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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Süden, jenseits des eigentlichen Gartens, dem otter Herrenhause gegenüber
zu ansehnlicher Höhe erhebt und ziemlich steil aufsteigt, weiterhin flacher und
niedriger wird. Gerade gegenüber der Vorhalle der hintern Terrasse führt
eine breite Schneise durch den Wald die Höhe hinauf, und von dieser aus ge¬
sehen erscheint die ganze Gebäudegruppe wie eingebettet in Baummassen.

Es war wieder ein herrlicher, sonniger, milder Herbsttag, die Luft wehte
rein und frisch -- ist doch die Ostsee nur wenige Meilen entfernt--, und der
fast noch vollbelaubte Wald prangte in seinem schönsten Herbstkleide. Neben
dem Goldgelb der Birken, dem etwas dunkleren Gelb der Ahornbäume und
dem Goldbraun der Rotbuchen stand das noch frische Grün mächtiger Eichen
und das dunklere des Nadelholzes. Unvermerkt geht der Park in den eigent¬
lichen Wald über -- zweihundert Schritt vom Hause brach ein Reh durchs
Gebüsch keine Mauer, kein Eisengitter schließt das Heim des Fürsten von
der Außenwelt ab -- es ist wie ein Abbild des Gutsherrn.

Als wir gegen zwölf Uhr an der Terrasse im Garten standen, kehrte der
Fürst mit or. Hans Blum von einer einstündigeu Wanderung durch Park
und Wald zurück. Er trug den bekannten schwarzen Schlapphut, in der Hand
den Stock, und schritt rasch und kräftig daher. Als er uns sah, begrüßte er
uns freundlich und lud uns ein, ihm ins Haus zum Frühstück zu folgen.
Es war diesmal im Speisezimmer aufgetragen, denn die Zahl der Tischgenossen
war dieselbe, wie beim Diner am Tage vorher.

Der Fürst war in bester Laune und wieder sehr gesprächig. Nach einiger
Zeit richtete er sich gerade auf und erhob die Stimme zu einem Trinksprüche.
Er sei erfreut, Vertreter so vieler deutscher Stämme um sich zu sehen. In
seiner Jugend wäre es schwerlich möglich gewesen wie heute, sie so friedlich
und freundschaftlich an einer hinterpommerschen Tafel zu vereinigen. Es
fehlten nur noch zwei, die Baiern und Schwaben, und so bringe er sein Glas
diesen beiden wackern Abwesenden. Die freundlichen Worte schienen mir eine
Erwiderung herauszufordern, und da die Fürstin, neben der ich zu sitzen die
Ehre hatte, freundlich Gewährung nickte, so stand ich auf und dankte zunächst
dem Fürsten für die hochherzige Offenheit und das gütige Wohlwollen,
das er uns bewiesen habe, bat die Gäste, mit einzustimmen in ein Hoch auf
das ganze Hans Bismarck in seinen anwesenden und abwesenden Gliedern
und schloß mit dem Wunsche, daß der stille Friede, der über diesem anmutigen
Erdenwinkel liege, dem großen Einsiedler von Varzin noch recht lange beschicken
sein möge. Die einfachen Worte fanden nachsichtige Aufnahme, und mit
einem so freundlichen Ausdruck, daß ich ihn für immer in der Erinnerung
festhalten möchte, stieß der Fürst mit mir an. Dann aber erhob er sich und
sagte: "Ich danke für die freundlichen Worte, muß aber doch bemerken, daß
ich ja gar kein Einsiedler, sondern ein Zwcisiedler bin," und dabei winkte er
lächelnd seiner Frau. Wir fühlten recht Wohl, wieviel darin lag.


Grenzboten IV 1892 49

Süden, jenseits des eigentlichen Gartens, dem otter Herrenhause gegenüber
zu ansehnlicher Höhe erhebt und ziemlich steil aufsteigt, weiterhin flacher und
niedriger wird. Gerade gegenüber der Vorhalle der hintern Terrasse führt
eine breite Schneise durch den Wald die Höhe hinauf, und von dieser aus ge¬
sehen erscheint die ganze Gebäudegruppe wie eingebettet in Baummassen.

Es war wieder ein herrlicher, sonniger, milder Herbsttag, die Luft wehte
rein und frisch — ist doch die Ostsee nur wenige Meilen entfernt—, und der
fast noch vollbelaubte Wald prangte in seinem schönsten Herbstkleide. Neben
dem Goldgelb der Birken, dem etwas dunkleren Gelb der Ahornbäume und
dem Goldbraun der Rotbuchen stand das noch frische Grün mächtiger Eichen
und das dunklere des Nadelholzes. Unvermerkt geht der Park in den eigent¬
lichen Wald über — zweihundert Schritt vom Hause brach ein Reh durchs
Gebüsch keine Mauer, kein Eisengitter schließt das Heim des Fürsten von
der Außenwelt ab — es ist wie ein Abbild des Gutsherrn.

Als wir gegen zwölf Uhr an der Terrasse im Garten standen, kehrte der
Fürst mit or. Hans Blum von einer einstündigeu Wanderung durch Park
und Wald zurück. Er trug den bekannten schwarzen Schlapphut, in der Hand
den Stock, und schritt rasch und kräftig daher. Als er uns sah, begrüßte er
uns freundlich und lud uns ein, ihm ins Haus zum Frühstück zu folgen.
Es war diesmal im Speisezimmer aufgetragen, denn die Zahl der Tischgenossen
war dieselbe, wie beim Diner am Tage vorher.

