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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Herbsttage in varzin

im Rvkvkostil. An das Arbeitszimmer stößt das sehr einfache, geräumige
Schlafzimmer. Aus den hohen, breiten Fenstern aber schweift der Blick hinaus
nach dem Park und über einen Teich und leise sich senkende Wiesenflächen
nach der sanftgeschwungnen Hohe des waldigen Nichtbcrges.

Der Fürst forderte mich auf, ihm gegenüber in einem Lehnsessel in einer
gemütlichen Ecke Platz zu nehmen, bestellte das nötige Getränk und eine
zweite Pfeife, und während sich seine Hunde behaglich niederstreckten, hielt er
mir fast zwei Stunden lang ein Privatissimum über Sozialpolitik lind neueste
Geschichte, wie ich es mir niemals hatte träumen lassen.

Er sprach mit verhältnismäßig hoher und nicht besonders starker Stimme
ziemlich rasch, fließend und gleichmüßig; er stockte nur ein wenig, wenn ihm
während des lebhaften Sprechens die Pfeife auszugehen drohte, dann hielt er
an, setzte sie wieder in hellen Brand und hüllte sich in Rauchwolken, oder
wenn sich ein besonders bezeichnender, kräftiger Ausdruck in ihm bildete, den
er dann energisch hervorstieß. An solchen Wendungen war, wie immer, seine
Rede besonders reich, und die Lebendigkeit seiner Darstellung erhöhte er noch
dadurch, daß er die Personen, mit denen er verkehrt hatte, bei der Schilderung
einer solchen Unterhaltung stets redend einführte; es war dann, als ob man
die ganze Szene vor sich hätte. Fast noch merkmürdiger war mir der ruhig
behagliche Plauderton, mit dein er auch Dinge behandelte, die ihn offenbar
aufs tiefste berührten. Selbst über seine Entlassung sprach er völlig ruhig
und leidenschaftslos in so objektiver Weise, als ob er die Geschichte eines ganz
andern Menschen erzählte und nicht seine eigne; nur sehr selten zeigte er eine
gewisse Erregung, nämlich da, wo er von Undank und UnWahrhaftigkeit be¬
richten mußte. Dann hatte er etwas von einem grollenden Löwen. Wahrhaft
hochherzig aber erschien mir die rückhaltlose Offenheit, mit der er zu mir sprach,
wie zu einem Freunde, dem er ganz vertrauen könne. Aber er kann offenbar
gar nicht anders, es wäre einfach wider seine ehrliche, gerade, furchtlose Natur,
zurückhaltend und wortkarg zu sein, und er müßte sich von allem Verkehr mit
Fremden völlig abschließen, wenn er jeden Mißbrauch seiner Worte verhindern
wollte, und das wäre ihm in seiner Landeinsamkeit und nach seinem Wesen doch
auch unmöglich. Er darf aber doch wohl auch von seinen Gästen -- und nur als
sein Gast und Hausgenosse kann man in Varzin sein -- erwarten, daß sie
das Vertrauen ihres Wirts zu schätzen wissen und es sich eben so wenig
gestatten werden, Äußerungen, die persönlich verletzen könnten, zu veröffent¬
lichen, wie sie etwa solche aus dem vertraulichen Gespräche mit ein paar guten
Freunden in die Presse bringen würden. Eine Äußerung derart, auch die
schärfste, nimmt sich völlig anders ans, wenn sie der Fürst im engsten Kreise
im leichten Gesprächstone giebt, als wenn sie schwarz auf weiß urbi se orbi
verkündigt und nun von seinen Hassern und Neidern bekrittelt und verdreht
wird. Das leidige Seusationsbedürfnis hat diesem Manne gegenüber kein Recht.


Herbsttage in varzin

im Rvkvkostil. An das Arbeitszimmer stößt das sehr einfache, geräumige
Schlafzimmer. Aus den hohen, breiten Fenstern aber schweift der Blick hinaus
nach dem Park und über einen Teich und leise sich senkende Wiesenflächen
nach der sanftgeschwungnen Hohe des waldigen Nichtbcrges.

Der Fürst forderte mich auf, ihm gegenüber in einem Lehnsessel in einer
gemütlichen Ecke Platz zu nehmen, bestellte das nötige Getränk und eine
zweite Pfeife, und während sich seine Hunde behaglich niederstreckten, hielt er
mir fast zwei Stunden lang ein Privatissimum über Sozialpolitik lind neueste
Geschichte, wie ich es mir niemals hatte träumen lassen.

