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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Herbsttage in varzin

ob ich mit den Redaktionen in regelmäßiger Verbindung stehen könnte!"
Auch in geschichtlichen Erinnerungen erging er sich. Einmal kam er auf
den Sohn Napoleons des Dritten zu sprechen, den er als einen "auf¬
geweckten, verständigen französischen Jungen" gekannt hatte. Zu einer andern
gab ich durch die Bemerkung Anlaß, daß ich den Fürsten zum erstenmal
am 30. Juni 1866 gesehen hätte, als er mit König Wilhelm ins Feld ge¬
gangen sei. Das war wohl in Görlitz? fragte er. Nein, auf dem Bahn¬
hofe in Zittau. "In Zittau, sagte er nachsinnend, ja, damals kamen wir
in Reichenberg in eine recht bedenkliche Lage. Dort waren nur etwa drei¬
hundert Trainsoldaten, und zwar mit Karabinern von 1813 bewaffnet, mit
denen man zwar exerziren, aber nicht schießen konnte. In Leitmeritz aber,
sechs Meilen davon, standen sechs österreichische und sächsische Kavallerie¬
regimenter, die in vier Stunden herüberretten und den König mit dem Haupt¬
quartier aufheben konnten. Das wäre dann nicht tragisch, sondern lächerlich
gewesen. Ich ging zu Moltke und stellte ihm die Gefahr vor. Ja, sagte
der, im Kriege ist alles gefährlich. Darauf begab ich mich zum König und
erreichte wenigstens, daß die dreihundert Trainsoldaten ohne Aufsehen und
Alarm um das Schloß zusammengezogen wurden, wo der König wohnte.
Auch mir bot man an, dahin überzusiedeln, ich blieb jedoch in der Stadt,
denn ich wollte nicht als Feigling erscheinen. Nun, es ging alles glücklich
vorüber, der Generalstab aber hatte mir das sehr übel genommen, und seit¬
dem bestand eine gewisse Spannung." Mitten im ruhigen Gespräch ver¬
riet sich doch zuweilen ganz plötzlich in einem lebhaften Ausruf eine starke
innere Erregung; man fühlte, daß er mit einer tief leidenschaftlichen Empfin¬
dung rang.

Am Schlüsse der Tafel ließ sich der Fürst seine lange Pfeife bringen
und forderte mich auf, ihm in sein Arbeitszimmer zu folgen. Durch den
schmalen Gang, der das alte Herrenhaus mit dem Neubau verbindet, schritt
er mir voran, ihm nach, sich dicht an ihn drängend, seine beiden großen
Ulmer Doggen, der mächtige schwarze Tiras und die etwas kleinere grau¬
braune Rebekka. In der liebenswürdigsten Weise zeigte er mir das Arbeits¬
zimmer, einen großen, hohen, hellen Raum an der stumpfen Ecke des Neu¬
baus, der in einen Erker nusläuft. Mit der hellbraunem Täfelung der Decke
und der Wände, dem mächtigen, säulengeschmücktcn Kamin aus dunkelgrünen
Kacheln in der dem Erker gegenüberliegenden Ecke, von dessen oberm Sims
die Marmorbüste Kaiser Wilhelms des Ersten herabschaut, dem massiven,
großen Eichenschreibtisch in der Mitte und zahlreichen bunt überzognen, ganz
modernen Polstersesseln und Sofas macht der Raum einen vornehm behag¬
lichen Eindruck, doch ohne eine Spur von Luxus. Auch scheint der Fürst auf
"stilvolle" Einrichtung im einzelnen gerade keinen großen Wert zu legen, denn
neben modernen Möbelstücken in den kräftigen Nenaissanceformen stehen altere


Herbsttage in varzin

ob ich mit den Redaktionen in regelmäßiger Verbindung stehen könnte!"
Auch in geschichtlichen Erinnerungen erging er sich. Einmal kam er auf
den Sohn Napoleons des Dritten zu sprechen, den er als einen „auf¬
geweckten, verständigen französischen Jungen" gekannt hatte. Zu einer andern
gab ich durch die Bemerkung Anlaß, daß ich den Fürsten zum erstenmal
am 30. Juni 1866 gesehen hätte, als er mit König Wilhelm ins Feld ge¬
gangen sei. Das war wohl in Görlitz? fragte er. Nein, auf dem Bahn¬
hofe in Zittau. „In Zittau, sagte er nachsinnend, ja, damals kamen wir
in Reichenberg in eine recht bedenkliche Lage. Dort waren nur etwa drei¬
hundert Trainsoldaten, und zwar mit Karabinern von 1813 bewaffnet, mit
denen man zwar exerziren, aber nicht schießen konnte. In Leitmeritz aber,
sechs Meilen davon, standen sechs österreichische und sächsische Kavallerie¬
regimenter, die in vier Stunden herüberretten und den König mit dem Haupt¬
quartier aufheben konnten. Das wäre dann nicht tragisch, sondern lächerlich
gewesen. Ich ging zu Moltke und stellte ihm die Gefahr vor. Ja, sagte
der, im Kriege ist alles gefährlich. Darauf begab ich mich zum König und
erreichte wenigstens, daß die dreihundert Trainsoldaten ohne Aufsehen und
Alarm um das Schloß zusammengezogen wurden, wo der König wohnte.
Auch mir bot man an, dahin überzusiedeln, ich blieb jedoch in der Stadt,
denn ich wollte nicht als Feigling erscheinen. Nun, es ging alles glücklich
vorüber, der Generalstab aber hatte mir das sehr übel genommen, und seit¬
dem bestand eine gewisse Spannung." Mitten im ruhigen Gespräch ver¬
riet sich doch zuweilen ganz plötzlich in einem lebhaften Ausruf eine starke
innere Erregung; man fühlte, daß er mit einer tief leidenschaftlichen Empfin¬
dung rang.

