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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Herbsttage in varzin

Während er sprach, mußte ich immer wieder mit heimlicher Bewunderung
auf den stolzen, charaktervoller Kopf blicken. Dabei hatte er auch noch Zeit,
auf die kleinen Bedürfnisse seines Gastes zu achten, und er erhob sich selber,
um nach der Klingel zu gehen und dem Diener zu schellen. Denn gütiges
Wohlwollen ist ein Grundzug seines Wesens.

Er besprach anfangs die soziale Frage, verurteilte jede Nachgiebigkeit
gegenüber der Sozialdemokratie, die sich selbst außerhalb des Rechts gestellt
habe und deshalb nach dem Satze, den er als Deichhauptmann oft gehört
habe: "Wer nicht will mitdeichen, muß weichen," behandelt werden müsse. Dabei
wies er warnend hin auf die nach seiner Kenntnis keineswegs erfolglosen Versuche
der Sozialdemokratie, die Unteroffiziere zu gewinnen, und auf die auch in dieser
Beziehung besonders bedenklichen Verhältnisse in Hamburg, über die er ganz
genau unterrichtet sei, und bezeichnete endlich die gegenwärtige Behandlung der
sozialdemokratischen Bewegung rund heraus als "leichtsinnig." Dann ging er auf
die Entstehung der Arbeitererlasse Kaiser Wilhelms des Zweiten ein, auf die
Beratungen des Staatsrath und der internationalen Arbeiterschutzkonferenz im
Februar 1890, die er beide herbeigeführt habe, weil er gehofft habe, damit
mäßigend zu wirken, doch darin bekannte er sich getäuscht zu haben. Im
Zusammenhange damit entwickelte er die Geschichte seiner Entlassung und gab
dabei mit wenigen Strichen eine Reihe haarscharf gezeichneter Porträts. Trotz
allem äußern Gleichmut aber ging es doch fast wie ein Zug von Wehmut
durch das Ganze, und erschütternd wirkte es, als er rasch und scheinbar leichthin
bemerkte: "Ich sehe sehr trübe in die Zukunft." Daß ihn die reinste Vater¬
landsliebe bei jedem Wort erfüllte, und daß sein Urteil nicht etwa von dein
Groll über seinen Sturz beherrscht wurde, sondern von der Sorge um des
Reiches Wohl und Wehe, das trat mit greifbarer Deutlichkeit hervor. Er er¬
schien mir wie ein erfahrner Steuermann, der das Nuder seines Schiffs
andern Händen Hai anvertrauen müssen und nur sorgenvoll seinem Laufe mit
den Augen folgt, weil er die Klippen und Untiefen sieht, die in der Ferne
lauern.

Nach zwei mir für alle Zeiten unvergeßlichen Stunden erhob sich der
Fürst und fragte: "Wollen Sie mit mir nusfcchren?" Ob ich wohl wollte!
Nach wenigen Minuten hielt ein offner Wagen vor der Hofthür, und als ich
hinaustrat, erwartete mich schon der Fürst. Er trug einen Pelzrvck, eine grau¬
grüne Jagdmütze mit breitem Schirm und die Brille, die ihm ein beinahe
fremdartiges Aussehen verlieh, in der Hand führte er einen derben Stock. In
raschem Trabe ging es die Anhöhe hinauf, und bald fuhren wir auf weichen
Sandwcgen uuter dem bunten Dache des noch dichtbelaubten Waldes im Abend¬
sonnenscheine dahin.

Wenn auch der Fürst dabei im Gespräch das eine oder andre politische
Thema leicht berührte, so fühlte er sich jetzt doch vor allem als Gutsherr.


Herbsttage in varzin

Während er sprach, mußte ich immer wieder mit heimlicher Bewunderung
auf den stolzen, charaktervoller Kopf blicken. Dabei hatte er auch noch Zeit,
auf die kleinen Bedürfnisse seines Gastes zu achten, und er erhob sich selber,
um nach der Klingel zu gehen und dem Diener zu schellen. Denn gütiges
Wohlwollen ist ein Grundzug seines Wesens.

Er besprach anfangs die soziale Frage, verurteilte jede Nachgiebigkeit
gegenüber der Sozialdemokratie, die sich selbst außerhalb des Rechts gestellt
habe und deshalb nach dem Satze, den er als Deichhauptmann oft gehört
habe: „Wer nicht will mitdeichen, muß weichen," behandelt werden müsse. Dabei
wies er warnend hin auf die nach seiner Kenntnis keineswegs erfolglosen Versuche
der Sozialdemokratie, die Unteroffiziere zu gewinnen, und auf die auch in dieser
Beziehung besonders bedenklichen Verhältnisse in Hamburg, über die er ganz
genau unterrichtet sei, und bezeichnete endlich die gegenwärtige Behandlung der
sozialdemokratischen Bewegung rund heraus als „leichtsinnig." Dann ging er auf
die Entstehung der Arbeitererlasse Kaiser Wilhelms des Zweiten ein, auf die
Beratungen des Staatsrath und der internationalen Arbeiterschutzkonferenz im
Februar 1890, die er beide herbeigeführt habe, weil er gehofft habe, damit
mäßigend zu wirken, doch darin bekannte er sich getäuscht zu haben. Im
Zusammenhange damit entwickelte er die Geschichte seiner Entlassung und gab
dabei mit wenigen Strichen eine Reihe haarscharf gezeichneter Porträts. Trotz
allem äußern Gleichmut aber ging es doch fast wie ein Zug von Wehmut
durch das Ganze, und erschütternd wirkte es, als er rasch und scheinbar leichthin
bemerkte: „Ich sehe sehr trübe in die Zukunft." Daß ihn die reinste Vater¬
landsliebe bei jedem Wort erfüllte, und daß sein Urteil nicht etwa von dein
Groll über seinen Sturz beherrscht wurde, sondern von der Sorge um des
Reiches Wohl und Wehe, das trat mit greifbarer Deutlichkeit hervor. Er er¬
schien mir wie ein erfahrner Steuermann, der das Nuder seines Schiffs
andern Händen Hai anvertrauen müssen und nur sorgenvoll seinem Laufe mit
den Augen folgt, weil er die Klippen und Untiefen sieht, die in der Ferne
lauern.