Er sprach mit verhältnismäßig hoher und nicht besonders starker Stimme
ziemlich rasch, fließend und gleichmüßig; er stockte nur ein wenig, wenn ihm
während des lebhaften Sprechens die Pfeife auszugehen drohte, dann hielt er
an, setzte sie wieder in hellen Brand und hüllte sich in Rauchwolken, oder
wenn sich ein besonders bezeichnender, kräftiger Ausdruck in ihm bildete, den
er dann energisch hervorstieß. An solchen Wendungen war, wie immer, seine
Rede besonders reich, und die Lebendigkeit seiner Darstellung erhöhte er noch
dadurch, daß er die Personen, mit denen er verkehrt hatte, bei der Schilderung
einer solchen Unterhaltung stets redend einführte; es war dann, als ob man
die ganze Szene vor sich hätte. Fast noch merkmürdiger war mir der ruhig
behagliche Plauderton, mit dein er auch Dinge behandelte, die ihn offenbar
aufs tiefste berührten. Selbst über seine Entlassung sprach er völlig ruhig
und leidenschaftslos in so objektiver Weise, als ob er die Geschichte eines ganz
andern Menschen erzählte und nicht seine eigne; nur sehr selten zeigte er eine
gewisse Erregung, nämlich da, wo er von Undank und UnWahrhaftigkeit be¬
richten mußte. Dann hatte er etwas von einem grollenden Löwen. Wahrhaft
hochherzig aber erschien mir die rückhaltlose Offenheit, mit der er zu mir sprach,
wie zu einem Freunde, dem er ganz vertrauen könne. Aber er kann offenbar
gar nicht anders, es wäre einfach wider seine ehrliche, gerade, furchtlose Natur,
zurückhaltend und wortkarg zu sein, und er müßte sich von allem Verkehr mit
Fremden völlig abschließen, wenn er jeden Mißbrauch seiner Worte verhindern
wollte, und das wäre ihm in seiner Landeinsamkeit und nach seinem Wesen doch
auch unmöglich. Er darf aber doch wohl auch von seinen Gästen — und nur als
sein Gast und Hausgenosse kann man in Varzin sein — erwarten, daß sie
das Vertrauen ihres Wirts zu schätzen wissen und es sich eben so wenig
gestatten werden, Äußerungen, die persönlich verletzen könnten, zu veröffent¬
lichen, wie sie etwa solche aus dem vertraulichen Gespräche mit ein paar guten
Freunden in die Presse bringen würden. Eine Äußerung derart, auch die
schärfste, nimmt sich völlig anders ans, wenn sie der Fürst im engsten Kreise
im leichten Gesprächstone giebt, als wenn sie schwarz auf weiß urbi se orbi
verkündigt und nun von seinen Hassern und Neidern bekrittelt und verdreht
wird. Das leidige Seusationsbedürfnis hat diesem Manne gegenüber kein Recht.


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[0388] Herbsttage in varzin im Rvkvkostil. An das Arbeitszimmer stößt das sehr einfache, geräumige Schlafzimmer. Aus den hohen, breiten Fenstern aber schweift der Blick hinaus nach dem Park und über einen Teich und leise sich senkende Wiesenflächen nach der sanftgeschwungnen Hohe des waldigen Nichtbcrges. Der Fürst forderte mich auf, ihm gegenüber in einem Lehnsessel in einer gemütlichen Ecke Platz zu nehmen, bestellte das nötige Getränk und eine zweite Pfeife, und während sich seine Hunde behaglich niederstreckten, hielt er mir fast zwei Stunden lang ein Privatissimum über Sozialpolitik lind neueste Geschichte, wie ich es mir niemals hatte träumen lassen. Er sprach mit verhältnismäßig hoher und nicht besonders starker Stimme ziemlich rasch, fließend und gleichmüßig; er stockte nur ein wenig, wenn ihm während des lebhaften Sprechens die Pfeife auszugehen drohte, dann hielt er an, setzte sie wieder in hellen Brand und hüllte sich in Rauchwolken, oder wenn sich ein besonders bezeichnender, kräftiger Ausdruck in ihm bildete, den er dann energisch hervorstieß. An solchen Wendungen war, wie immer, seine Rede besonders reich, und die Lebendigkeit seiner Darstellung erhöhte er noch dadurch, daß er die Personen, mit denen er verkehrt hatte, bei der Schilderung einer solchen Unterhaltung stets redend einführte; es war dann, als ob man die ganze Szene vor sich hätte. Fast noch merkmürdiger war mir der ruhig behagliche Plauderton, mit dein er auch Dinge behandelte, die ihn offenbar aufs tiefste berührten. Selbst über seine Entlassung sprach er völlig ruhig und leidenschaftslos in so objektiver Weise, als ob er die Geschichte eines ganz andern Menschen erzählte und nicht seine eigne; nur sehr selten zeigte er eine gewisse Erregung, nämlich da, wo er von Undank und UnWahrhaftigkeit be¬ richten mußte. Dann hatte er etwas von einem grollenden Löwen. Wahrhaft hochherzig aber erschien mir die rückhaltlose Offenheit, mit der er zu mir sprach, wie zu einem Freunde, dem er ganz vertrauen könne. Aber er kann offenbar gar nicht anders, es wäre einfach wider seine ehrliche, gerade, furchtlose Natur, zurückhaltend und wortkarg zu sein, und er müßte sich von allem Verkehr mit Fremden völlig abschließen, wenn er jeden Mißbrauch seiner Worte verhindern wollte, und das wäre ihm in seiner Landeinsamkeit und nach seinem Wesen doch auch unmöglich. Er darf aber doch wohl auch von seinen Gästen — und nur als sein Gast und Hausgenosse kann man in Varzin sein — erwarten, daß sie das Vertrauen ihres Wirts zu schätzen wissen und es sich eben so wenig gestatten werden, Äußerungen, die persönlich verletzen könnten, zu veröffent¬ lichen, wie sie etwa solche aus dem vertraulichen Gespräche mit ein paar guten Freunden in die Presse bringen würden. Eine Äußerung derart, auch die schärfste, nimmt sich völlig anders ans, wenn sie der Fürst im engsten Kreise im leichten Gesprächstone giebt, als wenn sie schwarz auf weiß urbi se orbi verkündigt und nun von seinen Hassern und Neidern bekrittelt und verdreht wird. Das leidige Seusationsbedürfnis hat diesem Manne gegenüber kein Recht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/388>, abgerufen am 22.12.2024.