Am Schlüsse der Tafel ließ sich der Fürst seine lange Pfeife bringen
und forderte mich auf, ihm in sein Arbeitszimmer zu folgen. Durch den
schmalen Gang, der das alte Herrenhaus mit dem Neubau verbindet, schritt
er mir voran, ihm nach, sich dicht an ihn drängend, seine beiden großen
Ulmer Doggen, der mächtige schwarze Tiras und die etwas kleinere grau¬
braune Rebekka. In der liebenswürdigsten Weise zeigte er mir das Arbeits¬
zimmer, einen großen, hohen, hellen Raum an der stumpfen Ecke des Neu¬
baus, der in einen Erker nusläuft. Mit der hellbraunem Täfelung der Decke
und der Wände, dem mächtigen, säulengeschmücktcn Kamin aus dunkelgrünen
Kacheln in der dem Erker gegenüberliegenden Ecke, von dessen oberm Sims
die Marmorbüste Kaiser Wilhelms des Ersten herabschaut, dem massiven,
großen Eichenschreibtisch in der Mitte und zahlreichen bunt überzognen, ganz
modernen Polstersesseln und Sofas macht der Raum einen vornehm behag¬
lichen Eindruck, doch ohne eine Spur von Luxus. Auch scheint der Fürst auf
„stilvolle" Einrichtung im einzelnen gerade keinen großen Wert zu legen, denn
neben modernen Möbelstücken in den kräftigen Nenaissanceformen stehen altere


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[0387] Herbsttage in varzin ob ich mit den Redaktionen in regelmäßiger Verbindung stehen könnte!" Auch in geschichtlichen Erinnerungen erging er sich. Einmal kam er auf den Sohn Napoleons des Dritten zu sprechen, den er als einen „auf¬ geweckten, verständigen französischen Jungen" gekannt hatte. Zu einer andern gab ich durch die Bemerkung Anlaß, daß ich den Fürsten zum erstenmal am 30. Juni 1866 gesehen hätte, als er mit König Wilhelm ins Feld ge¬ gangen sei. Das war wohl in Görlitz? fragte er. Nein, auf dem Bahn¬ hofe in Zittau. „In Zittau, sagte er nachsinnend, ja, damals kamen wir in Reichenberg in eine recht bedenkliche Lage. Dort waren nur etwa drei¬ hundert Trainsoldaten, und zwar mit Karabinern von 1813 bewaffnet, mit denen man zwar exerziren, aber nicht schießen konnte. In Leitmeritz aber, sechs Meilen davon, standen sechs österreichische und sächsische Kavallerie¬ regimenter, die in vier Stunden herüberretten und den König mit dem Haupt¬ quartier aufheben konnten. Das wäre dann nicht tragisch, sondern lächerlich gewesen. Ich ging zu Moltke und stellte ihm die Gefahr vor. Ja, sagte der, im Kriege ist alles gefährlich. Darauf begab ich mich zum König und erreichte wenigstens, daß die dreihundert Trainsoldaten ohne Aufsehen und Alarm um das Schloß zusammengezogen wurden, wo der König wohnte. Auch mir bot man an, dahin überzusiedeln, ich blieb jedoch in der Stadt, denn ich wollte nicht als Feigling erscheinen. Nun, es ging alles glücklich vorüber, der Generalstab aber hatte mir das sehr übel genommen, und seit¬ dem bestand eine gewisse Spannung." Mitten im ruhigen Gespräch ver¬ riet sich doch zuweilen ganz plötzlich in einem lebhaften Ausruf eine starke innere Erregung; man fühlte, daß er mit einer tief leidenschaftlichen Empfin¬ dung rang. Am Schlüsse der Tafel ließ sich der Fürst seine lange Pfeife bringen und forderte mich auf, ihm in sein Arbeitszimmer zu folgen. Durch den schmalen Gang, der das alte Herrenhaus mit dem Neubau verbindet, schritt er mir voran, ihm nach, sich dicht an ihn drängend, seine beiden großen Ulmer Doggen, der mächtige schwarze Tiras und die etwas kleinere grau¬ braune Rebekka. In der liebenswürdigsten Weise zeigte er mir das Arbeits¬ zimmer, einen großen, hohen, hellen Raum an der stumpfen Ecke des Neu¬ baus, der in einen Erker nusläuft. Mit der hellbraunem Täfelung der Decke und der Wände, dem mächtigen, säulengeschmücktcn Kamin aus dunkelgrünen Kacheln in der dem Erker gegenüberliegenden Ecke, von dessen oberm Sims die Marmorbüste Kaiser Wilhelms des Ersten herabschaut, dem massiven, großen Eichenschreibtisch in der Mitte und zahlreichen bunt überzognen, ganz modernen Polstersesseln und Sofas macht der Raum einen vornehm behag¬ lichen Eindruck, doch ohne eine Spur von Luxus. Auch scheint der Fürst auf „stilvolle" Einrichtung im einzelnen gerade keinen großen Wert zu legen, denn neben modernen Möbelstücken in den kräftigen Nenaissanceformen stehen altere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/387>, abgerufen am 23.07.2024.