Nach zwei mir für alle Zeiten unvergeßlichen Stunden erhob sich der
Fürst und fragte: „Wollen Sie mit mir nusfcchren?" Ob ich wohl wollte!
Nach wenigen Minuten hielt ein offner Wagen vor der Hofthür, und als ich
hinaustrat, erwartete mich schon der Fürst. Er trug einen Pelzrvck, eine grau¬
grüne Jagdmütze mit breitem Schirm und die Brille, die ihm ein beinahe
fremdartiges Aussehen verlieh, in der Hand führte er einen derben Stock. In
raschem Trabe ging es die Anhöhe hinauf, und bald fuhren wir auf weichen
Sandwcgen uuter dem bunten Dache des noch dichtbelaubten Waldes im Abend¬
sonnenscheine dahin.

Wenn auch der Fürst dabei im Gespräch das eine oder andre politische
Thema leicht berührte, so fühlte er sich jetzt doch vor allem als Gutsherr.


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[0389] Herbsttage in varzin Während er sprach, mußte ich immer wieder mit heimlicher Bewunderung auf den stolzen, charaktervoller Kopf blicken. Dabei hatte er auch noch Zeit, auf die kleinen Bedürfnisse seines Gastes zu achten, und er erhob sich selber, um nach der Klingel zu gehen und dem Diener zu schellen. Denn gütiges Wohlwollen ist ein Grundzug seines Wesens. Er besprach anfangs die soziale Frage, verurteilte jede Nachgiebigkeit gegenüber der Sozialdemokratie, die sich selbst außerhalb des Rechts gestellt habe und deshalb nach dem Satze, den er als Deichhauptmann oft gehört habe: „Wer nicht will mitdeichen, muß weichen," behandelt werden müsse. Dabei wies er warnend hin auf die nach seiner Kenntnis keineswegs erfolglosen Versuche der Sozialdemokratie, die Unteroffiziere zu gewinnen, und auf die auch in dieser Beziehung besonders bedenklichen Verhältnisse in Hamburg, über die er ganz genau unterrichtet sei, und bezeichnete endlich die gegenwärtige Behandlung der sozialdemokratischen Bewegung rund heraus als „leichtsinnig." Dann ging er auf die Entstehung der Arbeitererlasse Kaiser Wilhelms des Zweiten ein, auf die Beratungen des Staatsrath und der internationalen Arbeiterschutzkonferenz im Februar 1890, die er beide herbeigeführt habe, weil er gehofft habe, damit mäßigend zu wirken, doch darin bekannte er sich getäuscht zu haben. Im Zusammenhange damit entwickelte er die Geschichte seiner Entlassung und gab dabei mit wenigen Strichen eine Reihe haarscharf gezeichneter Porträts. Trotz allem äußern Gleichmut aber ging es doch fast wie ein Zug von Wehmut durch das Ganze, und erschütternd wirkte es, als er rasch und scheinbar leichthin bemerkte: „Ich sehe sehr trübe in die Zukunft." Daß ihn die reinste Vater¬ landsliebe bei jedem Wort erfüllte, und daß sein Urteil nicht etwa von dein Groll über seinen Sturz beherrscht wurde, sondern von der Sorge um des Reiches Wohl und Wehe, das trat mit greifbarer Deutlichkeit hervor. Er er¬ schien mir wie ein erfahrner Steuermann, der das Nuder seines Schiffs andern Händen Hai anvertrauen müssen und nur sorgenvoll seinem Laufe mit den Augen folgt, weil er die Klippen und Untiefen sieht, die in der Ferne lauern. Nach zwei mir für alle Zeiten unvergeßlichen Stunden erhob sich der Fürst und fragte: „Wollen Sie mit mir nusfcchren?" Ob ich wohl wollte! Nach wenigen Minuten hielt ein offner Wagen vor der Hofthür, und als ich hinaustrat, erwartete mich schon der Fürst. Er trug einen Pelzrvck, eine grau¬ grüne Jagdmütze mit breitem Schirm und die Brille, die ihm ein beinahe fremdartiges Aussehen verlieh, in der Hand führte er einen derben Stock. In raschem Trabe ging es die Anhöhe hinauf, und bald fuhren wir auf weichen Sandwcgen uuter dem bunten Dache des noch dichtbelaubten Waldes im Abend¬ sonnenscheine dahin. Wenn auch der Fürst dabei im Gespräch das eine oder andre politische Thema leicht berührte, so fühlte er sich jetzt doch vor allem als Gutsherr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/389>, abgerufen am 23.07.2024.