Der Fürst war in bester Laune und wieder sehr gesprächig. Nach einiger
Zeit richtete er sich gerade auf und erhob die Stimme zu einem Trinksprüche.
Er sei erfreut, Vertreter so vieler deutscher Stämme um sich zu sehen. In
seiner Jugend wäre es schwerlich möglich gewesen wie heute, sie so friedlich
und freundschaftlich an einer hinterpommerschen Tafel zu vereinigen. Es
fehlten nur noch zwei, die Baiern und Schwaben, und so bringe er sein Glas
diesen beiden wackern Abwesenden. Die freundlichen Worte schienen mir eine
Erwiderung herauszufordern, und da die Fürstin, neben der ich zu sitzen die
Ehre hatte, freundlich Gewährung nickte, so stand ich auf und dankte zunächst
dem Fürsten für die hochherzige Offenheit und das gütige Wohlwollen,
das er uns bewiesen habe, bat die Gäste, mit einzustimmen in ein Hoch auf
das ganze Hans Bismarck in seinen anwesenden und abwesenden Gliedern
und schloß mit dem Wunsche, daß der stille Friede, der über diesem anmutigen
Erdenwinkel liege, dem großen Einsiedler von Varzin noch recht lange beschicken
sein möge. Die einfachen Worte fanden nachsichtige Aufnahme, und mit
einem so freundlichen Ausdruck, daß ich ihn für immer in der Erinnerung
festhalten möchte, stieß der Fürst mit mir an. Dann aber erhob er sich und
sagte: „Ich danke für die freundlichen Worte, muß aber doch bemerken, daß
ich ja gar kein Einsiedler, sondern ein Zwcisiedler bin," und dabei winkte er
lächelnd seiner Frau. Wir fühlten recht Wohl, wieviel darin lag.


Grenzboten IV 1892 49
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[0393] Süden, jenseits des eigentlichen Gartens, dem otter Herrenhause gegenüber zu ansehnlicher Höhe erhebt und ziemlich steil aufsteigt, weiterhin flacher und niedriger wird. Gerade gegenüber der Vorhalle der hintern Terrasse führt eine breite Schneise durch den Wald die Höhe hinauf, und von dieser aus ge¬ sehen erscheint die ganze Gebäudegruppe wie eingebettet in Baummassen. Es war wieder ein herrlicher, sonniger, milder Herbsttag, die Luft wehte rein und frisch — ist doch die Ostsee nur wenige Meilen entfernt—, und der fast noch vollbelaubte Wald prangte in seinem schönsten Herbstkleide. Neben dem Goldgelb der Birken, dem etwas dunkleren Gelb der Ahornbäume und dem Goldbraun der Rotbuchen stand das noch frische Grün mächtiger Eichen und das dunklere des Nadelholzes. Unvermerkt geht der Park in den eigent¬ lichen Wald über — zweihundert Schritt vom Hause brach ein Reh durchs Gebüsch keine Mauer, kein Eisengitter schließt das Heim des Fürsten von der Außenwelt ab — es ist wie ein Abbild des Gutsherrn. Als wir gegen zwölf Uhr an der Terrasse im Garten standen, kehrte der Fürst mit or. Hans Blum von einer einstündigeu Wanderung durch Park und Wald zurück. Er trug den bekannten schwarzen Schlapphut, in der Hand den Stock, und schritt rasch und kräftig daher. Als er uns sah, begrüßte er uns freundlich und lud uns ein, ihm ins Haus zum Frühstück zu folgen. Es war diesmal im Speisezimmer aufgetragen, denn die Zahl der Tischgenossen war dieselbe, wie beim Diner am Tage vorher. Der Fürst war in bester Laune und wieder sehr gesprächig. Nach einiger Zeit richtete er sich gerade auf und erhob die Stimme zu einem Trinksprüche. Er sei erfreut, Vertreter so vieler deutscher Stämme um sich zu sehen. In seiner Jugend wäre es schwerlich möglich gewesen wie heute, sie so friedlich und freundschaftlich an einer hinterpommerschen Tafel zu vereinigen. Es fehlten nur noch zwei, die Baiern und Schwaben, und so bringe er sein Glas diesen beiden wackern Abwesenden. Die freundlichen Worte schienen mir eine Erwiderung herauszufordern, und da die Fürstin, neben der ich zu sitzen die Ehre hatte, freundlich Gewährung nickte, so stand ich auf und dankte zunächst dem Fürsten für die hochherzige Offenheit und das gütige Wohlwollen, das er uns bewiesen habe, bat die Gäste, mit einzustimmen in ein Hoch auf das ganze Hans Bismarck in seinen anwesenden und abwesenden Gliedern und schloß mit dem Wunsche, daß der stille Friede, der über diesem anmutigen Erdenwinkel liege, dem großen Einsiedler von Varzin noch recht lange beschicken sein möge. Die einfachen Worte fanden nachsichtige Aufnahme, und mit einem so freundlichen Ausdruck, daß ich ihn für immer in der Erinnerung festhalten möchte, stieß der Fürst mit mir an. Dann aber erhob er sich und sagte: „Ich danke für die freundlichen Worte, muß aber doch bemerken, daß ich ja gar kein Einsiedler, sondern ein Zwcisiedler bin," und dabei winkte er lächelnd seiner Frau. Wir fühlten recht Wohl, wieviel darin lag. Grenzboten IV 1892 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/393>, abgerufen am 23.07.2024.