten des Kongresses über die Agitation unter den Bauern. Durch die Erfahrungen von 1848 und 1871 gewitzigt, haben die französischen Arbeiter begriffen, daß eine Minderheit, und sei sie noch so heldenmütig und thatkräftig, ihren Willen einer feindlichen Mehrheit nicht aufzwingen kaun; sie haben begriffen, daß der Sieg der sozialistischen Bewegung nicht möglich ist, wenn die Landbevölkerung ihr feindlich gegenübersteht, und sie haben sich entschlossen, das Land zu er¬ obern." Wie kann die Alifklürnng in den antikollcktivistischen Schädel des alten schwerfälligen Gewohnheitsmenschen, des Bauern, hineinpraktizirt werden? Es ist interessant, daß sich auch diese harte Arbeit in militärische Formen kleidet; auf das Land werden von den Städten aus Streifzüge unternommen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/410>, abgerufen am 22.12.2024.